Basel-Stadt schreibt seit Jahren schwarze Zahlen. Und auch die Zukunftsaussichten sind rosig. Eine Woche vor der Budgetdebatte im Grossen Rat erklärt Finanzdirektorin Eva Herzog, warum dies so ist.
Die Arbeit als Vorsteherin des Basler Finanzdepartements bereite ihr noch immer Spass, sagt Eva Herzog. Sie kann aber auf den Tisch klopfen, wenn sie sich beziehungsweise ihre Finanzpolitik – egal ob von rechts oder links – absichtlich oder fahrlässig falsch verstanden sieht. Dann weiten sich ihre Augen zum beinahe wutentbrannten Blick, wie auch der Interviewer erfahren durfte. Ansonsten besticht die promovierte Historikerin (die auch Wirtschaftswissenschaften studiert hat) durch präzise Sach- und Detailkenntnisse. Und sie steht für eine ausgesprochen erfolgreiche Finanzpolitik des Stadtkantons. Seit sie im Amt ist, schreibt Basel-Stadt schwarze Zahlen.
Frau Herzog, Basel-Stadt schreibt seit Jahren schwarze Zahlen. Auch das Budget 2016 weist einen schönen Überschuss von 85,8 Millionen Franken aus …
… minus 20 Millionen.
Stimmt, der Kanton kann es sich sogar leisten, Finanzhilfe an Baselland zu vergeben. Ihnen muss es wunderbar gehen.
(lacht) Zweifellos ist das alles sehr erfreulich. Vor einem Jahr zeichnete unsere Finanzplanung noch ein anderes Bild: Damals rechneten wir mit Defiziten in den folgenden Jahren. Jetzt sieht es besser aus. Wir rechnen in den kommenden Jahren mit leichten Überschüssen, trotz Beitrag an den Kanton Baselland. Eigentlich haben wir 2016 ein Defizit von 950 Millionen Franken, aber unter dem Strich stehen wir zweifellos vor einer erfreulichen Situation. Wir können auch den grossen Sonderfaktor Pensionskassenrevision innerhalb der Grenze der Schuldenbremse bewältigen.
Weshalb ist dieser Sonderfaktor nicht im Budget ausgewiesen?
Er ist im Budget klar ausgewiesen. Aber es ist ein einmaliger Sonderfaktor und entsprechend weisen wir ihn auch aus. Das macht jedes private Unternehmen so im Jahresbericht.
Die Ratslinke hat bereits angekündigt, dass sie Sparmassnahmen rückgängig machen will. Vor allem im Personal- und im Sozialbereich …
… warum Sozialbereich? Die Kürzungen der Beihilfen sind ja bereits vom Tisch. Das war alles im Sozialbereich.
Was ist mit dem Behindertenbereich?
Herrgott nochmal! Bei den staatlichen Massnahmen für Behinderte wird kein einziger Rappen gespart, nicht ein einziger! Ich finde es unglaublich, dass das einfach immer wieder behauptet wird. Und es wird dadurch nicht wahrer! Es geht um eine Fachstelle, es geht darum, wie sich die Verwaltung in diesem Bereich organisiert, das ist alles. Wir sind der Meinung, dass sich die Verwaltung, wenn sich die Gegebenheiten geändert haben, anders organisieren kann. Nicht ein einziger behinderter Mensch wird deswegen weniger Leistungen erhalten als bisher.
Es ist aber zum Politikum geworden, quasi zum Aushängeschild des Widerstands gegen die Sparmassnahmen.
Gleichwohl ist es pure Polemik.
Sie reagieren sehr gereizt auf dieses Thema …
… ich habe einfach Mühe damit, Dutzende oder Hunderte Male Stellung nehmen zu müssen.
Sie werden es aber weiterhin tun müssen. Spätestens an der Budgetdebatte vom 16. Dezember.
Ich bin sehr interessiert an politischen Auseinandersetzungen, sie sind wichtig, und ich wäre nicht schon so lange Zeit Politikerin, wenn sie mir nicht auch Spass bereiten würden. Ich habe aber grosse Mühe, wenn Sachen behauptet werden, die auf keinerlei Fakten beruhen, die ganz einfach nicht stimmen. Das kann ich nicht nachvollziehen, so mache ich nicht Politik. Ich halte rein gar nichts von faktenfreier Politik.
«Die Linke kann kein Interesse an einem Staatshaushalt haben, der in ein Defizit hineinführt.»
Wie bereiten Sie sich auf die Budgetdebatte vor?
Ich bin vorbereitet. Es können Budgetpostulate kommen. Einige umstrittene Punkte, wie die Kürzungen der Zolli-Subventionen würden aber erst im Budget 2017 wirksam. Ebenso die Massnahmen im Personalbereich, die zudem Gesetzesänderungen notwendig machen. Das Geschäft liegt im Moment bei der Wirtschafts- und Abgabekommission, die ihre Behandlungen zum Thema noch nicht abgeschlossen hat. Die meisten Massnahmen aus dem Entlastungspaket wurden übrigens gar nicht kritisiert. Zu reden gaben diejenigen im Personalbereich, die erwähnte Fachstelle und der Bereich Ausleihmaterial für Schullager – aber auch hier haben wir bereits eine Lösung gefunden. Einen grossen Anteil macht die Massnahme im Spitalbereich aus, eine Kürzung der Quersubventionierung von auswärtigen Patienten, also eine sehr sinnvolle Massnahme. Und ein Teil sind buchhalterische Massnahmen. Es wird also gar nicht so viel zu diskutieren geben.
Zu den Punkten, die zur Sprache kommen werden: Die finanzielle Situation hat sich verbessert, werden Sie die Budgetpostulate mit offenen Armen entgegennehmen?
Der Regierungsrat lehnt Budgetpostulate in der Regel ab. Der Grosse Rat wird seine Entscheide fällen.
Es bleibt aber von der linken politischen Seite – auch von Ihrer eigenen Partei – der Vorwurf im Raum stehen, dass ausgerechnet die rot-grüne Basler Regierung im Personal- und Sozialbereich spart. Wie sehr kann man als Finanzdirektorin Sozialdemokratin bleiben?
Im Sozialbereich steht keine einzige Massnahme mehr zur Diskussion, wie ich schon gesagt habe. Aber zu Ihrer Frage: Die Linke kann kein Interesse an einem Staatshaushalt haben, der nicht ausgeglichen ist, der in ein Defizit hineinführt, das zu beheben viel schmerzhaftere Massnahmen erfordern würde. Davon sind wir weit entfernt. Unsere Aufgabe als Regierung, auch als rot-grüne Regierung, ist, dafür zu sorgen, dass die Staatsfinanzen im Lot bleiben. Und für dieses Ziel sind ab und zu spezielle Massnahmen notwendig. Wir sind konstant dabei, neue Leistungen vorzuschlagen und zu beschliessen. Da kann man auch mal eine Leistung abbauen. Es lohnt sich, manchmal etwas genauer hinzuschauen. Insgesamt bauen wir ja nicht ab, sondern vermindern das Wachstum über drei Jahre hinweg um 3 Prozent, wachsen statt um 4,5 nur um 1,5 Prozent.
Von bürgerlicher Seite wird der Regierung gerade das vorgehalten, dass der Kanton zu wenig tut, um staatliche Leistungen zu reduzieren.
(lacht) Hier liegen Sie beziehungsweise die bürgerlichen Politiker richtig. Nicht darin, dass wir zu wenig abbauen, sondern dass wir unter dem Strich die staatlichen Leistungen ausgebaut haben, dies gezielt vor allem in den Bereichen Tagesstrukturen, Bildung, Sicherheit und im Sozialen. Wir konnten es uns leisten und taten gut daran. Uns ist es in den letzten zehn Jahren ausgezeichnet gegangen. Die Staatsfinanzen haben sich auf der Einnahmenseite ausgesprochen erfreulich entwickelt. Unser Wirtschaftswachstum lag in den letzten 10 bis 15 Jahren mit wenigen Ausnahmen über dem schweizerischen Durchschnitt. Unsere Region wird nach neuesten Prognosen auch in den nächsten Jahren obenauf schwingen.
«Wir haben das Glück, mit den Life-Sciences-Firmen eine relativ krisenresistente Leitbranche zu haben. Unser Beitrag ist, Sorge zum Standort zu tragen.»
Basel-Stadt geht es überdurchschnittlich gut?
Ja, uns geht es gut. Es sind keine Unternehmen abgewandert – es kamen im Gegenteil neue dazu. Wir haben wieder mehr Einwohnerinnen und Einwohner im Kanton: Die Steuereinnahmen der natürlichen Personen nehmen stark zu. Man muss sich fragen, warum ziehen diese Leute nach Basel? Erstens, weil wir viele Arbeitsplätze haben. Und warum haben wir diese Arbeitsplätze? Weil der Kanton als Wirtschaftsstandort attraktiv ist. Das ist aber keine Selbstverständlichkeit, das bedingt Massnahmen, die Geld kosten. Wenn mehr Menschen mit Kindern nach Basel ziehen, brauchen wir mehr Platz in den Schulen und mehr Lehrkräfte. Wir haben tüchtig investiert, was sich letztlich aber auszahlt. Solange wir hier ein Gleichgewicht halten können, sehe ich nicht ein, warum man sich durch Leistungsabbau unattraktiv machen soll. Wir haben sogar gleichzeitig noch die Steuern gesenkt und Schulden abgebaut.
Warum geht es Basel-Stadt denn so gut? Hatten Sie einfach Glück?
Wir haben sicher das Glück, mit den Life-Sciences-Firmen eine relativ krisenresistente Leitbranche zu haben. Unser Beitrag ist, Sorge zum Standort zu tragen. Ganz offensichtlich ist uns das nicht schlecht gelungen.
Lange wurde gesagt, dass Basel-Stadt vor allem von hohen Steuereinnahmen von juristischen Personen profitieren kann. Im Wirtschaftsbericht der Region Basel fällt aber auf, dass auch die Steuereinnahmen von den natürlichen Personen stark angestiegen sind. In Baselland, das zur selben Wirtschaftsregion zählt, sieht es weniger gut aus. Wie erklären Sie sich diesen Unterschied? Ist Basel-Stadt attraktiver für besser verdienende Steuerzahler?
Es ist meines Wissens nicht so, dass wir Gutverdienende aus dem Baselbiet abziehen. Der grösste Teil der Zuwanderer sind Auswärtige, viele darunter Deutsche, die seit der Personenfreizügigkeit zu uns kommen. Das ist eine Gruppe mit guten Einkommen, die wegen den attraktiven Arbeitsplätzen zugewandert sind. Das hat sich geändert gegenüber früher: die Einkommen der Zuwanderer sind höher als die von einst. Das wirkt sich natürlich auf die Steuereinnahmen aus.
«Wir gehen davon aus, dass es ein breites Wohnangebot geben muss, dass wir vor allem auch das Bedürfnis nach bezahlbarem Wohnraum abdecken müssen.»
Die bürgerlich dominierte Regierung vor Ihrer Zeit hat sich sehr darum bemüht, gute Steuerzahler nach Basel zu locken. Haben sich diese Massnahmen, etwa der Verkauf von Verwaltungsbauten in attraktiver Innenstadtlage, positiv ausgewirkt?
Das ist schwer zu sagen. Wir haben in der Wohnpolitik den Fächer längst geöffnet, weg von der Fokussierung auf das hohe Einkommenssegment auf ein breiteres Spektrum. Wir gehen davon aus, dass es ein breites Wohnangebot geben muss, dass wir alle Bedürfnisse abdecken müssen, vor allem auch das nach bezahlbarem Wohnraum. Deshalb fördern wir die Entwicklung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus.
Um wieder mehr junge Familien nach Basel zu holen?
Wir wollen eine lebendige Stadt. Die Bevölkerungsstatistiken zeigen, dass wir in der demografischen Entwicklung, also in der Alterspyramide, den Peak früher erreicht haben als der Kanton Baselland, der sich immer noch darauf hinzubewegt. Die Bevölkerung wird in den nächsten Jahren laut Prognosen eher jünger werden.
Ist Basel-Stadt ein Erfolgsmodell?
Diesen Begriff haben wir meines Wissen noch nie benutzt.
Reden wir von einem erfolgreichen Modell: Wie sehr sind Sie als Vorsteherin des Finanzdepartements dafür verantwortlich?
Das hängt weder von mir noch von der Gesamtregierung allein ab. Der Grosse Rat muss mitspielen, am Schluss auch die Bevölkerung. Es ist ein Zusammenspiel, das in den letzten Jahren gut funktioniert hat.
Es wird viel investiert und gebaut. Treten da die einzelnen Departementsvorsteher an Sie heran und sagen: Eva Herzog, ich brauche so und so viele Millionen für eine neue Investition? Etwa für den Ausbau des Stadtcasinos oder des Kunstmuseums?
Die Initiativen stammen von verschiedenen Seiten. Im Fall des Stadtcasinos waren es Private, die den Ausbau anregten und auf uns zukamen. Es ist ganz unterschiedlich. Die ganzen Sanierungen und Neubauten im Schulbereich wurden wegen Harmos notwendig. Es gibt eine Finanzplanung, eine Investitionsplanung und die Schuldenbremse. Wir fühlen uns dafür verantwortlich, dass die wichtigen Projekte alle Platz haben.
Mit «wir» meinen Sie das Finanzdepartement?
Ja. Die anderen Departemente bringen Projektvorschläge ein, wir müssen Vorschläge machen, wie man alles unter einen Hut bringen kann. Es ist ein Zusammenspiel.
Aber wie funktioniert dieses Zusammenspiel? Müssen Sie Ihre Kollegen als Finanzdirektorin manchmal zur finanziellen Raison bringen?
Ich habe kein Vetorecht. Die Regierung entscheidet als Gesamtgremium. Es gibt eine Vorprüfung im Finanzdepartement, was die Wirtschaftlichkeit und Plausibilität der Zahlen angeht. Aber entschieden wird im Gremium.
Eine Frage zum Schluss: Wer hatte die Idee mit der Finanzhilfe an Baselland?
Diese Idee ist in der Basler Regierung entstanden. Es war ein bemerkenswerter Vorgang. Wir haben über die Auswirkungen der Baselbieter Sparmassnahmen diskutiert, es gab Ideen, die wir zusammensetzten, wieder hinterfragten, bis das Paket stand. Damit sind wir an die Baselbieter Regierung herangetreten. Ich habe es als einen höchst spannenden Prozess in Erinnerung, der innert kürzester Zeit ablief – was nicht immer schlecht ist. In den Gesprächen mit den Medien, im Grossen Rat, mit den Menschen, die das Referendum ergreifen wollten, wurde uns nie eine Frage gestellt, die wir nicht beantworten konnten. Das Paket «verhebt», das ist wirklich faszinierend.
Bereitet Politik so Spass?
Man darf ja nicht zu laut sagen, dass man Spass hat. Aber ja. Letztlich war es auch ein Geschenk, dass wir die Finanzhilfe leisten können. Man muss über die nötigen Finanzen verfügen, um so einen unkonventionellen Weg gehen zu können.
Herzog lebt zusammen mit ihrem Partner, dem Wissenschaftsjournalisten Thomas Müller, in Basel. Zusammen haben sie zwei Söhne.