Sie sind Einwanderinnen in einem Auswanderungsland: Tagesmütter aus den Philippinen, die für wohlhabende, rumänische Familien arbeiten. Die Gastarbeiterinnen seien gläubig und treu, betonen die Agenturen, die mit der Vermittlung lukrative Gewinne machen. Doch hinter dem Geschäft verstecken sich oft Ausbeutung und Missbrauch.
Der süsse Duft der Lindenbäume füllt den Garten, eine Jazzband spielt im Hintergrund, und Ynia gönnt sich eine grosse Limonade mit frischer Minze. Sie hat endlich Feierabend. Die Kinder der Arbeitgeber schlafen schon, ihr eigener Sohn wird heute von ihrem Freund betreut.
Es ist einer dieser warmen Sommerabende: Die eleganten Cafés der Innenstadt sind gefüllt, auf der Flaniermeile Calea Victoriei geht die Bukarester Schickeria mit klackernden Absätzen spazieren. Die permanente Angeberei der rumänischen Hauptstadt hat ihren Charme, findet Ynia. In Manila seien die Menschen viel bescheidener und die Stimmung nicht so glamourös und liberal.
Seit fast vier Jahren lebt die 30-jährige Frau aus den Philippinen in Rumänien. 2011 geriet ihre Familie in finanzielle Schwierigkeiten. Das kleine Geschäft mit Ledergürteln und Portemonnaies ging Bankrott. Als ältestes Kind musste Ynia ihr Studium der Ingenieurwissenschaften unterbrechen, um ihre Geschwister zu unterstützen. Sie beschloss, dem Beispiel vieler anderer Philippinerinnen zu folgen und sich um eine Stelle als Tagesmutter in Europa zu bewerben.
Jeden Tag verlassen laut Statistiken philippinischer Behörden rund 360 Menschen den Inselstaat mit seinen 100 Millionen Einwohnern. Die philippinische Diaspora wird auf mehr als zehn Millionen geschätzt. Hauptziele dieser massiven Auswanderung sind neben Australien, Neuseeland und den USA auch die Länder der EU.
Verträge bedeuten nichts
Ursprünglich wollte Ynia nach Italien, doch die Prozedur bei der Botschaft hätte mehr als sechs Monate gedauert. Eine Vermittlungsagentur in Manila legte ihr nahe, ihr Glück in Rumänien zu suchen. So landet die kleine Frau mit lebendigen, tief schwarzen Augen an einem kalten Spätoktobertag auf dem Flughafen in Bukarest.
Die Agentur hat für sie keine Stelle in der Hauptstadt finden können. Stattdessen kommt sie nach Focsani. Das Wetter ist mies, als sie in der nordöstlichen, trostlosen Kleinstadt ankommt. Und die Arbeitgeberin erweist sich sehr bald als noch mieser. Der Vertrag sieht «Kinderbetreuung, acht Stunden täglich» vor, doch es stellt sich schnell heraus, dass niemand in Rumänien dieses Stück Papier ernst nimmt. Vielmehr werden Ynia allumfassende Aufgaben erteilt, die sich vom Putzen über Kochen bis hin zur Arbeit im Garten der Villa erstreckten. Unter dem Strich muss Ynia oft 12, manchmal sogar 16 Stunden am Tag schuften.
Ynia ruft die Vermittlungsagentur an und berichtet, dass die Arbeitsbedingungen nicht dem Vertrag entsprechen und die Stimmung unwürdig sei. Daraufhin wird ihr mitgeteilt, dass sie sich doch ein bisschen anstrengen solle, schliesslich stecke Rumänien und ganz Europa in einer tiefen Wirtschaftskrise und die Stellenangebote seien selbst bei den reichen Familien knapp.
Hat nun endlich ihren Platz gefunden: In Bukarest betreut Ynia die Kinder einer Roma-Familie, die sie gut behandeln. Erfahrungen hat sie auch ganz andere gemacht. (Bild: George Popescu)
Es ist Ende 2011. Mehr als ein Drittel der Einwohner von Focsani arbeitet seit Langem im westeuropäischen Ausland. Die Provinzstadt wirkt wie eingeschlafen, und Ynia fängt an zu begreifen, dass sie als Gastarbeiterin im Land der ausgewanderten Gastarbeiter gelandet ist.
«Rumänische Frauen arbeiten ja selbst als Tagesmütter und Putzfrauen in Italien, Spanien oder Deutschland», bemerkt Ynia. «Rumänien ist ein Land der Kontraste.» Und viele Menschen kämpften mit grosser Armut.
Ministerpräsident Ponta befördert den Trend
Fast drei Millionen Rumänen leben derzeit in Westeuropa, wie sich den Statistiken der einzelnen Länder und Angaben von Eurostat entnehmen lässt. Und rund 300 Staatsbürger aus den Philippinen arbeiten mittlerweile in Rumänien. Es sind meistens Frauen wie Ynia, die über Vermittlungsagenturen Stellen als Tagesmütter bei wohlhabenden Familien bekommen. Seltener werden auch Männer eingestellt, etwa als Gärtner.
Zur Verbreitung dieses neuen Trends in Rumänien hat Ministerpräsident Victor Ponta selbst beigetragen, als er vor einigen Jahren in einem Interview für eine Boulevardzeitung zugab, dass er eine «fleissige Philippinerin» als Nanny für seine Kinder beschäftigt. Ynia kennt die Frau gut, schliesslich handelt es sich bei den Philippinerinnen in Rumänien um eine kleine Community, die sich regelmässig trifft und sich über ihre Erfahrungen austauscht.
Gläubig, treu, weniger anspruchsvoll
Alle berichten über die gleichen Probleme: Zwar liegt der Monatslohn mit rund 400 Euro nur knapp unter dem rumänischen Durchschnitt und deutlich über dem, was auf den Philippinen üblich ist. Für Übernachtung und Verpflegung müssen die Angestellten nicht zahlen, was ihnen ermöglicht, rund die Hälfte des Gehalts an ihre Familien zu überweisen. Doch die Behandlung durch Rumäniens Neureiche sorgt oft für Albträume.
Missbrauch und Ausbeutung sind weit verbreitet. Und niemand hält sich an die ursprünglichen Vertragsbestimmungen. Die Vermittlungsagenturen nehmen die Missstände weitgehend in Kauf und vermarkten die Philippinerinnen als «gläubig, treu und weniger anspruchsvoll als die Rumäninnen», wie sich der Werbung auf ihren Websites entnehmen lässt.
4000 Euro kostet die Anzahlung für ein Kindermädchen
Nach sechs Monaten in Focsani kann Ynia ihre Arbeitgeberin nicht mehr ertragen. Mittlerweile hat sie genug Rumänisch gelernt, um zu verstehen, was die Frau über sie sagt: Derbe, zum Teil rassistische Beleidigungen sind an der Tagesordnung. Sie beschwert sich erneut bei der Agentur und findet nach langem Hin und Her eine neue Stelle, diesmal in Bukarest. «Ich war so erleichtert, endlich dieses Kaff verlassen zu dürfen», sagt Ynia.
Die philippinische Gemeinde lebt hauptsächlich in der rumänischen Hauptstadt, wo auch die Mehrheit der schönen und reichen Rumänen wohnt. Prominente Rechtsanwälte, Geschäftsleute und Politiker, Ärzte und Architekten machen den Grossteil der Klientel aus: Im Gegensatz zu den anderen Rumänen können sie sich die rund 4000 Euro leisten, die die Vermittlungsagenturen als Anzahlung verlangen. Davon werden zunächst die Kosten des Verfahrens bei der rumänischen Botschaft in Manila und bei der Ausländerbehörde in Bukarest gedeckt, oft auch die Flugtickets für die Arbeiterinnen. Und für die Agentur bleibt immer noch eine lukrative Provision übrig.
Flucht nach vorn
Ynia arbeitet mittlerweile bei einer Roma-Familie, die sie gut behandelt – ohne den Rassismus, den sie bisher erleben musste. Gleichzeitig engagiert sie sich in einem Verein für die Rechte der philippinischen Gastarbeiterinnen.
Der Verein der in Rumänien lebenden Philippiner wurde 2010 gegründet und ist bis heute die einzige zivilgesellschaftliche Organisation, die die Interessen der Gruppe vertritt. «Wir versuchen vor allem, wie eine kleine Gewerkschaft zu arbeiten und unseren Mitgliedern bei Konflikten mit den Arbeitgebern oder im Umgang mit den Behörden zu helfen», sagt Rouen Tiocson Reyes, der Vorsitzende des Vereins. «Denn eigentlich schützt das rumänische Gesetz alle Arbeitnehmer gleich», sagt Tiocson. «Das Problem ist nur, dass niemand sich einmischen will, wenn die Missbrauchsfälle im Haushalt geschehen – und die Opfer auch noch ausländische Frauen sind.»
Das Mitgefühl wächst – dank Medienpräsenz
Auch rumänische Kulturschaffende versuchen zunehmend, die Situation der philippinischen Tagesmütter zum Thema zu machen. Das Theaterteam um die Regisseurin Ioana Paun brachte 2014 ein dokumentarisches Stück auf die Bühne, das sich mit dem Alltag der philippinischen Tagesmütter auseinandersetzt. Grundlage dafür war eine investigative Recherche der Journalistin Laura Stefanut, die als eine der ersten über die Missbrauchsfälle berichtete. Ynia spielte die Hauptrolle in dem Stück, die Aufführung war ein Erfolg. Wochenlang thematisierten die Bukarester Medien die Situation der Philippinerinnen.
«Das Stück will auf die Missstände im gesamteuropäischen Einwanderungssystem aufmerksam machen», erklärt Regisseurin Paun. «Gleichzeitig wollten wir die konkreten Erlebnisse der Einzelnen transportieren.»
Auch für Ynia war die Theaterproduktion wichtig. Viele Bukarester kamen danach auf sie zu, um Mitgefühl zu zeigen, sie wurde auf Podiumsdiskussionen eingeladen und hatte plötzlich neue rumänische Freunde. «Ich habe in den letzten Monaten viel Solidarität erlebt», sagt Ynia.