Griechenland am Tag nach dem grossen Nein

Premier Alexis Tsipras hat mit dem Nein von Sonntag seine Rolle als die einzig dominierende Figur auf der politischen Bühne Griechenlands unterstrichen. Ein Weggefährte hat seinen Platz derweil geräumt: Finanzminister Varoufakis tritt zurück.

Greek Finance Minister Yanis Varoufakis arrives to make a statement in Athens, Greece July 5, 2015. Greeks overwhelmingly rejected conditions of a rescue package from creditors on Sunday, throwing the future of the country's euro zone membership into further doubt and deepening a standoff with lenders. Picture taken July 5, 2015. REUTERS/Alkis Konstantinidis TPX IMAGES OF THE DAY

(Bild: ALKIS KONSTANTINIDIS)

Mehr als 61 Prozent der Griechen haben die Sparforderungen der Gläubiger abgelehnt. Premier Alexis Tsipras hat mit diesem Wahlerfolg seine Rolle als die einzig dominierende Figur auf der politischen Bühne Griechenlands unterstrichen. Trotz des Neins tritt Finanzminister Varoufakis zurück.

Strahlend blau war der Himmel über der Athener Akropolis am Montagmorgen, aber am politischen Firmament Griechenlands zogen dunkle Wolken auf. Nachdem in der Volksabstimmung vom Sonntag mehr als sechs von zehn Wählern die Spar- und Reformauflagen der Geldgeber zurückgewiesen haben, ist Griechenlands Zukunft ungewisser denn je seit dem Ende der Militärdiktatur vor 41 Jahren.

Als das Ergebnis der Abstimmung am Sonntagabend bekannt wurde, strömten Tausende Menschen in Athen zum Syntagmaplatz. Viele schwenkten griechische Nationalflaggen und hielten Plakate mit dem Wort Ochi (Nein) in die Höhe. Einige junge Menschen tanzten zu dem alten italienischen Partisanenlied «Bella Ciao», grosse Ausgelassenheit war aber ansonsten nicht zu spüren.




«No» war das dominierende Wort am Sonntagabend in Athen. (Bild: STRINGER)

Premier Alexis Tsipras hat zwar mit diesem Wahlerfolg seine Rolle als die einzig dominierende Figur auf der politischen Bühne Griechenlands unterstrichen. Im Linksbündnis Syriza steht Tsipras unumstrittener da denn je. Aber am Montag, als die Menschen zur Arbeit gingen, war die unfreundliche Wirklichkeit wieder präsent: Schlangen vor den Geldautomaten, Hamsterkäufe in den Supermärkten.

«Das Referendum hat keines unserer Probleme gelöst», stellte am Montagmorgen ein Kioskbesitzer am Syntagmaplatz fest. Die meisten Menschen wissen wohl: Tsipras‘ Versprechen, er werde nun «innerhalb von 48 Stunden» eine Einigung mit den Geldgebern aushandeln, darf man nicht für bare Münze nehmen.

Eine gemeinsame Linie wird gesucht für die Verhandlungen

Das Ergebnis des Referendums löste hektische politische Aktivitäten in Athen aus. Der konservative Oppositionsführer und Ex-Premier Antonis Samaras, der für ein Ja gekämpft hatte, legte noch am Sonntagabend den Parteivorsitz nieder. Am Montagmorgen erklärte dann Finanzminister Yanis Varoufakis seinen Rücktritt – nicht ganz freiwillig, wie es scheint. Premier Alexis Tsipras hatte wohl eingesehen, dass sein schon lange umstrittener Kassenwart untragbar war, seit er am Samstag den Geldgebern Griechenlands «Terrorismus» vorgeworfen hatte.

Nach der scharfen Polarisierung vor der Volksabstimmung, die Griechenland tief gespalten hat, versucht Tsipras nun Brücken zu bauen. Auf seine Initiative trafen sich die Vorsitzenden aller Parlamentsparteien am Montagmorgen unter Vorsitz von Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos.

In dem fünfeinhalbstündigen Treffen beim Staatspräsidenten einigten sich die Führer von drei Oppositionsparteien auf eine gemeinsame Linie, mit der Tsipras am heutigen Dienstag in den Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der Eurozone gehen soll. Damit einigten sich die wichtigsten Parlamentsparteien erstmals seit Beginn der Krise auf einen Kurs.

Lediglich die Kommunistische Partei und die Neonazi-Partei Goldene Morgenröte stehen abseits. Die gemeinsamen Vorschläge der Parteiführer betreffen die Sicherung der Liquidität der griechischen Banken, weitere Hilfskredite, Reformen und Sparmassnahmen sowie Schuldenerleichterungen. Einzelheiten wurden zunächst nicht bekannt. Sicher ist: Aus der Runde telefonierte Tsipras in einer Pause mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Tsipras: Das Ergebnis sei «kein Bruch mit Europa»

Tsipras interpretiert das Nein nicht als Absage an den Euro oder die EU, im Gegenteil: Das Ergebnis sei «kein Bruch mit Europa», sagte er und versicherte: «Morgen kehren wir an den Verhandlungstisch zurück.» Unklar war aber, worüber die griechische Regierung verhandeln will. Das letzte Angebot der Gläubiger liegt nicht mehr auf dem Tisch, seit das Griechenland-Rettungsprogramm vor einer Woche ersatzlos auslief und die noch verfügbaren Hilfsgelder neuer griechischer Vorschlag.

Am Dienstag wollen die Euro-Finanzminister tagen, bevor sich die Staats- und Regierungschefs der Eurozone um 18.00 Uhr in Brüssel zu einem Griechenland-Sondergipfel treffen. Grosse Sympathien werden da Tsipras wohl nicht entgegenschlagen. Aber das Treffen dürfte Aufschlüsse darüber bringen, wie es nun weitergehen soll im Verhältnis der EU zu ihrem schwierigsten Mitglied.

Der Zeitdruck ist grösser denn je. Am 20. Juli muss Athen knapp 3,5 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank (EZB) zurückzahlen. Versäumt das Land die Frist, dürfte der Staatsbankrott unvermeidlich werden. Vorrang hat jetzt aber die Stabilisierung des schwer angeschlagenen Bankensystems. Das Geld in den Bankautomaten geht zur Neige. Mit Hoffnung und Bangen blicken die Griechen nun nach Frankfurt auf die Europäische Zentralbank. Von ihren Notkrediten hängt ab, wie lange noch Banknoten aus den griechischen Geldautomaten kommen.

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