Immer wieder landen linke Exekutivpolitiker in atypischen Departementen. Dort müssen sie Überzeugungen vertreten, die ihnen oft zuwider sind.
Einen optimalen Stellenantritt stellt man sich anders vor. Am 1. Juni übernimmt Richard Wolff die Stadtzürcher Polizei, wenig später steht die Räumung des Binz-Areals an. Wolff von der Alternativen Liste (AL) wurde Ende April überraschend in den Zürcher Stadtrat gewählt. Die Euphorie im links-grünen Zürich war gross, der Jammer bei den unterlegenen Freisinnigen ebenso.
Seit der Departementsverteilung hat sich die Stimmungslage allerdings geändert. Der Grüne Daniel Leupi wurde gegen seinen Willen von der Polizei zu den Finanzen versetzt und Wolff musste als Amtsneuling das frei werdende Polizeidepartement übernehmen. «Nicht mein Wunschdepartement», sagte Wolff und demonstrierte in einem ersten Interview mit dem «Tages-Anzeiger», wie gross die innere Zerrissenheit des neuen, links-alternativen Polizeichefs mit Aktivisten-Vergangenheit ist.
Den Fragen zu den Binz-Besetzern (mit denen er sympathisiert) und zur Umsetzung des Hooligan-Konkordats (gegen das seine Partei heftig kämpft) wich er aus. Dafür meinte er zur grundsätzlich polizeikritischen Haltung der AL: «Ich möchte nicht, dass die Schärfe der Kritik der AL leidet. Es ist wichtig, dass man auch auf die Polizei einen kritischen Blick wirft. Immerhin verkörpert sie das Gewaltmonopol des Staates.»
Unter scharfer Beobachtung
Wolff, das ist keine gewagte Prognose, wird in seinem neuen Amt unter scharfer Beobachtung stehen. Von den Bürgerlichen, die jeden allzu zurückhaltenden Polizei-Einsatz laut beklagen werden. Und von den eigenen Parteifreunden, die jeden zu wenig zurückhaltenden Polizei-Einsatz genauso laut beklagen werden.
Richard Wolff ist längst nicht der erste linke oder grüne Politiker, der ein Exekutivamt ausüben muss, das seinen eigenen Idealen und Vorstellungen nicht entspricht. «Das ist schon allein unserer jungen Geschichte geschuldet», sagt Regula Rytz, Co-Präsidentin der Grünen Schweiz. Die Partei gebe es erst seit dreissig Jahren. Sie baue ihre Exekutivvertretung immer noch aus. Die Neulinge in einer Regierung müssten oft übernehmen, was sonst niemand wolle, sagt Rytz. «Also die schwierigen Aufgaben. Die heiklen und die exponierten, wie jene im Polizeidepartement.» Linke Politiker mit Sicherheitsaufgaben seien aber nicht per se zum Scheitern an den eigenen Ansprüchen verurteilt. «Wenn sie es gut machen, setzen sie neue Akzente.»
Der Pionier
Ein Pionier in dieser Hinsicht ist Hanspeter Uster, der 1991 als Vertreter der Sozialistischen Grünen Alternative in den Zuger Regierungsrat gewählt wurde und dort das Sicherheitsdepartement übernehmen musste. Auch er sei zuerst sehr enttäuscht gewesen, sagt er dem «Tages-Anzeiger»: «Heute kann ich sagen: Es war das Beste, was mir politisch passieren konnte. An keinem anderen Ort hätte ich so viele gestalterische Möglichkeiten gehabt.»
Uster nutzte diese gestalterischen Möglichkeiten und setzte im Finanzkanton Zug einen Schwerpunkt auf Wirtschaftskriminalität. Am Anfang sei das Misstrauen aufseiten der Polizei gross gewesen, später sei das Misstrauen einer guten Zusammenarbeit gewichen. «Er hatte einen viel breiteren Sicherheitsbegriff als die Law-and-Order-Bürgerlichen und damit Erfolg», sagt Rytz.
In Olten funktioniert es
Tipps kann sich Wolff nicht nur von Uster holen, sondern auch von aktiven Sicherheitspolitikern aus dem linksgrünen Spektrum. Und Ratschläge, was man vielleicht lieber bleiben lassen sollte. Isaac Reber, der Grüne Baselbieter Sicherheitsdirektor, musste sich wegen seines Umgangs mit dem Harassenlauf kritisieren lassen. Und als Susanne Hochuli, die Aargauer Regierungsrätin für Gesundheit, Soziales und Militär, die Waffeninitiative öffentlich befürwortete, wollten ihr die Freisinnigen das Militär wieder wegnehmen. Die Episode von 2011 ist heute vergessen, die Kritik aber nicht verstummt. Nur kommt sie jetzt von einer anderen Seite. Die Aargauerin hat sich mit einem Brief an VBS-Chef Ueli Maurer für den Erhalt des Aarauer Waffenplatzes eingesetzt und unterstützt aktuell die Revision des Asylgesetzes – was von den Grünen nicht gerne gesehen wird.
Einfacher scheint der Spagat zwischen eigenen Ansprüchen und den Anforderungen des Amtes in Olten zu funktionieren, wo die Grüne Iris Schelbert seit vier Jahren der Polizei vorsteht. Im Gegensatz zu vielen Parteifreunden hat sie sich nicht gegen das Amt gewehrt: «Als Neuling durfte ich damals nicht auswählen. Aber ich habe insgeheim auf die Sicherheit gehofft, weil mich das Thema immer schon sehr interessiert hat.»
Ähnlich wie Uster vertritt auch Iris Schelbert einen breiten Begriff von Sicherheit. «Das geht über reine Polizeipräsenz hinaus. Sicherheit wird auch von Fragen der Stadtentwicklung und der Architektur bestimmt.» Viel falsch scheinen Schelbert und ihr 36-köpfiges Corps dabei nicht gemacht zu haben. Sie hat im Stadtpräsidiums-Wahlkampf intakte Chancen. Im Falle einer Wahl würde sie ihr Departement behalten. «Ich habe mir den Respekt des Corps erarbeitet. Das will ich nicht leichtfertig wieder aufgeben.»
Weit in die Vergangenheit
Die Wolffs und Usters und Schelberts sind die Beispiele aus der neusten Zeit. Die Thematik ist aber nicht auf die jüngere Vergangenheit beschränkt. In der Schweiz zwischen den Weltkriegen, in der Zeit der sozialen Unruhen und des Generalstreiks, gab es in Genf und Zürich linke Polizeidirektoren, die gegen ihren Willen in das Departement gezwungen wurden. Die Entwicklung in den beiden Städten war dabei sehr unterschiedlich.
Nach der blutigen Eskalation einer Demonstration in Genf im Jahr 1932, bei der 13 Demonstranten von der Schweizer Armee erschossen wurden, etablierte sich unter verschiedenen sozialdemokratischen und auch bürgerlichen Polizeidirektoren ein «breiter Konsens zugunsten einer Politik der Toleranz gegenüber sozialen Bewegungen, der bis heute kaum infrage gestellt wurde», wie es im Buch «Hutlose Bürschchen und halbreife Mädels» heisst. Ein Autor des Buches aus dem Jahr 2007 ist Marco Tackenberg. «Die Konsenskultur in Genf ging so weit, dass die Polizei mit Demonstranten symbolische Verletzungen der offiziellen Demonstrationsroute abmachte – so konnten beide Seiten ihr Gesicht wahren.»
Die Kultur entscheidet
In Zürich ging die Entwicklung in der gleichen Zeitperiode in eine andere Richtung. Alfred Traber, der spätere Gründer der neuen Kommunistischen Partei, wurde 1919 in den Stadtrat gewählt und musste gegen seinen Willen das Polizeidepartement übernehmen. Als er nach einer Demonstration im Sommer 1919 die Polizei zurückzog und bei den Ausschreitungen drei Menschen starben, warfen ihm die bürgerlichen Regierungskollegen Schwäche vor. «Ich kann mich an eine etwas verzweifelte Stelle im damaligen Protokoll erinnern, in der Traber darauf hinwies, dass er wenigstens den Tramverkehr auf dem Paradeplatz aufrechterhalten habe», sagt Tackenberg. Traber wurde wegen fortgesetzter Amtspflichtverletzung zu sechs Tagen Gefängnis verurteilt und in ein anderes Departement versetzt. Damit stand der Polizeivorsteher am Anfang des zuweilen «exzessiven Legalismus», den die Zürcher Polizei bis heute auszeichne.
Die historisch unterschiedliche Entwicklung der beiden Polizeicorps, die beide unter sozialdemokratischer Führung standen, führt Tackenberg zu folgendem Schluss: «Es kommt weniger auf die Parteifarbe eines Polizeivorstehers an. Und mehr auf die politische Kultur, in der er lebt.»
Quellen
Interview mit Richard Wolff im «Tages-Anzeiger».
Artikel zur Zürcher Departementsverteilung in der NZZ.
Kommentare zu Richard Wolff im «Tages-Anzeiger» und in der NZZ.
Hanspeter Uster im «Tages-Anzeiger».
Kontroverse um Susanne Hochuli, Bericht im Regionaljournal Aargau.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.05.13