Die SP-Regierungsrätin Eva Herzog kämpft an vorderster Front für die Unternehmenssteuerreform III. Im Interview sagt sie, weshalb die Reform für Basel wichtig ist, wie sie gestaltet werden muss und wo ihre rote Linie liegt, ab der sie die Reform nicht mehr unterstützt.
Eva Herzog ist im Dilemma: Die linke Finanzdirektorin vertritt eine Reform, die Bürgerliche immer mehr für ihre liberale Agenda nutzen. Denn Herzog hat die Unternehmenssteuerreform III mitgeprägt und sich massgebend für das Kernstück, die Patentbox, eingesetzt. Nun ist der Nationalrat daran, Steuerentlastungen in das Paket einzubauen, die zu massiven Ausfällen bei Bund und Kantonen führen würden.
Dennoch sei die Reform wichtig, gerade für Basel-Stadt, da hier viele Steuererträge von internationalen Firmen – meist aus der Pharma-Branche – stammen, sagt Herzog. Die Firmen, die die Unternehmenssteuerreform betrifft, machen über 50 Prozent der Gewinnsteuererträge in Basel-Stadt aus.
Mit der USR III werden Steuerprivilegien abgeschafft und gleichzeitig neue Privilegien eingeführt. Als Kernstück dient die Patentbox, mit der Unternehmen ihre Erträge aus geistigem Eigentum (Patenten) tiefer versteuern dürfen.
Nach der Reform würden einige Unternehmen mehr Steuern zahlen, andere weniger. Damit der Wirtschaftsstandort attraktiv bleibt und keine grossen Firmen abwandern, muss der Kanton die Unternehmenssteuern senken.
Neben der Patentbox sind weitere Elemente im Paket enthalten, die Unternehmen weiter entlasten sollen. Insgesamt sind Steuerausfälle bei Bund und Kantonen bis zu zwei Milliarden Franken zu erwarten.
Das versprochene Ziel, dass die Unternehmen unter dem Strich gleich viel zahlen sollen wie vor der Reform, wird deshalb kaum eingelöst.
Frau Herzog, die USR III führt laut neuesten Schätzungen schweizweit zu Steuerausfällen von bis 2 Milliarden Franken. Ist das für Sie noch vertretbar?
Wenn wir nur einen Teil des Pakets umsetzen würden, nämlich die Statusgesellschaften abschaffen, dann müssten diese ordentlich besteuert werden. Das würde für die betroffenen Unternehmen eine massiv höhere Steuerrechnung bedeuten – Sie können sich vorstellen, was dann passiert.
Die Unternehmen würden ihren Standort ins Ausland oder in andere Kantone verlegen.
Jedenfalls können wir das nicht riskieren. Also, was tun? Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder wir führen neue privilegierte Besteuerungen ein, zum Beispiel eine Patentbox. Oder man senkt die Steuersätze. Ich meine, wenn wir die allgemeinen Steuersätze senken, dann gibt das Einnahmeausfälle. Denn dann bezahlen alle weniger Steuern, auch das KMU von nebenan. Ich meine, es sollte eine Mischung sein. Einerseits Gewinnsteuersätze senken, andererseits neue und international anerkannte Privilegien einführen, die den Forschungsstandort auf lange Frist attraktiv belassen. Und das Austarieren muss so sein, dass die öffentliche Hand ihre Aufgaben weiterhin finanzieren kann.
Wie kommen denn die hohen Steuerausfälle zustande?
Die Mindereinnahmen kommen nicht von jenen Unternehmen, die heute privilegiert sind. Diese zahlen zum Teil sogar etwas mehr nach der Reform. Die Steuerausfälle resultieren daraus, dass die Steuersätze für alle gesenkt werden und beispielsweise ordentlich besteuerte KMU plötzlich weniger Steuern zahlen.
Nun hat die Wirtschafts- und Abgabekommission des Nationalrats weitere Massnahmen in die Reform eingebaut, die weitere Steuerausfälle bei Bund und Kantonen verursachen würden. Was sagen Sie dazu?
Akzeptabel finde ich es nicht, was die Kommission beschlossen hat. Aber es ist jetzt noch zu früh, das zu bewerten, noch ist das Paket nicht definitiv. Die Kommission hat die zinsbereinigte Gewinnsteuer in das Paket aufgenommen. Diese habe ich immer bekämpft. Dafür ist andererseits auch eine Entlastungsbegrenzung drin. Das war ein Vorschlag der Kantone: Die Kumulation von Steuervorteilen bei Unternehmen dürfen nicht zu einer zu tiefen oder gar einer Null-Besteuerung führen. Diese Massnahme ist immerhin drin, das Schlimmste konnten wir damit verhindern.
«Wenn sich die Welt auf ein neues Steuersystem einigt, kann die Schweiz nicht so tun, als ob sie nicht dazugehört.»
Ist das Ihre rote Linie? Falls die Entlastungsbegrenzung rausfällt, würden Sie auch ein Referendum gegen die Reform befürworten?
Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen, ob ich ein Referendum unterstützen würde oder nicht. Zuerst muss ich das Gesamtpaket kennen. Die Parteien drohen damit.
Zum Beispiel Ihre eigene Partei, die SP.
Richtig. Die Entlastungsbegrenzung muss drin bleiben. Für mich ist das ein wesentlicher Punkt, der gegen ein Referendum spricht. Eine gewisse Entschlackung der Vorlage muss zudem noch stattfinden. Der Ständerat hat sich bereits in einigen Punkten annehmbarer zur Reform geäussert. Deshalb hoffe ich noch auf die Differenzbereinigung zwischen Nationalrat und Ständerat.
Was passiert, wenn das Referendum kommt und die Reform an der Urne scheitert?
Das wäre übel. Die Statusgesellschaften werden ohnehin abgeschafft, da die OECD, also die Gemeinschaft der Industriestaaten, diese Privilegien nicht mehr toleriert. Für die Abschaffung braucht es uns eigentlich gar nicht.
Inwiefern kann die OECD diese Privilegien im Schweizer Steuersystem abschaffen?
Die Unternehmen werden diesen Status nicht mehr wollen, wenn sie im internationalen Umfeld Nachteile daraus ziehen. Im Ausland würden sie dann einfach höher besteuert, da die OECD-Länder das Steuerprivileg nicht mehr akzeptieren. Der internationale Druck könnte so weit zunehmen, dass sie den Status von sich aus aufgeben. Anders gesagt: Wenn sich die Welt auf ein neues Steuersystem einigt, kann die Schweiz nicht so tun, als ob sie nicht dazugehört.
«Im Moment versucht jeder, dem anderen den Schwarzen Peter zuzuspielen. Dabei wäre es so einfach gewesen, ein sachlich gutes Paket durchzubringen.»
Was würde das für Basel-Stadt bedeuten?
Wenn die Steuerstatus wegfallen, müssten wir die heute privilegierten Unternehmen ordentlich besteuern. Zunächst würden sie eine befristete Übergangslösung, einen sogenannten Step-up, erhalten. Das heisst, sie zahlen uns eine Zeit lang immer noch gleich viel Steuern. Jedoch: Als Nebenwirkung, die noch wenig beachtet wird, müssten wir in den Nationalen Finanzausgleich als Kanton viel mehr einzahlen als heute. Ergo würden sich die Belastungen erhöhen, die Steuereinnahmen jedoch nicht. Kurz: Für uns wäre es finanziell gesehen sehr schlimm, wenn die Reform scheitert. Man müsste sofort eine neue Vorlage auf Bundesebene durchführen, das würde allerdings einen Moment dauern.
Wie kann man verhindern, dass die Reform scheitert?
Im Moment versucht jeder, dem anderen den Schwarzen Peter zuzuspielen. Die Bürgerlichen sagen, die Linke sei schuld, wenn sie das Referendum ergreift. Gleichzeitig überladen die Bürgerlichen die Reform mit unnötigen Massnahmen – wie zum Beispiel die Tonnage Tax, die nun völlig am Ziel vorbei geht. Ausserdem will die Kommission die Forschung im Ausland subventionieren, hat die zinsbereinigte Gewinnsteuer wiederaufgenommen, die Emissionsabgabe soll in einer Parallelvorlage auch abgeschafft werden und das Paket enthält kein einziges Element der Gegenfinanzierung. Damit provozieren die Bürgerlichen ein Referendum der Linken. Es wäre so einfach gewesen, ein sachlich gutes Paket durchzubringen. Und nun dieser Übermut der bürgerlichen Mehrheit in der Wirtschaftskommission.
Wie hoch werden die Steuerausfälle in Basel-Stadt sein, wenn die Reform eingeführt ist?
Eine genaue Angabe ist nicht möglich, da das Paket noch gar nicht feststeht. Wir rechnen mit Steuerausfällen. Diese hängen jedoch stark davon ab, wie viel Kompensationszahlungen wir vom Bund erhalten.
Was können Sie denn zum jetzigen Zeitpunkt sagen?
Wir erstellen statische Berechnungen, führen Simulationen durch. Zum Beispiel wie hoch die Steuereinnahmen sind, wenn wir die Steuersätze um so und so viel senken. Diese Simulationen machen aber erst dann wirklich Sinn, wenn wir alle Elemente der Vorlage kennen. Im Falle der internationalen Firmen sind die dynamischen Effekte enorm. Diese Firmen können ihre Investitionsentscheide so fällen, dass einmal Basel begünstigt ist, dann wieder Boston oder Schanghai oder auch Zug. In diesem Feld bewegen wir uns. Stellen wir die Weichen richtig, gewinnen wir als Kanton und als Standort viel. Stellen wir sie falsch, dann geht es in die umgekehrte Richtung, in ein Negativszenario. Was jedoch klar ist: Wenn wir nichts tun, dann verlieren wir sowieso. Unsere Zielvorgabe lautet deshalb, die Unsicherheit nehmen und die Steuerbelastung der grossen Firmen, die unsere Region prägen, etwa gleich zu belassen. Vielleicht zahlen sie nach der Reform sogar etwas mehr – wesentlich ist, dass sie und ihre Arbeitsplätze hier bleiben.