Gleiche Medikamente für Arm und Reich

Die Genfer Organisation Unitaid ermöglicht armen Länder den Zugang zu bezahlbaren Medikamenten – möglich machen das Abkommen mit Patentinhabern und Abgaben auf Flugtickts.

Medikamente dank Unitaid: Eine Mutter mit ihrer sechsjährigen Tochter in Nairobi, beide sind mit HIV infisziert.

Die Genfer Organisation Unitaid stellt Patienten in armen Ländern erschwingliche Medikamente gegen HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose zur Verfügung. Unitaid-Präsident Philippe Douste-Blazy erklärt, wie die Organisation durch innovative Finanzierungsmodelle und Abkommen mit Pharmafirmen Gesundheitsversorgung mit Friedensförderung verbindet.

Monsieur Douste-Blazy, Ihre Organisation Unitaid sagt, sie schaffe Märkte für billige Medikamente. Normalerweise sind Patente unantastbar. Wie schafft es Unitaid, billigere Preise für Arzneimittel zu bekommen?

Niemand ändert etwas an Patenten. Wir haben verschiedene Massnahmen geschaffen, um die Preise für Medikamente gegen Aids, Tuberkulose und Malaria zu senken. Mit kleinen Abgaben auf Flugtickets, die einige (vornehmliche afrikanische, in Europa macht nur Frankreich mit, Red.) Staaten eingeführt haben, konnten wir seit der Gründung 2006 von Unitaid 1,4 Milliarden Dollar einnehmen. Damit konnten wir Kosten für Arzneimittel für Kinder mit HIV/Aids um 80 Prozent und für Erwachsene um 60 Prozent senken. Der Preis für Artemisinin, einen Wirkstoff gegen Malaria, wurde um 70 Prozent reduziert. Die Preissenkung verdanken wir der Produktion von Generika.

Aber Generika lassen sich ja nicht von heute auf morgen bereitstellen.

Das Präqualifizierungsverfahren, also die Eignungsprüfung, von Generika durch die Weltgesundheitsorganisation dauert drei Jahre. Wenn schliesslich mehrere Generika auf dem Markt sind, werden sie billiger. Die Preise sinken zudem, wenn Arzneimittel in grossen Mengen über mehrere Jahre gekauft werden. Wir setzen uns auch für einfachere Behandlungen ein, dass statt mehrerer Pillen pro Tag nur eine Pille eingenommen werden muss. Bei der mehrfach medikamentenresistenten Tuberkulose etwa müssen heute neben täglichen Injektionen während zwei Jahren auch über 20 Tabletten pro Tag geschluckt werden.

«Gesundheitsversorgung ist Friedensförderung.» – Philippe Douste-Blazy, Präsident von Unitaid.

«Gesundheitsversorgung ist Friedensförderung.» – Philippe Douste-Blazy, Präsident von Unitaid.

Generika werden hier als Alternative zu Arzneimitteln hergestellt, deren Patent nach 15 oder 20 Jahren abgelaufen ist. Kann jeweils so lange gewartet werden?

Über unseren «Medicines Patent Pool» handeln wir mit Pharmafirmen, also Patentinhabern, Lizenzen für die Herstellung von Generika aus. Das ist revolutionär! Denn erstmals in der Geschichte erhalten Arme und Reiche dieselben Medikamente. Wir haben das bisher ausschliesslich für Aidsmedikamente gemacht, die für Patienten in armen Ländern bestimmt sind, und konnten dabei die Generika um über 90 Prozent verbilligen. Das Patent bleibt dabei bei den Firmen, die eine Lizenzgebühr erhalten. Alle sind heute einverstanden, dass Patienten in armen Ländern diese billigeren Arzneimittel erhalten sollten. Die grosse Diskussion ist aber, ob diese auch für arme Menschen in Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien zugänglich sein sollen.

Ihre Organisation fördert dieses Jahr neu auch eine erschwingliche Behandlung von Hepatitis C.

Bis vor kurzem war die einzige Behandlung gegen Hepatitis C eine Kombination von Spritzen und Tabletten. Die Kur dauerte ein Jahr und war nur begrenzt wirksam. Viele Menschen mit HIV sterben an Hepatitis C. Weltweit leiden rund 180 Millionen Menschen an dieser Krankheit, 16 Prozent von ihnen sind auch mit HIV infisziert. Seit Ende des letzten Jahres ist nun eine Medikament auf dem Markt, das die Krankheit innert zwölf Wochen heilt. Das Problem ist, dass die Behandlung 84’000 Dollar kostet. Wir stellen der Organisation Medecins sans Frontières (MSF) 15 Millionen Dollar zur Verfügung, um die Markthindernisse zu überwinden. MSF geht davon aus, dass die Behandlungskosten durch Verhandlungen und neue Generika pro Patient auf 500 bis 1000 Dollar reduziert werden können.

«Heute denken die Uno-Mitglieder, ein Kind in Bamako sei weniger wert als eines in Basel oder Zürich. Das ist erschreckend.»

Sehen Sie weitere innovative Finanzierungsmöglichkeiten neben den Solidaritätsbeiträgen auf Flugtickets?

Eine Initiative, die direkt durch die Arbeit von Unitaid beeinflusst wurde, ist die Finanztransaktionssteuer von 0,2 Prozent, die Frankreich 2012 eingeführt hat und demnächst zehn weitere europäische Länder übernehmen wollen, darunter Deutschland, Österreich, Spanien und Italien. Ich verhandle zurzeit auch mit einigen afrikanischen Staatschefs über eine Solidaritätsabgabe von zehn Cents pro Fass Erdöl. Es ist aber noch zu früh, um die Staaten zu nennen.

Wird Unitaid sich auch bei anderen Medikamenten engieren? Für arme Länder sind auch Krebsmedikamente teuer.

Es stellt sich die Frage: Sind Medikamente und Diagnosegeräte Produkte wie andere? Die Antwort lautet: Nein. Man sollte nicht den pharmazeutischen Labors Vorwürfe machen, sondern den Politikern. Die öffentliche Gesundheitsversorgung muss weltweit anders organisiert werden. Alle Menschen haben die gleichen Rechte. Heute denken aber die Uno-Mitgliedstaaten, dass ein Kind in Bamako weniger wert ist als eines in Basel oder Zürich. Das ist erschreckend. Über Internet sind heute weltweit Informationen zugänglich und die Menschen wissen, was anderswo geschieht, dass beispielsweise die Kindersterblichkeit in reichen Ländern sehr gering ist. Wenn Kinder an Malaria sterben, weil es an einem halben Dollar oder Franken fehlt, wird das früher oder später zu Konflikten führen. Wir arbeiten daher nicht nur für eine bessere Gesundheitsversorgung, sondern auch für eine Friedensförderung.

Philippe Douste-Blazy ist Kardiologe und war von 2005 bis 2007 französischer Aussenminister. Seit 2007 ist er Präsident von Unitaid und seit 2008 zudem Uno-Untergeneralsekretär für innovative Entwicklungsfinanzierung. Unitaid wurde 2006 von Frankreich, Grossbritannien, Norwegen, Brasilien und Chile gegründet, um die gesundheitsbezogenen Millenniums-Entwicklungsziele der Uno zu unterstützen.

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