El Salvador verbietet aus Sorge vor Umweltschäden den Abbau von Rohstoffen. Wegen entgangener ökonomischer Gewinne klagt eine kanadische Firma deshalb vor dem internationalen Schiedsgericht in Washington.
Wasser ist eigentlich nicht orange. Auch nicht in El Salvador. In San Sebastian, im Osten des kleinen mittelamerikanischen Landes, aber schon. Gustavo Blanco, der für die Gemeinde arbeitet, rührt mit einem Stock im Bächlein, das die ursprünglich grauen Bachkiesel rot gefärbt hat. Es plätschert idyllisch, das war es dann aber mit der Naturromantik. Das Rinnsal entwässert eine alte Goldmine, in der Blancos Vater einst gearbeitet hatte – weiter oben jenseits des Mais, der bergan in dichten Reihen wächst.
Das Bergwerk steht seit zehn Jahren still, doch in den leeren Stollen sind Wasser und Sauerstoff immer noch aktiv, lösen Cadmium, Blei, Kupfer und Eisen aus dem Gestein und spülen sie aus. Wissenschaftler nennen eine solche rote Bergwerkssauce «Acid Mine Drainage». Sie verseucht das Wasser der Flüsse und lässt die Fische sterben. Studien der Regierung aus San Salvador haben die Gifte in den Böden rundherum nachgewiesen. «Die Firmen haben hier über Jahrzehnte Gold für Millionen von Dollar herausgeholt», sagt der 58-jährige Blanco. «Uns ist nichts geblieben ausser Armut und Kontamination.»
Die Menschen leben in einfachen Häusern unter Wellblech. Geteerte Strassen sind in San Sebastian ebenso Mangelware wie Schulen und Krankenhäuser. Stattdessen tickt oben auf dem Berg eine weitere Zeitbombe. Ein steiler Schotter- und Lehmweg windet sich hinauf zu dem Plateau, wo früher der Eingang zur Mine war und noch immer die Stollen ins Innere des Berges führen. Ein paar Männer haben sich Unterstände gebaut aus Holzpfählen unter Schatten spendenden Aludächern: mit Hängematten für die kurzen Pausen, zwischen denen sie in die glutofenheissen Gänge kriechen – in der Hoffnung, dem Berg in Handarbeit noch ein bisschen Edelmetall abzutrotzen.
Das ist der Industrie ein Dorn im Auge. Noch hält sie in El Salvador die Füsse still und wartet, ob ein zentraler Fall vor dem internationalen Schiedsgerichtshof bei der Weltbank in Washington in ihrem Sinne entschieden wird. Es geht um den kanadisch-australischen Rohstoffkonzern Oceana Gold. Der verklagt den Staat El Salvador auf knapp 350 Millionen Franken Schadenersatz. Hintergrund für die Zuständigkeit des Schiedsgerichts sind Freihandelsabkommen, wie sie derzeit auch in Europa verhandelt werden.
Die geforderte Summe entspricht der Hälfte des Gesundheitsbudgets des Landes, in dem ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt – für eine Mine, für die das Unternehmen nie eine Lizenz zur Ausbeutung besass, doch für die Menschen das Leben genommen wurde.
So wie in San Isidro 2009: «Wir hatten uns für unsere Gemeinde etwas anderes vorgestellt, wollten grünen Tourismus verwirklichen», erzählt Miguel Angel Rivera. Der kräftige Mann berichtet mit zusammengesunkenen Schultern von den grausamsten Tagen im Leben der Familie. «Mein Bruder Marcelo war eines der bekanntesten Gesichter der Proteste gegen das Bergwerk.»
Vor sechs Jahren kehrte der Lehrer eines Tages nicht von der Schule nach Hause zurück. Miguel Angel und ein Trupp von Freunden starteten eine Suchaktion. Zwölf Tage lang durchkämmten sie Felder, Wälder, durchwateten Bäche, drehten Steine um. Mit in die Ferne gerichteten Augen und tonloser Stimme spricht Rivera weiter – eine Distanz schaffend, um das Erlebte besser ertragen zu können. «Wir fanden seine Leiche in einem Brunnen. Er war gefoltert worden. Die Fingernägel waren mit Gewalt herausgerissen. Ich fragte mich, wie ich das unserer Mutter erklären soll.»
Marcelo Rivera war nicht der einzige lokale Anti-Bergwerksaktivist, der in Cabañas zwischen 2009 und 2013 ermordet wurde. Alle hatten gegen die geplante Mine von Oceana Gold protestiert – damals hiess die Firma noch Pacific Rim. Sie hatte Anfang der 2000er-Jahre damit begonnen, das Goldvorkommen zu erkunden. Alles verlief friedlich, bis die Regierung zunächst das Umweltgutachten für die Eröffnung der Mine wegen eklatanter Mängel zurückwies und schliesslich das Moratorium erliess.
Die Firma hat eine Beteiligung an Attentaten und Morden stets bestritten und kriminelle Banden verantwortlich gemacht, aber auch keine Anteilnahme mit den Opfern gezeigt. Der Mord an seinem Bruder sei weder polizeilich-juristisch verfolgt worden, noch habe es eine Reaktion des Unternehmens gegeben, sagt Rivera. Dabei wäre es doch das das Mindeste, Mitgefühl zu zeigen.
Doch Pacific Rim interessierte offenbar nur die Frage entgangener Gewinne. 2013 wurde die Firma vom Wettbewerber Oceana Gold übernommen, der das Verfahren seitdem weiterverfolgt. Die tragischen Vorfälle fechten Unternehmensvertreterin Ericka Colindres nicht an. Während sie zu den Morden schweigt, stellt sie in einer schriftlichen Stellungnahme zur Klage fest: «Der von Pacific Rim initiierte Prozess ist ein unabhängiger und international respektierter Mechanismus, um die Frage (des Schadenersatzes – Anm. des Autors) zu klären.»
In der Hauptstadt San Salvador teilt man diese Ansicht nicht. «Dass wirtschaftlich ausgerichtete Schiedsgerichte Fälle entscheiden, in denen Menschenrechtsverletzungen eine Rolle spielen, ist nicht akzeptabel», sagt der Jurist Davi Morales, Chef des staatlichen Büros zur Verteidigung der Menschenrechte. Er studiert seine Unterlagen und erklärt: «Schliesslich kam es erst zu den Mordanschlägen, nachdem die Firma keine Genehmigung zum Abbau der Edelmetalle erhalten hatte.» Auch wenn die Urheberschaft unklar sei, könne das Schiedsgericht den Fall nicht einfach auf ökonomische Fragen beschränken.
«Es ist ein Skandal, wenn private Unternehmen die Politik einer demokratisch gewählten Regierung torpedieren.»
Es geht um viel Geld. Firmenvertreterin Colindres spricht von 1,3 Millionen Unzen Gold – Marktwert mehr als eine Milliarde Dollar. Und Oceana Gold macht weiter Werbung für das Projekt. Unter anderem Namen wirbt die Firma in sozialen Netzwerken, veranstaltet Feiern, spendiere nach Beobachtung nationaler Minengegner «hier mal einen Sack Reis, zahlt da mal einen Arztbesuch». Firmenvertreterin Colindres verspricht, im Falle eines Zuschlags zur Goldausbeutung «die höchsten Standards im Umweltmanagement zu etablieren».
Doch das Umweltministerium in der Hauptstadt San Salvador winkt ab. «Eine intakte Umwelt ist ein wichtiger Pfeiler, damit El Salvador auch noch künftigen Generationen eine Lebensgrundlage bieten kann», sagt der stellvertretende Amtschef Angel Ibarra: «Diese Strategie eines guten Lebens kollidiert mit der Idee des Bergbaus.» An seinem Schreibtisch, der vor Büchern überquillt, erklärt der ehemalige Honorarprofessor für Umweltrisiken an den Universitäten von Barcelona und Girona seine Vision eines modernen Staates, der einer nachhaltigen Entwicklung folgt. Von draussen dringen Vogelstimmen herein. Dann bricht es aus ihm heraus: «Es ist ein Skandal, wenn private Unternehmen die Politik einer demokratisch gewählten Regierung torpedieren.»
Er begrüsst deshalb, wenn Salvadorianer ein Zeichen gegen Gold und das Gericht setzen. So wie in Arcatao im nördlichen Departement Chalatenango an der Grenze zu Honduras. In dem Landstädtchen mit seinen 2000 Einwohnern ist der Protest gegen den Bergbau greifbar. Parolen und Malereien bedecken die Mauern. «Nein zu den Minen, ja zum Leben», steht auf der weissen Wand unterhalb der katholischen Kirche, ein anderes Motiv zeigt den Tod, der seinen Arm nach der intakten Natur ausstreckt, untermalt von der Aufforderung: «Raus aus El Salvador, Minenunternehmen.»
Selbst der Priester stellt sich zusammen mit Ministranten und Gläubigen vor ein Anti-Bergbau-Graffito und winkt.
Es geht hier nicht nur um plakativen Protest. In Arcatao wird in einer offiziellen Volksbefragung darüber abgestimmt, ob die Menschen damit einverstanden sind, dass in ihrer Gemeinde «Projekte zur Erschliessung und Förderung von Metallrohstoffen durchgeführt werden», wie es auf dem Wahlzettel heisst. Am Tag der Abstimmung herrscht Hochbetrieb in der kleinen Stadt. Alte Männer mit Macheten unter dem Arm, junge Frauen mit kleinen Kindern – schon früh bilden sich beim Bürgermeisteramt Schlangen vor den Registriertafeln und den Tischen mit den Wahlurnen.
Wahlhelfer erklären denjenigen, die nicht lesen und schreiben können, wie die Abstimmung läuft. Auch die katholische Kirche bezieht Position: Nach der Messe stellt sich der Priester zusammen mit Ministranten und Gläubigen vor ein Anti-Bergbau-Graffito und winkt. Von einer anderen Häuserwand am Kirchplatz blickt das Konterfei Oscar Romeros auf die Szenerie – der frühere Erzbischof von San Salvador hatte sich gegen die Unterdrückung der Armen ausgesprochen und wurde 1980 ermordet.
Es geht um die Berge, die sich hinter der kleinen Stadt auftürmen und über die sich der blaue Himmel wölbt. Noch wird dort nirgendwo Gold abgebaut. «Doch die Firmen warten nur darauf», sagt Nicolas Rivera. Er ist auf einer Farm am Fusse eines dieser Hügel aufgewachsen, den die Konzerne gerne abtragen wollen. Nach zehn Minuten holpriger Fahrt mit dem Pick-up ist die Erhebung erreicht. Der letzte Aufstieg ist nur zu Fuss zu bewältigen. Der Blick schweift über eine grüne Bergwelt bis tief ins Nachbarland Honduras hinein. Es wimmelt von Libellen und Schmetterlingen. Cerro Patacon wird der Hügel genannt – nach einem Blut saugenden Insekt. «Wir wollen nicht, dass neue Blutsauger kommen und diese Landschaft plündern.» Die Menschen leben von der Landwirtschaft, von Bohnen und Mais, Rindern und sauberem Wasser. «Minen würden die Basis unseres Lebens zerstören.» Noch mehr, vor allem junge Menschen, würden in die Emigration gedrängt.
In Schweizer Edelmetallöfen wird Gold aus aller Welt eingeschmolzen. Hinterher ist kaum mehr festzustellen, unter welchen Bedingungen es abgebaut wurde.
So wie Rivera denken an diesem Wahltag eigentlich alle. 99 Prozent sagen Nein – dokumentiert von einem Team internationaler Wahlbeobachter, zu denen die Deutsche Anna Backmann von der Nichtregierungsorganisation CI Romero zählt. «In Europa machen wir uns nur selten klar, welche Folgen der Rohstoffabbau für die Menschen vor Ort hat», sagt sie.
Auch in der Schweiz ist es mit diesem Bewusstsein nicht weit her, auch wenn kein Land der Erde mehr Gold einführt. Rund 70 Prozent des jährlich geförderten Minengoldes wird in der Schweiz zu kommerziellen Produkten weiterverarbeitet wie Münzen, Barren und Rohlingen für die Schmuck- und Uhrenindustrie – um dann zum grössten Teil wieder ins Ausland verkauft zu werden.
Damit ist die Schweiz die grösste Drehscheibe des weltweiten Goldhandels. Hier haben vier der sieben grössten Goldraffinerien der Welt ihre Heimat, drei davon im Tessin bei Valcambi (Balerna), Pamp (Castelo San Pietro) und Argor-Heraeus (Mendrisio) sowie eine in Neuenburg bei Metalor. Aus El Salvador verarbeiten die Raffinerien derzeit zwar nichts, dafür aber aus 60 anderen Staaten wie die Nichtregierungsorganisation Erklärung von Bern (EvB) auf Basis staatlicher Statistiken mitteilt. In vielen dieser Länder sind die Probleme aber ähnlich gravierend wie in dem kleinsten Land Mittelamerikas – Umweltverschmutzungen, Kinderarbeit und Menschenrechtsverletzungen keine Seltenheit.
In den Schweizer Edelmetallöfen wird Gold aus aller Welt eingeschmolzen. Hinterher ist kaum mehr festzustellen, woher es stammt und unter welchen Bedingungen es abgebaut wurde. So kann Blutgold aus dem Kongo der Rohstoff für jedes Paar Eheringe sein, das über den Tresen von Schweizer Goldschmieden geht, ohne dass die Vermählten eine Chance hätten, das je herauszufinden. Dass die Schweiz schmutziges in sauberes Gold verwandelt, hat kürzlich die Schweizer Sektion der Gesellschaft für bedrohte Völker in einem Bericht dokumentiert. Allen vier Gross-Raffinerien wird darin vorgeworfen, in den letzten Jahren Konfliktgold aufgeschmolzen zu haben.
«Die Nachfrage bei Coop City und Christ Uhren & Schmuck nach Fairtrade-Gold ist kleiner als das Angebot.»
Immerhin: Schweizer Goldliebhaber können dagegen etwas tun. Seit knapp zwei Jahren gibt es in der Schweiz gegen einen Aufpreis «faires Gold» zu kaufen, eingeführt über die Max Havelaar-Stiftung. Das Gold stammt aus zwei peruanischen Minen, in denen die Arbeiter bessere Sozialstandards und höhere Einkommen als üblich erhalten. Coop vertreibt solchen fairen Goldschmuck. Bei jedem einzelnen Stück sei über einen Tracker nachverfolgbar, aus welcher Mine der Rohstoff stamme, sagt Coop-Mediensprecher Urs Meier. Doch der Absatz ist schleppend. «Die Nachfrage bei Coop City und Christ Uhren & Schmuck nach Fairtrade-Gold ist kleiner als das Angebot. Der Anteil Fairtrade-Schmuck liegt im tiefen einstelligen Prozentbereich», so Meier.
Doch selbst faires Gold ist für die Umwelt alles andere als ein Segen. Massive Eingriffe in den Naturraum und der Einsatz von toxischen Chemikalien sind auch dort nicht automatisch verboten. Letztlich schliessen sich eine intakte Umwelt und der Goldbergbau mehr oder weniger aus. Das wirkungsvollste Konsumverhalten gegen die Umweltzerstörungen des Goldbergbaus sei deshalb «erst gar kein Gold zu kaufen», wie ein EvB-Sprecher sagt.
Auch in Arcatao im Norden El Salvadors ist Fair-Trade-Gold keine Option. Noch am Wahlabend kündigt der Bürgermeister eine Gesetzesinitiative an, um den Goldbergbau in Arcatao grundsätzlich zu verbieten. Doch ob dieser Ausdruck demokratischen Willens beim Schiedsgericht in Washington Eindruck hinterlässt, ist zweifelhaft. Die Beweisaufnahme wurde schon 2014 abgeschlossen. Eine Entscheidung kann täglich fallen – oder noch lange auf sich warten lassen. So oder so wird noch lange oranges Wasser durch San Sebastian fliessen.
Nicht normal: Gustavo Blanco rührt in rotem Minenwasser. (Bild: Oliver Ristau)