Fünf Jahre nach der Revolution stehen die Zeichen auf Zerfall

Libyen steht fünf Jahre nach der Revolution am Scheideweg. Gelingen keine Schritte zur Umsetzung des Skhirat-Abkommens vom letzten Dezember, ist der Zerfall des Landes kaum zu stoppen.

Anti-Gaddafi fighters fire a multiple rocket launcher near Sirte, September 24, 2011. The fifth anniversary of the Libyan uprising which overthrew dictator Colonel Muammar Gaddafi takes place on February 15. The conflict was sparked by clashes in Benghazi and escalated into a rebellion that spread across the country. Gaddafi was captured and killed on October 20, 2011. Libya is currently caught up in a conflict between two rival factions who once battled together against the late Libyan leader. REUTERS/Goran Tomasevic SEARCH "LIBYA UPRISING" FOR ALL IMAGES

(Bild: REUTERS/Goran Tomasevic)

Fünf Jahre nach dem Beginn der Revolution des 17. Februar steht Libyen am Scheideweg. Gelingt es nicht bald, das Abkommen von Skhirat umzusetzen, wird die Spaltung des Landes zementiert und der wirtschaftliche Niedergang beschleunigt. Der Streit um die Rolle ehemaliger Gaddhafi-Weggefährten spielt immer noch eine zentrale Rolle.

Es fliegen scharfe, gehässige Worte und auch Wasserflaschen. Hardcore-Anhänger des gestürzten Gaddhafi-Regimes benützten vor wenigen Tagen Diskussionsveranstaltungen an der Kairoer Buchmesse, um sich in Szene zu setzen.

Fünf Jahre nach dem Beginn der Revolution des 17. Februar sind die Unterstützer der Revolution, die auf dem Podium sitzen wie der Menschenrechtsanwalt Hafez al-Ghoga und der ehemalige Innenminister Ashour Showeil, für sie schlicht Verräter, Handlanger der USA und schuld am Tod von vielen Menschen. Für sie bleibt Muammar Gaddhafi ein Eroberer und Held des arabischen Nationalismus. 

Die alte libysche Garde erhält Unterstützung in Kairo

In Ägypten lebt eine grosse Gemeinschaft von Exil-Libyern, für die es nur die September-Revolution von 1969 gibt, als Gaddhafi de facto Libyens Herrscher wurde. Ihr prominentestes Sprachrohr ist Ahmed Mohammed Gaddaf al-Dam, der Cousin des Diktators, der einst zum innersten Zirkel des Diktators gehörte und sich nach Beginn der Rebellion in Benghazi am 17. Februar 2011 nach Ägypten absetzte.

Nach seinen eigenen Aussagen war der Gaddhafi-Cousin nicht einverstanden mit der harschen Reaktion des Regimes auf die ersten Proteste. Er geniesst heute noch grosses Ansehen unter den einflussreichen Stämmen im Osten und im Süden Libyens. Gaddaf al-Dam kämpft dafür, dass die alte Garde auch eine Stimme in der politischen Vereinbarung, dem Skhirat-Abkommen, erhält, das unter UN-Vermittlung im vergangenen Dezember unterzeichnet worden ist. Seine Meinung kann er regelmässig über Interviews in ägyptischen Fernsehkanälen verbreiten.

Hunderte bewaffnete Milizen haben das Vakuum nach Gaddhafi ausgenützt und nach und nach die Herrschaft übernommen.

Fünf Jahre nach dem Ausbruch der Rebellion steht Libyen an einer entscheidenden Wegkreuzung. Gelingt es nicht, in den kommenden Tagen und Wochen ernsthafte Schritte zur Umsetzung des Skhirat-Abkommens zu machen, ist der Zerfall des Landes kaum mehr aufzuhalten. Nach dem Sturz der Diktatur ist es nicht gelungen, politische Institutionen aufzubauen; ein Prozess, der bei null angefangen werden musste, denn Gaddhafi regierte mit einem bizarren, künstlichen Gebilde aus Volksräten. Ein Kartenhaus, das bei seinem Sturz in sich zusammenbrach.

Hunderte bewaffnete Milizen haben dieses Vakuum ausgenützt und nach und nach die Herrschaft übernommen. In den vergangenen Monaten haben sich auch die Jihadisten des Islamischen Staates (IS) eingenistet. Sirte, die Geburtsstadt Gaddhafis, ist zu einem Anziehungspunkt für Hunderte meist ausländischer IS-Kämpfer geworden. Ihr Ziel ist die Eroberung der nahegelegenen Ölinstallationen. Aufklärungsflugzeuge mehrerer westlicher Staaten sind regelmässig vor Ort, um diese Entwicklung zu beobachten.

Zwei Regierung, zwei Parlamente – aber nur ein Land

Seit mehr als einem Jahr ist das Land in zwei Machtblöcke gespalten, einen im Westen mit Sitz in Tripolis und einen im Osten – er ist international anerkannt – in Tobruk. Beide haben eine Regierung, ein Parlament und stützen sich auf bewaffnete Kräfte. In Tripolis sind zwar die Vertreter islamistischer Strömungen stärker, aber die Auseinandersetzung ist nicht in erster Linie eine ideologische, es ist ein Kampf um Macht und Ressourcen.

Das Erbe der Gaddhafi-Diktatur spiegelt sich auch in der gesellschaftlichen Entwicklung des Landes wider. Die Gesellschaft sei immer noch geprägt von barbarischen Stammestraditionen. Die soziale Struktur habe sich nicht entwickelt wie die Infrastruktur. Es gebe gewaltige Differenzen zwischen den ungebildeten Stammesältesten, die das Land noch sehen wie zu Zeiten ihrer Grossväter, und den weltgewandten Trägern von Doktortiteln, schreibt der libysche Kolumnist Omar al-Kida.



Abdel Hafez al-Ghoga an einer Podiumsdiskussion über Libyen kürzlich an der Kairoer Buchmesse.

Er wird regelmässig angefeindet, dennoch sieht er wichtige Errungenschaften der Revolution: Abdel Hafez al-Ghoga an einer Podiumsdiskussion über Libyen kürzlich an der Kairoer Buchmesse.

In dieser von Stämmen, Regionen und Ethnien geprägten Kultur gelang es in den letzten fünf Jahren auch nicht, politische Parteien zu etablieren. Die unter UN-Vermittlung seit über einem Jahr dauernden Bemühungen für eine politische Lösung der Krise sind geprägt von Streitereien um den Einfluss von Regionen und Stämmen. Die tatsächliche oder vermeintliche Nähe zum alten Regime hat in den vergangenen Jahren aber auch immer eine zentrale Rolle gespielt.

Im Gespräch in Kairo weist Hafez al-Ghoga, Menschenrechtsanwalt und im Februar 2011 Mitglied des Nationalen Übergangsrates, darauf hin, dass die Revolution anfangs von vielen Leuten angeführt wurde, die schon unter Gaddhafi hohe Funktionen hatten. «Wir haben damals niemanden ausgeschlossen und gegen das Isolationsgesetz gekämpft, das später durchgesetzt wurde und zu der heutigen Polarisierung geführt hat», präzisiert er. (Das Isolations­gesetz schliesst alle Personen, die zur Stabilität des Gaddhafi-Regimes beigetragen ­haben, für zehn Jahre von politischen Funktionen und ­hohen Staatsämtern aus, red.) 

Als Stärkung der alten Garde wurde auch der Aufstieg von General Haftar gesehen, der seit März 2015 Armeechef in Tobruk ist, nachdem er in eigener Regie in Benghazi einen Kampf gegen Terroristen und Islamisten lanciert hatte.

Es gibt auch Gründe zu feiern

Die Stellung von Haftar ist in diesen Tagen eine der wichtigsten Hürden, an der die Umsetzung des Abkommens von Skhirat scheitern könnte. Fayaz al-Serraj, der designierte Premier einer Regierung der Nationalen Einheit, hat es bisher nicht geschafft, ein Kabinett zusammenzustellen, das vom Parlament in Tobruk abgesegnet wird, vor allem weil Haftars Loyalisten Obstruktion betreiben.

Gelingt die politische Einigung nicht, wird die Spaltung des Landes weiter zementiert, der wirtschaftliche Absturz beschleunigt und ein gemeinsames Vorgehen gegen den IS verunmöglicht. Die Politiker hätten offensichtlich den Ernst der Lage immer noch nicht erfasst, stellte ein Kommentator fest.

Dennoch: In vielen Städten wird der Jahrestag der Revolution mit Flaggen, Folkloreshows und Feuerwerk gefeiert. Die Revolution habe auch viel Positives gebracht, unterstreicht Ghoga. Die vielleicht wichtigste Errungenschaft sei die Meinungsfreiheit. Jeder in Libyen könne heute sagen, was er wolle, und es gebe das Recht auf Partizipation; alles Dinge, die unter Gaddhafi verboten waren.

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