Georgiens getrübte Hoffnung auf Europa

Georgien rückt näher an die EU heran: Die Kaukasusrepublik unterzeichnet morgen Freitag, 27. Juni, einen Assoziierungsvertrag mit Brüssel. Doch die Hoffnungen auf Europa haben sich in den vergangenen Monaten eingetrübt.

«Wir wollen kein Europa, wo die Willkür der Perversen und Homosexuellen herrscht»: Demonstration vor dem Parlamentsgebäude in Tiflis, organisiert von der georgisch-orthodoxen Kirche. (Bild: Tatjana Montik)

Georgien rückt näher an die EU heran: Die Kaukasusrepublik unterzeichnet morgen Freitag, 27. Juni, einen Assoziierungsvertrag mit Brüssel. Doch die Hoffnungen auf Europa haben sich in den vergangenen Monaten eingetrübt.

 In Tiflis fühlt man sich stellenweise schon wie in Europa: Klassizistische Gebäude und Häuser im Jugendstil prägen die Altstadt in Georgiens Hauptstadt. Nun soll das Land auch politisch näher an die EU heranrücken: Am morgen Freitag will Ministerpräsident Irakli Garibaschwili einen Assoziierungsvertrag mit der EU unterzeichnen.

Georgien verpflichtet sich mit dem Vertrag, seine Gesetze an europäische Normen und Standards anzupassen, ausserdem wird es ein Freihandelsabkommen mit dem kaukasischen Land geben. Die EU hat Georgien zudem langfristig Visafreiheit in Aussicht gestellt: Wenn alles reibungslos läuft, soll die Visumspflicht für Georgier im kommenden Sommer aufgehoben werden. Die pro-europäische Regierung in Tiflis hofft, dass Georgien irgendwann vollwertiges Mitglied der EU wird.

EU als Schutz gegen Russland

Offiziell befürworten über 80 Prozent der Georgier die Annäherung an die EU. Gerade für die junge Generation sei die Anbindung an die EU die einzige Perspektive, sagt Lascha Giorgobiani, der als Verkäufer in einem Weinladen in Tiflis arbeitet. «Europa ist für mich der richtige Weg. Denn nur so kann ich die Welt ohne Hindernisse bereisen», sagt der 20-Jährige.

Doch bei vielen Georgiern hat sich die Hoffnung auf Europa in den vergangenen Monaten eingetrübt. Schuld daran ist der Ukraine-Konflikt. Sie hätte sich ein härteres Eingreifen der EU gegen Russland gewünscht, sagt die 35-jährige Mathematikerin Tea Tstisischwili. «Jetzt haben wir Angst, dass wir nach der Unterzeichnung des Abkommens das Gleiche erleben wie die Ukrainer. Nur eine wirkliche Mitgliedschaft in der EU wäre ein Schutz gegen das russische Imperium.»

Auch die Ukraine und die Republik Moldau unterzeichnen am Freitag Assoziierungsabkommen mit der EU. Im November noch hatte der damalige ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch die Unterzeichnung abgelehnt und damit die Proteste in Kiew und die Ukraine-Krise ausgelöst.

Embargo auf Wein und Mineralwasser

Russland lehnt das Assoziierungsabkommen der EU mit Georgien ab. Die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern liegen seit dem Kaukasuskrieg von 2008 auf Eis. Seitdem hält Russland mit den abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien zwanzig Prozent des georgischen Gebiets besetzt. Bereits damals hatte die EU nur zögerlich reagiert.

Nach der Annexion der Krim und der Einmischung Russlands in den Konflikt in der Ostukraine habe Georgien weiteren Grund zur Sorge, meint auch der Sicherheitsexperte Nodar Charschiladse von der Stiftung für Geopolitische Studien in Tiflis. «Wenn Putin erlaubt wird, einen Teil der Ukraine unbestraft zu verdauen, dann sind wir die nächsten. Deshalb sind wir in keiner guten Lage. Wenn aus Europa keine ausreichende Reaktion kommt, die Russland stoppt, dann wird Putin weiter marschieren.»

Doch auch ohne Militäreinsatz hat Russland genügend Mittel in der Hand, um Georgien nach der Unterzeichnung des Assoziierungsvertrages zu schwächen. In der Vergangenheit verhängte Russland mehrmals Embargos auf Wein und Mineralwasser aus Georgien, was der georgischen Wirtschaft einen Schlag verpasste. Auch steht die Furcht im Raum, dass Russland sich Abchasien und Südossetien ganz einverleiben könnte.

Verteufelter Westen

Hinzu kommt, dass die wirtschaftliche Lage in Georgien alles andere als rosig ist. Die Arbeitslosenrate liegt offiziell bei über 30 Prozent, tatsächlich liegt sie Schätzungen zufolge sogar bei über 50 Prozent. Die sozialen Probleme bilden den idealen Nährboden für die Verklärung der sowjetischen Vergangenheit. «Russland wird uns helfen. Man ist schon immer aus Georgien nach Russland arbeiten gegangen. Und damals lebten wir besser als heute», sagt Zurab Dodolischwili, der in Tiflis auf dem Bau arbeitet.

Die Unzufriedenheit und Verunsicherung werde von den antieuropäischen Kräften genutzt, meint der georgische Schriftsteller Lascha Bakradse: «Wir haben in den vergangenen Jahren einen enormen Einsatz der russischen Geheimdienste erlebt. Die russische Propaganda verteufelt den Westen, und bei uns gibt es viele Menschen, die darauf hereinfallen», sagt Bakradse.

Anti-europäisch gesinnt ist auch ein Grossteil der georgisch-orthodoxen Kirche, die einen enormen Einfluss auf Jung und Alt hat. Sie stellt Europa als eine Sippe von Homosexuellen und Pädophilen dar, die die traditionelle georgische Gesellschaft zerstören will. Am 17. Mai, am internationalen Tag gegen die Homophobie, rief die georgische Kirche einen Alternativfeiertag aus – für die Familienwerte und gegen die angebliche «Willlkür der Perversen» im Westen. Die Kirche mobilisierte Tausende, die auf die Strasse gingen.

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