«Für mich war es ein Anlass von Eliten für Eliten»

Marianne Meier, Expertin für Sport in der Entwicklungsarbeit, über die Chancen und Gefahren, die Mega-Anlässe wie Fussball-Weltmeisterschaften mit sich bringen.

The goalkeeper of a youth football team waits for the next ball during a training session, captured on June 9, 2010 in Vanderbijlpark, South Africa. (KEYSTONE/Peter Klaunzer) (Bild: Keystone/Peter Klaunzer)

Marianne Meier, Expertin für Sport in der Entwicklungsarbeit, über die Chancen und Gefahren, die Mega-Anlässe wie Fussball-Weltmeisterschaften mit sich bringen.

Mit einem Fussball-Grossanlass hatte Marianne Meier schon im Vorfeld der Europameisterschaft 2008 zu tun, als sie sich als Mitarbeiterin des Bundesamtes für Polizei mit dem Sicherheitskonzept befasste. Später leitete sie im Rahmen des Netzwerks «Football for Hope», einer Zusammenarbeit von Fifa und Streetfootballworld, ein zweijähriges Projekt zu «Monitoring und Evaluation». In diesem Rahmen führte sie Workshops und Erhebungen in Südafrika durch. Zurzeit schliesst die 36-Jährige, die im Vorstand von Terre des Hommes Schweiz aktiv ist, ihre Dissertation am Lehrstuhl für Sportpädagogik der Technischen Universität München ab.

Marianne Meier, die Streitfrage ist stets, ob sportliche Grossanlässe längerfristig einen positiven Einfluss auf das Ausrichterland haben. Was würden Sie im Rückblick auf Südafrika sagen?

Was flächendeckend war, und das hat mich berührt, das war dieser Stolz, das erste afrikanische Land zu sein, das eine WM ausgerichtet hat. Dieser Stolz hält noch heute an. Darüber hinaus muss man echte Nachhaltigkeit suchen. Es wurde natürlich in die Infrastruktur investiert. Aber für mich war es ein Anlass von Eliten für Eliten.

Nützt die Infrastruktur nicht der gesamten Bevölkerung?

In Kapstadt wurde eine Strasse vom Flughafen in die Stadt gebaut. Das ist gut für jene Menschen, die einen Flughafen gebrauchen können. Wenn es um den Grossteil der Bevölkerung ginge, wären andere Strassen sicher nötiger. Oder nehmen Sie das Stadion in Kapstadt: Fussball ist in Südafrika der Sport der Schwarzen. Trotzdem wurde Green Point als Standort gewählt. Damit steht ein Fussballstadion in einer Nachbarschaft, die sich vor allem für Cricket und Rugby interessiert.

Sie sprechen von den weissen Elefanten: Stadien, die für die WM gebaut wurden und danach nicht mehr ausgelastet sind.

Es gibt auch kleinere Beispiele, die die Diskrepanz aufzeigen zwischen jenen, die die WM veranstaltet haben, und der Bevölkerung, die ganz andere Bedürfnisse hat. 2008 wurden in Kapstadt Bäume gepflanzt, um die Umgebung des Stadions zu begrünen. Die wurden dann über Nacht alle gestohlen. Da sieht man: Es gibt Leute, die wollen schöne Spiele. Und andere, die kämpfen ums Überleben. An die wird kaum gedacht. Zum Beispiel, wenn den Kindern während der WM schulfrei gegeben wird, während Eltern darauf angewiesen sind, dass ihre Kinder in der Schule essen. Und das fällt dann einen Monat lang aus.

Der Fifa wird vorgeworfen, sie schreibe ihre eigenen Gesetze.

Das sieht man jetzt in Brasilien. In Südafrika wurde das Streikrecht während der WM nicht eingeschränkt. Dann gab es einen Streik der Sicherheitskräfte, die viel schlechter bezahlt werden sollten als vereinbart. Die Lehre daraus? In Brasilien wird ein Monat vor sowie während der WM das Streikrecht ausgesetzt. Überhaupt: In Südafrika hat die Fifa einen Rekordgewinn von 2,2 Milliarden Franken gemacht. Und Südafrika blieb auf Schulden von 2,7 Milliarden sitzen. Das kann ja nicht sein. Aber der Slogan war schon an der Euro 2008 von der Uefa zu hören: You bring the house, we bring the party. Das gilt auch für die Fifa.

Das ist doch sehr ehrlich. Wer sich die Party im eigenen Haus leisten kann, soll sie haben.

Das ist absolut ehrlich. Aber hier werden Privatwirtschaft und Staat vermischt. Der Punkt ist, dass die Verträge schon unterschrieben sind, wenn die Bevölkerung realisiert, was eine WM für sie alles bedeutet. Darum freuen sich zum Beispiel die Strassenverkäufer zuerst auf die WM und merken später, dass es Zonen gibt, in denen sie unerwünscht sind. Zudem sollte auch ein noch so wichtiger Sportverband nicht die Macht haben, indirekt eine Verfassung auszuhebeln. Auch nicht auf Zeit.

«Noch heute leben Leute, die wegen der WM umgesiedelt wurden, in Baracken.»

In Brasilien scheint die WM auch dazu genutzt zu werden, Quartiere aufzuwerten, indem die arme Bevölkerung vertrieben wird. Gab es diese Art von Gentrifizierung in Südafrika?

Es gibt in Südafrika Leute, die umgesiedelt wurden und noch heute in sogenannten «Tin Can Towns», also in Blechhäusern und Baracken, leben. Das meine ich mit von Eliten für Eliten: Jene, die die Verträge mit der Fifa unterschreiben, sind kaum jene, die umgesiedelt werden. Ob es aber eine grossflächige Gentrifizierung gab, kann ich nicht für ganz Südafrika beurteilen.

Die Umstrukturierung von Quartieren ist aber kaum Vorschrift der Fifa.

Das ist eben die Frage: Inwiefern sind die Städte froh, dass sie aufräumen und den Schwarzen Peter der Fifa zuschieben können? Es ist schwierig, solche Entwicklungen immer nur mit Episoden zu belegen. Es müssen Fakten gesammelt werden, was in Südafrika zu wenig der Fall war. Darum ist es gut, dass in Brasilien eine Bewegung entstanden ist, die solche Prozesse vielleicht nicht komplett verhindern kann, sie aber sicher dokumentiert.

Die Fifa spricht immer von dem Erbe, das sie in den Austragungsländern hinterlassen will. «Football for Hope» ist so eine Initiative, in welche Sie beruflich selber Einblick hatten.

Ja, im Rahmen von «Football for Hope» sollte das Projekt «20 Centres for 2010» auf die WM hin fünf Zentren in Südafrika und fünfzehn im restlichen Afrika errichten. Aber die Anlage in Khayelitsha, einem Township bei Kapstadt, war die einzige, die rechtzeitig fertig war. Khayelitsha ist relativ sicher und gut erreichbar vom Flughafen aus. Darum hat sich während der WM alles dort konzentriert. Auch Projekte anderer Organisationen und Firmen sind aus dem Boden geschossen, es wurden Journalisten herumgeführt. Aber zehn Kilometer weiter entfernt, in Quartieren mit grösseren Problemen, ist fast nichts passiert.

Ist das also Pflästerlipolitik? Immerhin hat die Fifa Südafrika insgesamt 80 Millionen Dollar für soziale Gemeindeprojekte versprochen.

Es ist schwierig zu beurteilen, inwiefern das Versprechen eingelöst wurde. Die «20 Centres for 2010» kosten die Fifa etwa zwei Millionen Euro, aber die zielen ja nicht nur auf Südafrika ab. Im Vergleich zum Gewinn, den die Fifa erwirtschaftet hat, erscheint es wie ein Feigenblatt. Aber ich will das Projekt nicht schmälern, es ist in den Grundzügen gut durchdacht. Die Zentren werden wirklich gebaut und bleiben bestehen. Die Fifa hat begriffen, dass so etwas nachhaltig sein muss. Und es ist richtig, dass die Zentren von lokalen Organisationen geleitet werden, die mit der Fifa kooperieren. Aber im Verhältnis zu ihrem Gewinn könnte die Fifa viel mehr machen.

Ist es überhaupt sinnvoll, Mega-Events wie eine WM in Ländern auszutragen, in denen die Schere zwischen Arm und Reich derart auseinandergeht wie in Südafrika oder Brasilien?

Es wäre eine riesige Chance, wenn man es anders aufgleisen würde, mit einer etwas längerfristigen und nachhaltigeren Planung. Derzeit würde ich einem Land bei einer emotionslosen Plus-minus-Rechnung von einer WM abraten. Aber der immaterielle Wert des gewachsenen Stolzes, des Nationalgefühls und des Imagegewinns kann nicht wirklich berechnet werden. Die Frage ist, wie viel ist das wert? Derzeit bleibt der Beigeschmack, dass der Profit abgeschöpft wird und die Karawane danach weiterzieht.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 15.02.13

Nächster Artikel