Fremde Regierungsräte: Einer der erfolgreichsten in Basel sprach Urnerdeutsch

Kann einer, der St. Galler Mundart spricht, Basler Regierungspräsident werden? Georg Kreis über eine unsinnige Dialektdebatte.

Solange Hans-Peter Wessels nur lacht, fällt sein Dialekt nicht auf.

(Bild: Hans-Joerg Walter)

Kann einer, der St. Galler Mundart spricht, Basler Regierungspräsident werden? Georg Kreis über eine unsinnige Dialektdebatte.


SVP und Co. betreiben bekanntlich mit den «fremden Richtern» populistische Agitation. Die «Basler Zeitung» ging noch einen Schritt weiter und zielte in einem Artikel (online nicht verfügbar) auf «fremde Regierungsräte».

Warum fremde? In erster Linie weil sie für eine Politik stehen, die dieser Zeitung nicht genehm ist. Das kann man als Medium machen. Doch in diesem Fall ging es darum, dass diese «fremden Magistraten» eine Sprache sprechen, die verrät, dass sie keine Basler Kindheit gehabt haben.

Vor ein paar Wochen also erdreistete sich das ehemalige Basler Hauptblatt mit seinem Hang zur persönlichen Verunglimpfung, die Eignungen von Basler Regierungsräten und insbesondere künftiger Regierungspräsidenten aufgrund der von ihnen gesprochenen Mutter- oder Erstsprache zu thematisieren. Dabei fand sie für den aktuellen Regierungspräsidenten plötzlich anerkennende Worte, weil er, wenn er nicht gerade in Hochdeutsch oder Englisch parliere, immerhin Baseldytsch rede.

Im Poetry-Slam sollen St. Galler besser dran sein als Berner. Da sich aber Regierungsräte nicht in dieser Gattung betätigen, nützt ihnen das wenig.

Diese Ausführungen standen im Dienste der Absicht, den seit über 30 Jahren hier lebenden und seit 2009 als Regierungsrat wirkenden Hans-Peter Wessels wegen seines St. Galler Dialekts halbwegs zu einem «Fremden» zu machen. Damit wurde die generellere Frage verbunden, ob Ausserkantonale insbesondere ihrer Sprache wegen weniger geeignet seien, kantonale Regierungsgeschäfte zu leiten.

Ob dieses Nichtproblem zu einem Problem gemacht werden kann, hängt ein Stück weit vom fraglichen Dialekt ab. Wenn es nächstens darum geht, ob eine Bernerin wie Esther Friedli in St. Gallen SVP-Regierungsrätin werden kann, dürfte der Dialekt der Kandidatin weniger ein Problem sein als die Tatsache, dass sie Toni Brunners Lebenspartnerin ist.

Allgemein wird Berndeutsch als sympathischer empfunden als der St. Galler Dialekt. Im Poetry-Slam sollen die St. Galler laut Fachleuten besser dran sein als die Berner. Da sich aber Regierungsräte nicht in dieser Gattung betätigen, nützt ihnen das wenig.

In Zürich regieren Leute aus dem Aargau und der Innerschweiz.

Die Studie, die systematisch aufzeigen würde, wie «ausserkantonale» Magistraten mit grösster Selbstverständlichkeit als Regierungsräte tätig waren, einerseits vom Stimmvolk ohne spezielle Beachtung der «fremden» Herkunft mandatiert und andererseits für das ihnen anvertraute Gemeinwesen tätig waren, diese Studie gibt es (noch) nicht.

Aber es gibt manche Beispiele. Was die Gegenwart betrifft, würde man auch bei Corine Mauch landen, der Aargauerin, die Zürcher Stadtpräsidentin ist. Ihre Vorgänger Elmar Ledergerber und Josef Estermann stammten beide aus der Innerschweiz. Aus Basler Sicht mögen in diesem Fall Herkunft und Wirkungsort nicht besonders weit auseinanderliegen, jedenfalls weniger weit als St. Gallen und Basel.

Um in Basel zu bleiben: Da gab es den vormals deutschen Hans Heinrich Wilhelm Reese, 1882 in Basel eingebürgert, der von 1894–1907 Regierungsrat war, in dieser Funktion nicht St. Gallerisch, sondern Hochdeutsch sprach und als Vorsteher des Baudepartements in der Stadterweiterungsphase nach 1880 eine ganz wichtige Rolle spielte.

Unbeachtet blieb seine Sprache allerdings nicht: Es gab Stimmen, die bemerkten, dass Reese wegen seiner sprachlichen Eloquenz den Einheimischen, die nur Dialekt parlierten, überlegen war und deswegen das eine oder andere Projekt durchboxen konnte.

Ein katholischer Urner als Basler Regierungsrat

Einer der erfolgreichsten Basler Regierungsräte war der Freisinnige Alfred Schaller, Bürger von Wauwil (BE) und 1908 in Flüelen (UR) zur Welt gekommen, katholisch, Gymnasialausbildung in Schwyz, Sohn eines Bahnhofsvorstands. Er kam als SBB-Beamter nach Basel, wo er an der Uni 1935 in Volkswirtschaft doktorierte.

1938 bis 1950 sass er als Links- Freisinniger (Radikaler) im Basler Grossen Rat, 1950 wechselte er auf die Regierungsbank und war dann – als «Nichtbasler» – bis 1966 baselstädtischer Finanzdirektor. 1947 wurde er zudem Basler Nationalrat, im Amtsjahr 1966/1967 durfte er als Basler und ideale gesamteidgenössische Mischung als «höchster Schweizer» die Volkskammer präsidieren.

Welchen Dialekt sprach Alfred Schaller? War sein vielleicht verwaschener Urnerdialekt ein Nachteil oder ein Vorteil? Fest steht, dass er in Basel seine Arbeitskraft mehreren sehr baslerischen Betrieben hatte zukommen lassen: zunächst der Rheinschifffahrt, dann den «Drämli» der BVB, dann der Mustermesse.

Die auch in körperlicher Hinsicht mächtige und eine ganze Ära prägende «Schallere» war, wie Walter Schäfer schon in der TagesWoche vom 4. Januar 2013 bemerkt hat, stets «ein dankbares Opfer für die Basler Schnitzelbänggler, die ihn mit unvergesslichen Versen liebevoll aufs Korn nahmen».

Baselland wurde einst von einem Zürcher vor der Wiedervereinigung mit Basel-Stadt gerettet.

Blicken wir in die Nachbarkantone: Da gab es in den 1960er-Jahren zwei besonders wichtige Regierungräte, die nicht aus dem Buure-Kanton stammten und das Lied «Vo Schönebuech bis Ammel» wohl als Erwachsene erst noch lernen mussten. Der eine war Paul Manz, der im zürcherischen Wila zur Welt gekommen war, aber als Ehrenbürger in Rothenfluh zu Grabe getragen wurde.

Manz kam als Pfarrer ins Baselbiet, stieg die politische Leiter hinauf und war 1967–1982 Regierungsrat. In dieser Position erarbeitete er sogar für «seinen» Kanton das Baselbieter Leitbild und er rettete «sein» Baselbiet 1969 vor der Wiedervereinigung. Die Zürcher Herkunft kam dann wieder zum Zug, als er 1982 Direktor der Krankenfürsorge Winterthur wurde.

Manz’ Kontrahent war der in Zürich zur Welt gekommene und in Muttenz verstorbene Leo Lejeune, nicht Pfarrer, aber Pfarrersohn, über Coop in die Basler Region gekommen, 1959–1975 Regierungsrat, wie Manz Mitglied des Verfassungsrats beider Basel, aber im Unterschied zu Manz ein entschiedener Befürworter der Wiedervereinigung. Indem er das rückständige Baselbieter Bildungswesen stark ausbaute, förderte er zugleich auch die Unabhängigkeit der Landschaft von der Stadt und damit paradoxerweise auch die Ablehnung der von ihm gewünschten Wiedervereinigung.

Bemerkungen zum Sprachlichen berühren besonders

Ein «Fremder» der jüngeren Zeit ist der im Emmental (als Bürger von Trub in Langnau) geborene ehemalige Baselbieter Regierungsrat Urs Wüthrich. Seine ersten politischen Erfahrungen sammelte er im Gemeinderat von Zuchwil (SO). Als Zentralsekretär des in Zürich domizilierten VPOD mit Spezialzuständigkeit für die Nordwestschweiz lernte er das Baselbiet näher kennen – und schätzen, im doppelten Sinn wegen des Klimas, das heisst wegen der unkomplizierten, hemdsärmligen Art und – aus der Mittellanderfahrung – wegen der wesentlich geringeren Zahl an Nebeltagen.

In Wahlkämpfen stiess Wüthrich wegen seines Dialekts nie auf Ablehnung, einmal erklärte ihm ein Baselbieter Bürger, dem der Emmentaler Dialekt des Magistraten doch auffiel, das sei kein Problem. Problematischer wäre es, wenn er mit einem «gächen» Thurgauer Dialekt daherkäme.

Als er am 25. Juni 2015 im Landrat offiziell verabschiedet wurde, enthielt die Würdigung seiner Person die Bemerkung, dass man noch heute höre, dass er aus dem Emmental stamme. Das Protokoll notierte darauf «Heiterkeit», was zeigt, dass Bemerkungen zum Sprachlichen besonders berühren.

Gibt es im Tun einer Magistratsperson nicht Wichtigeres als das Entertainment in lokalen Lauten?

Nochmals kurz zurück in die Stadt: Sie hat zurzeit zwei Regierungsräte mit basellandschaftlichem Migrationshintergrund: Christoph Brutschin ist in Therwil aufgewachsen, Eva Herzog in Pratteln, aber sprachlich geprägt von der Mutter aus Metzerlen (SO). Beiden hört man das an, und bei beiden ist es kein Thema. Man könnte sich jedoch fragen, wie das im umgekehrten Fall wäre: ein Baselbieter Regierungsrat mit baselstädtischer Herkunft und entsprechendem Dialekt?



Die sonderbare Diskussion um die Dialekte von Magistraten berührt auch die Frage, welche Bedeutung «Kommunikationskompetenz» (wie man sagt) überhaupt hat. Diese kann egal ob Baseldytsch oder St. Gallerisch vorhanden oder nicht vorhanden sein. Aus einer falschen Anspruchshaltung wird da die Erwartung begünstigt, dass mündliche Botschaften in der Spracheigentümlichkeit (dem Idiom) der Mehrheit der Empfangenden abgegeben werden müssten. Und dies – was der Gipfel der Borniertheit ist – am Beispiel der christlichen Botschaft, der Weihnachtsansprache. Kommt es da nicht in erster, zweiter und dritte Linie auf den Inhalt an?

Gibt es im Tun einer Magistratsperson nicht Wichtigeres als das Entertainment in lokalen Lauten? Der Basler Dialektfreund Carl Miville, zum eminenten Problem konsultiert, sieht im Ortsdialekt einen gewissen Vorteil, fügt dann aber bei: «Aber natürlich ist es nicht das einzige Kriterium. Am Schluss wählt man eine Person unabhängig vom Dialekt.» – Schöne Ostern!

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