Tal der Loire – Tal der Schlösser: Und zu einem richtigen Schloss gehört ein riesiger Wald. Ein kurzer Spaziergang nach Ste-Dyé-sur-Loire, wo ich auf Besuch warte.
Hab im ersten Stock dieses leicht verkommen Château du Breuil geschlafen wie ein Fürst, es war still in diesem Park, nur Vogelgezwitscher im Morgengrauen. Und die Frühstückgsgesellschaft schien mir aus einer etwas anderen Zeit: Ausnahmlos alternde, britische Ehepaare, die ihren Tee schlürften und Croissants kauten.
Es war ein weiter Weg aus dem Schlosspark hinaus, hab ihn von gestern Abend gekannt und die Reise nach Chevreny angenehm, da sich der Himmel leicht verdeckt zeigte. Erst kartenloses Weitergehen. In Tour-en-Sologne fand ich mich erstens wieder auf der Karte und zweitens plötzlich inmitten einer Horde deutscher, radelnder Urlauber, denen ich ungeschickterweise meine Herkunft und mein Ziel erklärte. Sie schauten mich an, wie einen bunten Affen im Zoo, betatschten mich und versuchten, meinen Rucksack zu heben.
Konnte ihnen entfliehen und stiess in einen Wald, der sich kilometerweit rund um das riesige Schloss Chambord erstreckt. Wege mit fürstlichen Namen in einem alten fürstlichen Wald, mutterseelenallein über diese Pfade, die abzweigten, wenn vorn die weit ums Schloss gezogene Mauer auftauchte. Marschierte zu, hatte den kleinen Mini-Disc-Player aus dem Rucksack gekratzt, die Ohrstöpsel eingesteckt und bin so nach St-Dyé-sur-Loire gewandert, wo ich auf Sylvia wartete. Sie wird mich in den nächsten Tagen begleiten, ist am Vormittag mit dem Auto in Bern aufgebrochen und wird mich hier treffen. Sie hat mich immer etwas auf die Schippe genommen, wenn ich von meiner Idee, von Schottland nach Sizilien zu wandern, erzählte, und nun will sie sehen, wie das so geht. Sie hat den Weg hierher etwas unterschätzt, ich warte eine ganze Weile. Dann – ein freundliches Wiedersehen, sie hat viel erlebt in letzter Zeit, ich natürlich auch, wir plaudern, haben viel zu erzählen, suchen eine Unterkunft und dann einen Ort zum Essen.
(Ste-Dyé-sur-Loire, 15. Juni 2002)