Gleichheit gilt auch vor dem Steuergesetz

Die Pauschalbesteuerung privilegiert reiche Ausländer in der Schweiz. Sie ist ein Fremdkörper in unserem Steuersystem – und sozial unverträglich. Fünf Kantone haben sie schon abgeschafft. Die Initiative, über die wir am 30. November abstimmen, will das für die ganze Schweiz nachholen.

Neu erstellte Luxus-Villen und Häuser auf Cantarella oberhalb St. Moritz: In Touristengebieten will man an der Pauschalbesteuerung festhalten. (Bild: Keystone/Arno Balzarini)

Die Pauschalbesteuerung privilegiert reiche Ausländer in der Schweiz. Sie ist ein Fremdkörper in unserem Steuersystem – und sozial unverträglich. Fünf Kantone haben sie schon abgeschafft. Die Initiative, über die wir am 30. November abstimmen, will das für die ganze Schweiz nachholen.

Ende November wird über eine der äusserst seltenen linken Initiativen, die eine Chance auf Annahme haben, abgestimmt. Die Forderung nach einer Abschaffung der Pauschalbesteuerung stösst bis weit ins bürgerliche Lager hinein auf Verständnis, wenn nicht sogar auf Beifall. Denn die Initiative kommt einem zentralen Anliegen jeder Demokratie entgegen, der Steuergerechtigkeit. Bedroht fühlen sich hingegen vor allem touristische Regionen im Wallis und im Tessin, in Graubünden und im Berner Oberland sowie die Goldküste am Lac Léman.

Worum geht es? Nach geltendem Recht können sich ausländische Staatsbürger, die sich in der Schweiz niederlassen und hier nicht erwerbstätig sind, pauschal besteuern lassen – jedenfalls in jenen Kantonen, die diese Möglichkeit noch nicht abgeschafft haben. Schweizer Staatsbürger und zugewanderte Erwerbstätige unterliegen der normalen Einkommens- und Vermögenssteuer, die je nach Kanton in unterschiedlicher Höhe und mit unterschiedlich starker Progression erhoben wird. Sie zahlen bei vergleichbaren Einkommens- und Vermögensverhältnissen durchwegs mehr als die «Pauschalen».

Eigenmietwert mal X

Pauschalbesteuerung bedeutet, dass die Steuer nicht auf Einkommen und Vermögen erhoben wird, sondern auf den «Lebensaufwand» des Pflichtigen. Auch diese Veranlagung variiert von Kanton zu Kanton. In der Regel wird aber ein Vielfaches des Mietzinses (oder des Eigenmietwerts) als Berechnungsgrundlage verwendet. Das geht vom Vierfachen der Miete bis zum Zehnfachen, und häufig ist auch ein minimaler Einkommensbetrag als Untergrenze vorgesehen – von 150’000 bis 600’000 Franken.

Fünf Kantone haben die Pauschalbesteuerung abgeschafft: Zürich, Schaffhausen, die beiden Basel und Appenzell Ausserrhoden. Alle anderen Kantone halten mehr oder weniger entschlossen daran fest. Aber nur für ganz wenige Kantone beziehungsweise Gemeinden in diesen Kantonen ist die Möglichkeit der Pauschalbesteuerung wirklich essenziell für den öffentlichen Haushalt.

Zuzüger wiegen Abgang der «Pauschalen» auf

Insgesamt gibt es in der Schweiz 5634 pauschal besteuerte Personen, die 700 Millionen Franken an den Fiskus abliefern, also im Durchschnitt 120’000 Franken pro Jahr. Diese Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2012; es sind die aktuellsten verfügbaren. Am meisten Pauschalbesteuerte, 1369, weist der Kanton Waadt auf; sie zahlen insgesamt 208 Millionen Franken Pauschalsteuer, 148’000 pro Kopf. Die reichsten «Pauschalen» leben in Genf: 710 Steuerpflichtige zahlen pro Kopf 219’000 Franken.

Waadt und Genf sind finanzstarke Kantone, Nettozahler im Schweizer Finanzausgleich. Das Wallis (1300 Pauschalbesteuerte), das Tessin (877), Graubünden (268) und Bern (211) gehören zu den finanzschwachen Kantonen, sie setzen sich am vehementesten für die Beibehaltung der Pauschalbesteuerung ein.

Dabei ist alles andere als klar, was geschähe, würde die Pauschalsteuer abgeschafft. Im Kanton Zürich, wo sich die 200 Pauschalbesteuerten an der Goldküste ballten, hat die Abschaffung dieses Privilegs glatt die Hälfte vertrieben. Aber die Folgen für die Kantons- und Gemeindefinanzen halten sich in Grenzen. Zahlten vorher 201 Pauschalbesteuerte 32 Millionen Franken, so brachten die verbliebenen knapp 100 neuerdings ordentlichen Steuerzahler rund 30 Millionen im Jahr ein. Der Verlust wird um ein Vielfaches aufgewogen durch die ordentlich versteuernden Zuzüger in den frei gewordenen, äusserst begehrten Häusern und Wohnungen am Zürichsee.

Auf kantonaler Ebene hat man mit der Abschaffung der Pauschalbesteuerung gute Erfahrungen gemacht.

Ähnliches ist aus den Kantonen Baselland und Basel-Stadt zu vernehmen; dort sind zwar etliche «Pauschale» weggezogen (20 von 35 in beiden Halbkantonen). In den frei gewordenen Häusern wohnen aber meist schon neue Familien, die oft sehr gute Steuerzahler sind. Schwieriger dürfte der Ersatz der pauschalen Flüchtlinge in Appenzell Ausserrhoden zu finden sein; dort sind freilich auch erst fünf von 19 abhanden gekommen.

Jene Kantone, welche die Abschaffung der Pauschalbesteuerung bereits hinter sich haben, haben also eher gute Erfahrungen gemacht. Das dürfte sich nach einer Annahme der Initiative für die meisten anderen Kantone bestätigen. Nur ganz wenige Kantone (Wallis, Tessin, Bern, Graubünden) hätten wohl an einem Ja zur Initiative zu leiden. Wobei sich auch in diesen Kantonen der Anteil der Pauschal-Steuereinnahmen am gesamten Steueraufkommen sehr bescheiden ausnimmt.

Es geht nicht primär um den Nutzen

Anders sieht es für einzelne Gemeinden aus. St. Moritz zum Beispiel, wo sich 100 Pauschalbesteuerte tummeln – fast die Hälfte dieser Kategorie im Bündnerland – ist bei den Steuereinnahmen von Privatpersonen zu einem Drittel von ihnen abhängig. Würden alle wegfallen, hätte die Gemeinde ein Problem. Nur: Ob sie wirklich alle aus dem schönen Engadin fliehen würden, steht in den Sternen. Und wenn sie es täten, wären sie zuvor nur wegen der günstigen Besteuerung dort gewesen. Will man solche Mitbürger wirklich unbedingt halten?

Ausschlaggebend für den Entscheid pro oder kontra Pauschalbesteuerung sollte aber für einmal nicht die Frage sein, wem sie wie viel nützt. Sondern eher die Frage, ob die Pauschalbesteuerung für eine kleine Personengruppe in das Steuersystem eines modernen Staates passt und ob sie sozialverträglich ist. Beides ist nicht der Fall.

Warum muss Roger Federer seinen Reichtum normal versteuern, während einige seiner Sportskameraden pauschal davonkommen?

Die Glaubwürdigkeit einer demokratischen Gesellschaft steht und fällt mit der Gleichheit ihrer Mitglieder vor dem Gesetz – auch vor dem Steuergesetz. Warum wird der russische Milliardär Viktor Vekselberg an seinem Wohnort am Zugersee pauschal besteuert? Zwar ist der grösste Teil seines Vermögens im Ausland angelegt, aber er kontrolliert einige Schweizer Firmen wie Sulzer und OC Oerlikon. Er arbeitet gewiss für seine Unternehmen; warum gilt er dann nicht als erwerbstätig?

Iwan Glasenberg, Glencore-Chef mit südafrikanischen Wurzeln und Wohnsitz in Rüschlikon, bezahlt ordentlich seine hohe Steuerrechnung, obwohl der allergrösste Teil seines Einkommens im Ausland erzielt wird – er hat ja auch den Schweizer Pass. Warum muss Tennisstar Roger Federer seinen Reichtum in der Schweiz normal versteuern, während einige seiner Sportskameraden im Waadtland pauschal davonkommen?

Schlaumeierei beseitigen, statt auf ausländische «Rechtshilfe»warten

Die Pauschalbesteuerung ist sozial unverträglich, weil sie dem Prinzip zuwiderläuft, dass jeder Einwohner seinen finanziellen Beitrag zu gemeinschaftlichen Aufgaben leisten muss. Und zwar nach Massgabe seiner Leistungsfähigkeit. Mit der Veranlagung nach dem Lebensaufwand wird diese nicht angemessen erhoben. Die Pauschalbesteuerung ist tatsächlich eine steuerliche Privilegierung von reichen Ausländern. Und zwar nicht nur gegenüber Schweizer Steuerzahlern, sondern auch gegenüber zugezogenen erwerbstätigen Ausländern.

Fazit: Die Annahme der Initiative «Schluss mit den Steuerprivilegien für Millionäre (Abschaffung der Pauschalbesteuerung)» ist nicht nur wünschbar. Sie ist dringend nötig. Für einmal sollten wir doch imstande sein, eine rechtliche Schlaumeierei selber zu beseitigen und nicht auf «Rechtshilfe» aus dem Ausland zu warten.

Nächster Artikel