Fusions-Initiative: Leben an der Demarkationslinie

Die Steinbühlallee gehört auf der einen Seite zum Halbkanton Basel-Stadt und auf der anderen zum Halbkanton Baselland. Mein Leben am absurdesten Ort dieser Kantonsteilung.

Die Strasse hier gleich links nach dem Schild «Allschwil» ist gar nicht Allschwil. Also, zumindest nicht die Strasenseite auf der ich lebe. (Bild: Florian Raz)

Die Steinbühlallee gehört auf der einen Seite zum Halbkanton Basel-Stadt und auf der anderen zum Halbkanton Baselland. Mein Leben am absurdesten Ort dieser Kantonsteilung.

Wer aus der Basler Innenstadt kommt und mich besuchen will, passiert zuerst ein Ortsschild. «Allschwil» steht da schwarz auf dreckgrauem Grund. Unmissverständliches Zeichen des Gemeinde- und Kantonswechsels. Pardon – des Halbkantonswechsels.

Gleich nach dem Schild geht es scharf links. Und jetzt wird es etwas verwirrlich: Hier ist nämlich noch gar nicht das Baselbiet. Die linke Seite der Steinbühlallee gehört zu Basel und bloss das rechte Trottoir ist auf Allschwiler Boden.

Die Strasse gehört zur Stadt, weswegen es hier auch eine Blaue Parkzone hat. In dieser dürfen die Bewohner der Postleitzahl 4054 (Basel) mit Anwohnerkarten unbeschränkt parken. Für die Anwohner mit der Postleitzahl 4123 (Allschwil) gilt das nicht. Obwohl sie an derselben Strasse wohnen.

Ich lebe am absurdesten Ort dieser beiden Halbkantone.

Früher waren hier, auf dem Gebiet zwischen Allschwil und Basel, Wiesen und Felder. Dann wucherten die Bauzonen auf beiden Gemeindeböden aufeinander zu. Unaufhaltsam, bis die Gebäude so aneinandergewachsen waren, dass kein Ortsunkundiger auf die Idee käme, hier sei eine Grenze. Ist sie aber.

Der unerreichbare Kindergarten

Schaue ich bei uns im ersten Stock aus dem Fenster, dann blicke ich direkt auf einen Kindergarten. Knapp 150 Meter von mir entfernt, ist er doch für meine Tochter unerreichbar. Denn er steht auf der falschen Strassenseite.

Als ich auf der Allschwiler Gemeinde anrufe, ob ich mein Kind denn am Sandweg in den Kindergarten schicken könne, obwohl ich einer von denen dort drüben bin, da lacht die Frau am anderen Telefon. «Neeeeeein», bremst sie mich, «wenn man in Basel-Stadt lebt, dann sollte das Kind auch dort in die Schule.»

Natürlich könne ich eine Sonderbewilligung beantragen. Dann müsse aber der Kanton Basel-Stadt einwilligen, die Schulgelder von rund 12’000 Franken im Jahr zu übernehmen. Tut er natürlich nicht. «Keine Chance», bescheidet mir die Frau des Erziehungsdepartements Basel nett – aber bestimmt.

Die Krippen: leider auf der falschen Strassenseite

Nun ist nicht nur der für uns am nächsten gelegene Kindergarten in Allschwil. Auch die am einfachsten zu erreichende Primarschule steht auf Landgebiet. 500 Meter sind es bis zum Bettenacker. Um zum Gotthelfschulhaus zu kommen, wird unsere Tochter dagegen dereinst einen Kilometer weit gehen und den stark befahrenen Morgartenring überqueren. Nein, ein wirkliches Problem ist das nicht – aber so richtig einsichtig halt auch nicht.

Bevor unsere Tochter so weit ist, dass sie in den Kindergarten oder die Schule kommt, würden wir sie gerne in eine Krippe schicken. Kein Problem eigentlich in unserer Umgebung – alleine an der Steinbühlallee hat es zwei Tagesstätten. Bloss liegen die auf der anderen Strassenseite.

Dumm gelaufen. Als Grenzgänger verliert ein Kind nämlich jedes Anrecht auf einen subventionierten Krippenplatz. Heisst: von vier Krippen in unserem Quartier fallen drei weg, weil sie im von uns aus gesehen falschen Halbkanton liegen.

Die Vorteile des Grenzgängers

Natürlich, das Leben an der Demarkationslinie hat nicht nur Nachteile. Verpasse ich in Basel die Papierabfuhr, kann ich meine alten Zeitungen auch mal rüber auf das andere Trottoir schleppen, weil Allschwil andere Abfuhrdaten hat. Und es ist total praktisch, dass bei den Landschäftlern neben dem Glascontainer auch eine Altöl-Sammelstelle steht.

Aber kaufen Sie mal in der Migros Paradies Bebbi-Säcke. Falsche Gemeinde. Und warum schon wieder können wir nicht mitreden, ob die Fahrzeiten des 48er-Busses ausgebaut werden, der unsere Nachbarschaft direkt mit dem Bahnhof SBB verbindet? Ach ja, das wird ja in Liestal und Allschwil entschieden. Es ist die ganz eigene Logik der Kantonsteilung.

Dieser folgt auch die Verkehrsführung in unserem Quartier. Oder sind es wegen der Kantonsgrenze zwei Quartiere? Die Steinbühlallee (Gebiet der autokritischen Städter) ist 30er-Zone. Der Baselbieter Sandweg, knapp halb so breit wie die Steinbühlallee, darf natürlich mit 50 Kilometern in der Stunde befahren werden. So wie alle Querstrassen auf Allschwiler Gebiet. Wir sind ja schliesslich auf dem Land hier.

Die unüberbrückbaren kulturellen Unterschiede

Dasselbe gilt auch für Bauvorlieben. Die Häuserzeilen des Basler Neubad-Quartiers sind so uniform, dass ich mich auch ein Jahr nach meinem Umzug noch immer verirren kann. In Allschwil dagegen scheint jeder zu bauen, worauf er gerade Lust hat. Also steht eine Wellblech-Industriehalle neben einem Berner Chalet, neben Reiheneinfamilienhäusern, neben einem Mehrfamilienblock, neben einer Villa mit Swimmingpool, neben einer Tankstelle.

Vielleicht sind das ja diese unüberbrückbaren kulturellen und geistigen Unterschiede zwischen Städtern und Landschäftlern, die von Fusionsgegnern gerne ins Feld geführt werden.

Ob so viel krassen Gegensätzen von Stadt und Land, die direkt vor meinem Fenster aufeinanderprallen, bin ich froh, gibt es auch eine Klammer, die alles zusammenhält: Die Coop- und Migros-Verkäuferinnen, sie kommen auf beiden Seiten der Kantonsgrenze aus dem Elsass.

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