Gnade für Knastautoren

Der Kampf gegen die Korruption läuft in Rumänien seit drei Jahren auf Hochtouren. Doch wer eine «wissenschaftliche Arbeit» verfasst, kommt früher aus dem Gefängnis frei. Ein Portrait der neuartigen Schreibindustrie.

Der Kampf gegen die Korruption läuft in Rumänien seit drei Jahren auf Hochtouren. Doch wer eine «wissenschaftliche Arbeit» verfasst, kommt früher aus dem Gefängnis frei. Ein Portrait der neuartigen Schreibindustrie.

Kein Tag vergeht in Rumänien ohne die üblichen Meldungen über hochrangige Beamte, Geschäftsmänner, Bürgermeister, Abgeordnete oder Minister, die wegen Korruption verhaftet, angeklagt oder verurteilt werden. Gegen den sozialdemokratischen Premier Victor Ponta läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Fälschung und Steuerhinterziehung, während sein früherer Erzfeind, der ehemalige wirtschaftsliberale Staatspräsident Traian Basescu gleich in mehreren Akten der Ermittler untersucht wird.

Die mächtigen Staatsanwälte der Sonderabteilung für die Bekämpfung der Korruption (DNA) nehmen seit drei Jahren ihre Aufgaben immer ernster, die DNA ist mittlerweile in den Umfragen zu einer der beliebtesten und vertrauenswürdigsten Institutionen geworden. Doch ein skurriler Paragraph macht in der letzten Zeit den Korruptionsbekämpfern immer häufiger einen Strich durch die Rechnung: Wer eine «wissenschaftliche Arbeit» verfasst, kommt laut rumänischem Gesetz früher aus dem Gefängnis frei.

Vom Fussballvereins-Inhaber zum Fürsten-Experten

Die Bestimmung, die ursprünglich eine besondere Leistung bei der sozialen Reintegration der Straftäter anerkennen sollte, wird offensichtlich missbraucht. Rumäniens prominenteste Häftlinge sind zu erstaunlich produktiven Autoren geworden: Kaum einer kann dem Impuls widerstehen, Bücher mit akademischen Ansprüchen zu schreiben, am besten mehrere jedes Jahr. Und das trotz eingeschränkten Zugangs zu Bibliotheken oder Internetquellen, und umso verwunderlicher, als ihre bisherige Biographie oft keine ausgeprägten wissenschaftlichen Interessen vermuten liesse. Freilich gilt der vielleicht bekannteste Fall eher als Ausnahme.

Der frühere sozialdemokratische Ministerpräsident Adrian Nastase, der 2012 wegen illegaler Finanzierung seines Wahlkampfs und zwei Jahre später erneut wegen Bestechlichkeit und Erpressung verurteilt wurde, hat zwar während seines Gefängnisaufenthaltes drei Bücher geschrieben und wurde dafür einige Monate früher freigelassen. Seine intellektuellen Fähigkeiten möchte aber niemand bestreiten: Schliesslich betrachten die meisten Kommentatoren den ausgebildeten Juristen und langjährigen Politiker als die graue Eminenz, die das korrupte System raffiniert und koordiniert haben soll.

Andere Fälle sorgen jedoch für grosse Überraschung. So kam der Geschäftsmann George Copos, Inhaber des Fussballclubs Rapid Bukarest, mehrerer Hotels, sowie einer der bekanntesten rumänischen Elektronikmarktketten, im vergangenen April, fünf Monate früher als erwartet, wieder frei, nachdem er in zwei prominenten Affären wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden war. Der Grund für die Gnade der Justiz: Copos hat hinter Gittern gleich fünf «wissenschaftliche Arbeiten» veröffentlicht.

Drei davon widmen sich Themen des internationalen Tourismus und haben angesichts der Erfahrung des Geschäftsmanns in der Hotellerie eine gewisse Plausibilität. Erstaunlich ist allerdings, dass Copos auch über Kompetenzen im Bereich der Historiographie zu verfügen scheint, denn ein weiteres Buch befasste sich mit der «Rolle der Eheallianzen in der Politik der mittelalterlichen rumänischen Fürsten».

Uni-Professor winkte das Plagiat einfach durch

Das Rätsel fand dennoch kurz darauf seine Lösung: Der junge Historiker Catalin Parfene machte deutlich, dass seine Masterarbeit als Hauptinspirationsquelle für die «wissenschaftliche Arbeit» des Fussballclubinhabers gedient hatte – grosszügig und ohne entsprechende bibliographische Angaben. Das Plagiat muss dem Professor Stelian Brezeanu mindestens bekannt gewesen sein, denn der ist derjenige, der Parfenes Masterarbeit koordinierte und später auch das lobende Vorwort für Copos‘ Buch unterschrieb.

Nachdem der Skandal die Runde in den Medien machte, versuchte der Mediävist, sich aus der Affäre zu ziehen, indem er behauptete, das Werk des Hotelier-Historikers nicht sorgfältig gelesen zu haben. Doch der kuriose Umstand wirft die Frage nach der Rolle von womöglich käuflichen Akademikern in der neuartigen Knastautoren-Industrie. Das rumänische Strafgesetz bietet nämlich keine konkreten Kriterien, auf deren Basis entschieden werden kann, was genau als «wissenschaftliche Arbeit» und damit als Grund für Strafminderung gilt. Mangels klarer Bestimmungen geben sich die Richter in der Praxis mit einer Empfehlung durch einen Universitätsprofessor zufrieden.

Und ein Verlag liefert die Anleitung für die Knastautoren

Dass eine solche Empfehlung gerne gegen Bestechungsgelder ausgesprochen werden kann, haben investigative Journalisten in der Tageszeitung «Adevarul» gezeigt. Vor einigen Wochen wendeten sie sich an den bis vor kurzem unbekannten Provinzverlag Sitech, der ihnen durch die Veröffentlichung zahlreicher «Knastwerke» auffiel, und gaben an, Verwandte eines verurteilten Kommunalpolitikers zu sein, die gerne mehr über das genaue Prozedere in Sachen Zweckbücher erfahren möchten.

Auf die Anfrage erklärte Verlagsdirektor Aurel Popa im Detail, was zu tun sei: Erstens müsse ein Professor identifiziert werden, der gegen «eine Blume oder so etwas» bereit wäre, die wissenschaftlichen Kompetenzen des Insassen anzuerkennen und am besten auch ein Vorwort zu unterzeichnen. Sodann könne das Werk irgendwie verfasst, und in einer möglichst kleinen Auflage veröffentlicht werden, damit es nur schwer erhältlich bleibt. Schliesslich müsse das Buch, zusammen mit der Empfehlung, der Justiz vorgelegt werden, und das reiche völlig für eine Strafminderung von 30 Tagen.

Selbst wenn das Plagiat bewiesen ist, hat dies keinerlei juristische Konsequenzen für die Knastautoren.

Tatsächlich hat diese Methode in den meisten Fällen funktioniert. Der einzige Haken: Auch wenn der vermeintliche Autor die ganze Auflage aufkauft, muss mindestens ein Belegexemplar an die Nationale Bibliothek geschickt werden, wo es allen Interessenten, einschliesslich Journalisten zur Verfügung steht. Doch selbst wenn das Plagiat bewiesen ist, hat dies keinerlei juristische Konsequenzen für die Knastautoren.

Die Staatsanwälte der DNA wendeten sich mehrmals ans Justizministerium und baten um eine Überarbeitung des umstrittenen Paragraphs. Bisher ohne Erfolg, obwohl die skurrile Bestimmung bereits zwei Dutzend Mal Anwendung fand. Justizminister Robert Cazanciuc gibt zwar zu, dass eine Gesetzesänderung notwendig ist. Allerdings sei es nicht einfach, den wissenschaftlichen Charakter eines Werks präzise zu definieren. Im Moment arbeite das Ministerium zusammen mit den Justizbehörden daran.

Ein prominenter und sehr eifriger Autor: Talkmaster Diaconescu

Zu den brisantesten Fällen von prominenten Insassen, die noch nicht freigelassen wurden, aber eifrig Bücher schreiben, gehört der ehemalige Fernsehmoderator und Hobbypolitiker Dan Diaconescu. Der studierte Ingenieur gründete in den 2000er-Jahren zwei Fernsehsender, die sich auf Skandal- und Trash-Talkshows spezialisierten und rasant an Popularität gewannen.

In den bekanntesten, von Diaconescu selbst moderierten Sendungen, die fünf, manchmal sogar sieben Stunden dauerten, traten täglich Hellseherinnen und Astrologen, betrogene Ehemänner und schrille Nationalisten, Verschwörungstheoretiker aller Art und zwielichtige Geschäftsleute auf.




Einst sass er vor Kameras, heute im Knast und schreibt «wissenschaftliche Arbeiten»: Dan Diaconescu. (Bild: George «Poqe» Popescu)

Wie es sich später herausstellte, basierte das Rezept auf der Bereitschaft der skurrilen Gäste, für die Einladung zu zahlen. Doch ein Teil des Geldes kam aus Erpressung. In ihrer Anklageschrift erklären die Staatsanwälte der DNA, wie Diaconescu diverse Provinzbürgermeister anrief und mit der Enthüllung kleinerer oder grösserer Korruptionsaffären drohte. Das Geschäft erwies sich als besonders lukrativ, musste aber im vergangenen April abrupt aufhören. Diaconescu wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Jetzt sitzt er im Gefängnis – und schreibt Bücher. Seine Themen: Ingenieurwissenschaften und Medien.

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