Frau Oberleutnant kämpft gegen die Sonderrolle

Oberleutnant Priska Grütter robbte, marschierte und schoss mit Männern. Nun kämpft sie für die allgemeine Dienstpflicht.

Im Kampf für die Gleichberechtigung: SP-Frau und Offizierin Priska Grütter fordert die allgemeinen Dienstpflicht.

Oberleutnant Priska Grütter robbte, marschierte und schoss mit Männern. Nun kämpft sie für die allgemeine Dienstpflicht.

Wer an eine Frau im Tarnanzug denkt, stellt sich eigentlich einen Mann mit langen Haaren vor: gross, stark und streng. Sobald Oberleutnant Priska Grütter vor einem sitzt, schämt man sich für diese Vorstellung. Die 25-Jährige ist zierlich, lacht viel und spricht noch mehr. Sie muss. Sie ist SP-Politikerin, Offizierin und fordert die allgemeine Dienstpflicht. Für viele ist das ein Widerspruch – und der will aufgelöst werden. «Aber eigentlich ist es nicht schwierig», sagt Grütter und wird ernst, «wenn wir Frauen die gleichen Rechte wollen, müssen wir auch die gleichen Pflichten übernehmen.»

Was für andere eine Pflicht ist, hat sie freiwillig gemacht. Sie robbte, marschierte und schoss mit den Männern. Erst in der RS, dann in der Offiziersschule. Aber nicht etwa die körperlichen Anstrengungen oder die inzwischen über 400 Dienstage haben ihr Mühe bereitet, sondern die Sonderrolle. «Es ist kein gutes Gefühl, wenn man ungewollt eine Sonderbehandlung erhält.»

Oft musste sie sich nach Märschen von den Kameraden entfernen, um einfach nur das T-Shirt zu wechseln. Während der Nächte im Bunker wurde sie in einen separaten Raum abkommandiert, obwohl sie die eine Nacht ebenso im Massenschlag verbracht hätte. «Es ist nicht vorgesehen, dass eine Frau dabei ist, und das merkt man.»

Gegen Ueli Maurers Idee

Sie fordert die Dienstpflicht für alle nicht, damit sie im Militär mehr Kolleginnen hätte, auch wenn sie das begrüssen würde. Sie will auch nicht, dass Frauen nur in der Alterspflege ihren Dienst leisten, wie sich das Bundesrat Ueli Maurer vorstellt. «Männer und Frauen sollen wählen können, ob sie ihren Dienst in der Armee, im Zivilschutz oder im Zivildienst leisten. Sie sollten aber einen Dienst für die Gemeinschaft leisten.»

Sie hat diesen Wunsch vor einigen Wochen in einem Interview mit «20 Minuten online» geäussert und eine Flut von Kommentaren ausgelöst. Zu ihrer Überraschung waren die meisten positiv. «Endlich sagt es jemand», «vielen Dank», «bravo» hiess es in den Kommentaren, und das schrieben ihr auch zahlreiche junge Männer. Kritik kam vor allem von linken Frauen, die erst gleiche Rechte fordern, bevor sie die gleichen Pflichten übernehmen. Ihre Forderungen nahmen ihr auch einige Genossen bei den Jungsozialisten übel. Diese hatten das Gefühl, Grütter dränge sich mit ihrem grünen Tenue in die Medien und verursache einen unnötigen Konflikt innerhalb der Linken.

Auch Dienst für Ausländer

«Die nationalen Medien interessieren sich eben nicht für meine Lokalpolitik», sagt Grütter, die Präsidentin der SP Roggwil ist, «sondern für meine Ansichten zur Armee.» Sie sei der Armee beigetreten, damit sie mitreden könne, und das tue sie nun. Sie verteidigt das Militär nicht nur, sie hinterfragt es auch kritisch. «Ob Panzer und Infanterie heute, da der Gegner nicht mehr einfach so über die Grenze rollt, noch zeitgemäss sind, darüber kann man diskutieren.» Es seien Terror, Katastrophen und politische Konflikte im Ausland, auf die sich die Armee ausrichten sollte.

Grütter hat sich auch Gedanken gemacht, wie ein Dienst für alle aussehen könnte – «und damit meine ich auch Ausländerinnen und Ausländer». In Zukunft sollten alle in der Schweiz wohnhaften jungen Menschen ausgehoben und nach ihren Interessen und Fähigkeiten eingeteilt werden. «Und es findet sich sicher für jeden und jede eine Aufgabe.» Im Militär seien auch nicht nur die Starken und Grossen gefordert. Sie ist überzeugt, dass es auch genügend Möglichkeiten im Sozial- und Gesundheitswesen für die vielen Dienstpflichtigen gebe.

Priska Grütter ist aber auch Realistin. «Mir ist bewusst, dass es ein sehr, sehr grosses Projekt ist und die Umsetzung nicht einfach würde», sagt sie und lächelt. Sie weiss, dass sie auf einem Feld vorausmarschiert, das für viele so unverständlich ist wie ihr freiwilliger Einsatz in der Armee. Ihre Vision gibt sie aber nicht auf. Sie hat gelernt gegen die Sonderrolle zu kämpfen – im Militär.

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.04.12

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