Gefährliche Chemikalien dürfen nur unter speziellen Sicherheitsvorkehrungen auf der Strasse transportiert werden. Kontrollen zeigen aber, dass sich die Branche um die Vorschriften foutiert. Nun fordert der Kanton Basel-Stadt, Sünder konsequent der Behörde des Standortkantons zu melden.
Ruhezeiten, Fahrzeugzustand, Ladungspapiere: Diese Aspekte des Strassenverkehrsrechts kontrollieren die Kantonspolizeien in der Regel, wenn sie stichprobenweise den Schwerverkehr stoppen und unter die Lupe nehmen. Doch punktuell geht die Überprüfung weiter. Denn bei vier Prozent der Camions handelt es sich um Gefahrguttransporte, die mit orangen Warnschildern markiert sind. Während in den meisten Kantonen die Kantonspolizei diese vertieften Kontrollen allein durchführt, arbeiten die Polizeieinheiten im Kanton Basel-Stadt seit 2002 eng mit dem Kantonalen Labor zusammen. Das fördert den fachlichen Austausch und verbessert die Qualität der Kontrolltätigkeit.
Die Zahlen der letzten fünf Jahre zeigen, wie wertvoll dieser Support ist: Zwischen 41 und 51 Prozent der kontrollierten Gefahrgutlastwagen wurden beanstandet. 2014 nun konstatierte das Kantonale Labor einen Negativrekord von 57 Prozent; 31 der 54 überprüften Gefahrguttransporte entsprachen zum Teil in mehreren Punkten nicht den gesetzlichen Vorgaben (den Bericht finden Sie auf der Artikel-Rückseite). Nicht alle Verstösse seien dramatisch, räumt Yves Parrat, Leiter Chemikalien und Gefahrguttransporte am baselstädtischen Kantonslabor, ein: «Fehlt etwa bei der vorgeschriebenen Ausrüstung des Fahrers ein Augenspülmittel, ist im Fall einer Havarie nur der Fahrer und nicht die Bevölkerung betroffen.»
Jeder fünfte Transport ist hoch gefährlich
Dramatischer als solche Kleinigkeiten sind schlampig aufgeklebte Gefahrenzettel, falsch angebrachte orange Inhaltstafeln bei Tankcontainern und vor allem die oft unzureichend gesicherte Ladung. Erstaunlich: Die Beanstandung von zehn Fahrzeugen, also einem Fünftel der kontrollierten Transporte, entfiel auf die Gefahrenkategorie I. Diese steht für eine «hohe Gefahr schwerer Verletzungen oder einer erheblichen Schädigung der Umwelt». In der Folge musste die nötige Verbesserung direkt am Kontrollort erfolgen, beispielsweise indem die Ladung gekennzeichnet oder gesichert wurde.
Bis Benzin, Sonderabfälle oder andere Chemikalien am Zielort ankommen, sind bis zu fünf verschiedene Unternehmen involviert.
Die anhaltend hohe und tendenziell steigende Anzahl der Beanstandungen führt Parrat auf mehrere Ursachen zurück. Einerseits herrsche in der Transportbranche ein scharfer Wettbewerb, was zu Zeitdruck und damit Nachlässigkeit etwa beim Sichern der Ladung führe. «Zweitens werden Sicherheit und Ausbildung in der Branche zu wenig Rechnung getragen», stellt Parrat fest. Und drittens fehle ein Verantwortungsbewusstsein für den Transportweg als Ganzes. Denn bis Benzin, Sonderabfälle oder andere Chemikalien am Zielort ankommen, sind bis zu fünf verschiedene Unternehmen involviert.
So wird beispielsweise eine Chemikalie in Fernost zubereitet, per Container auf einem Hochseefrachter nach Rotterdam transportiert, dann auf ein Rheinschiff umgeladen und ab Basler Rheinhafen per Lastwagen zum Grosshändler gebracht, der den Inhalt konfektioniert und in Lieferwagen an seine Endkunden ausfahren lässt. «Die Vielzahl der Schnittstellen zwischen Versender, Entlader, Zwischenlager, Beförderer, Entlader und Empfänger führt dazu, dass zu wenig Sorgfalt darauf gelegt wird, die Transportkette als Ganzes zu überwachen», bilanziert Parrat.
Schlendrian kein Basler Phänomen
Ist Basel-Stadt ein Ausreisser? Das ist unwahrscheinlich, denn anders als etwa bei der Kontrolle der Lebensmittelsicherheit, wo die Behörden bevorzugt zweifelhafte Gastronomen unter die Lupe nehmen, erfolgt die Stichprobenauswahl bei den Gefahrguttransporten nach dem Zufallsprinzip. Dennoch liegt der Anteil der Beanstandungen im Schweizer Durchschnitt nur etwa halb so hoch wie in Basel-Stadt. Laut der letzten verfügbaren Statistik des Bundesamts für Strassen (Astra) wurden 2013 in der gesamten Schweiz 1392 Fahrzeuge kontrolliert. 318 von ihnen wurden beanstandet, wobei dieser Anteil bei inländischen und EU-Fahrzeugen jeweils bei etwas über 22 Prozent lag.
Warum ist die Beanstandungsquote im Schweizer Mittel bloss halb so hoch wie die langjährigen Erfahrungen in Basel-Stadt? Yves Parrat vom Kantonalen Laboratorium Basel-Stadt nennt zwei Möglichkeiten: Einerseits erlaube der Austausch zwischen Polizei und Gefahrgutfachstelle eine vertiefte Prüfung der Fahrzeuge nach dem Vieraugenprinzip. Zudem sei Basel eine Stadt mit vielen Umschlagplätzen, die zusätzliche Schnittstellen in der Transportkette darstellen.
Nachkontrolle statt bloss Busse
Ob fast 60 Prozent Beanstandungen oder «bloss» gut 20 Prozent, für Yves Parrat ist die heutige Situation unhaltbar. Er skizziert zwei Wege, um die Sicherheit der Chemietransporte auf der Strasse schweizweit zu verbessern: Erstens müsse der Vollzug jener Verordnung verschärft werden, die vorschreibt, dass Betriebe mit Gefahrgut einen Gefahrenbeauftragten beschäftigen müssen. «In der Vergangenheit begnügten wir uns damit zu kontrollieren, ob die Dokumentation vorhanden ist und die Abläufe protokolliert werden. Seit Ende 2013 kontrollieren wir stichprobenweise, wie die effektive Umsetzung in der Praxis erfolgt.»
Diese Änderung der Kontrollen zeigt überraschende Resultate: In sechs von neun kontrollierten Betrieben im Kanton Basel-Stadt verlangte das Amt Verbesserungsmassnahmen. Und zweitens müsse in Zukunft der gegenseitige Austausch über fehlbare Gefahrguttransporteure zwischen den kantonalen Behörden mit Hilfe des Astras verbessert werden. Parrat: «Nur so kann die zuständige kantonale Behörde auf fehlbare Betriebe zugreifen und sicherstellen, dass sich der fahrlässige Umgang verbessert.» Ansonsten bezahle der Lastwagenfahrer einfach die Busse und der Schlendrian gehe weiter.
Europaweit ein Problem
Die Schweiz stelle mit ihrer Gesetzgebung für Gefahrguttransporte keine Insel dar, betont Parrat: «Die Bestimmungen für den Transport von gefährlichen Produkten sind in der Europäischen Union weitgehend harmonisiert und in einem Europäischen Abkommmen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Strasse (ADR) geregelt.»
Eine EU-weite Statistik zeigt zwar, dass bloss 12,1 Prozent der kontrollierten Gefahrguttransporte nicht vorschriftsgemäss unterwegs waren. Allerdings weisen ausgerechnet Staaten mit notorisch schlampigem Vollzug der Umweltgesetze eine Beanstandungsquote von bloss einem (Bulgarien) oder 4,8 (Ungarn) Prozent auf. Näher an der Wirklichkeit dürfte etwa die Zahl von Deutschland sein, hier wurden bei 27 Prozent der Transporte die Vorschriften nicht eingehalten, die Hälfte dieser Lastwagen betrafen die Gefahrenkategorie I. Parrat: «Das Problem müsste nicht nur in der Schweiz, sondern auch auf europäischer Ebene angepackt werden. Damit könnten wir verhindern, dass durch nachlässige Gefahrguttransporte unnötige Risiken für die hiesige Bevölkerung und Umwelt importiert werden.»
«Die Gefahrgutvorschriften sind sehr komplex», kommentiert Peter Hari, Bereichleiter Gefahrgut und Sicherheit beim Schweizerischen Nutzfahrzeugverband Astag, die Auswertung des Astras. Da könne es schnell mal passieren, dass eine Kleinigkeit fehle, sei es ein nicht ganz korrekt ausgefülltes Beförderungspapier – weil der Absender das Produkt nicht hundertprozentig korrekt deklariert hat – oder weil von zwei vorgeschriebenen Warnlampen nur eine funktioniere. «Der Anteil von 22 Prozent ist nicht überzubewerten», betont Hari, denn die 318 Beanstandungen beinhalteten gemäss Erfahrungen des Astag mehrheitlich leichte Fälle. Dem widerspricht die Statistik des Astras für das Jahr 2013, wonach 155, also über die Hälfte der Beanstandungen, auf einen Verstoss der gravierendsten Kategorie I entfallen.