Ein Grundeinkommen wird nicht erst seit der aktuellen Volksinitiative diskutiert. Der Philosoph André Gorz machte sich schon in den Achtzigerjahren Gedanken zur Existenzsicherung in einer Zeit, in der es nicht mehr Arbeitsplätze für alle gibt.
Anfang der 1980er-Jahre war die Arbeiterbewegung der entwickelten Länder mit einer tiefgreifenden Krise konfrontiert. Für den Ökonomen und Philosophen André Gorz (1923–2007) waren die gewerkschaftlichen und politischen Arbeiterorganisationen gar an einem toten Punkt angelangt.
Die Fixierung der marxistischen Linken und vieler Gewerkschaften auf die (Fabrik-)Arbeiterklasse erwies sich in seinen Augen als Sackgasse. In seinem 1980 erschienenen Buch «Abschied vom Proletariat» begründete Gorz dies unter anderem damit, dass die ökonomische Entwicklung nicht wie von manchen erwartet eine grosse Teile der Gesellschaft umfassende Arbeiterklasse geschaffen habe.
Das Gegenteil sei der Fall:
«Die traditionelle Arbeiterklasse ist nur noch eine privilegierte Minderheit. In ihrer Mehrheit gehört die Bevölkerung heute dem nachindustriellen Neoproletariat der Status- und Klassenlosen an, die zeitweilig, als Ersatz- und Gelegenheitsarbeiter oder Teilzeitangestellte, Hilfs- oder Aushilfsdienste verrichten – Tätigkeiten, die in nicht allzu ferner Zukunft zumeist von der Automation ausgelöscht werden.»
Die ökonomische Krise, die dem Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit Mitte der 1970er-Jahre ein jähes Ende bereitet hatte, war für Gorz keine vorübergehende Erscheinung. Vielmehr ging er davon aus, dass die zunehmende Ersetzung von menschlichen Arbeitskräften durch Automaten und die sich abzeichnende mikroelektronische Revolution nicht die für einen dauerhaften Aufschwung nötigen Arbeitsplätze schaffen, sondern in der Tendenz Arbeitsplätze vernichten würden.
20’000 Stunden Lebensarbeitszeit
Dies führte zur paradoxen Situation, dass der Bedarf nach menschlicher Arbeitskraft abnimmt, während der gesellschaftlich produzierte Reichtum wächst. Vor diesem Hintergrund schienen die üblichen Konjunkturankurbelungsmassnahmen keinen langfristigen Erfolg zu versprechen.
Was nach Gorz’ Meinung Not tat, war eine Neuverteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit und des durch sie produzierten Reichtums. In seiner 1983 publizierten Schrift «Wege ins Paradies» plädierte er dementsprechend für ein von einem Arbeitsplatz unabhängiges Grundeinkommen. In diesem habe man nicht «ein Arbeitslosensalär» oder eine «milde Unterstützung derjenigen, die die Gesellschaft marginalisiert» zu sehen.
Es sei vielmehr
«das jedem Bürger zukommende Recht, auf sein ganzes Leben verteilt das Produkt des nicht weiter reduzierbaren Quantums an gesellschaftlich notwendiger Arbeit zu erhalten, die er im Laufe seines Lebens zu erbringen hat. Es sieht kaum so aus, als würde dieses Quantum gegen Ende des Jahrhunderts 20’000 Stunden überschreiten.»
Ob diese 20’000 Stunden Arbeit am Stück oder in Etappen geleistet würden, bliebe dem Einzelnen überlassen. Entscheidend an dieser Konzeption eines Grundeinkommens ist natürlich das Recht (andere würden sagen: die Pflicht) auf Arbeit in einem Umfang von 20’000 Stunden. Dies in Betrieben und Institutionen, in denen die Arbeitsabläufe und -inhalte weitgehend festgelegt sind – Gorz bezeichnet sie deshalb als dem «heteronomen Sektor» zugehörig.
Mehr Gestaltungsmöglichkeiten böte dem Einzelnen – allein oder im Verein mit andern – die Lebenszeit jenseits der 20’000 Stunden.
Lohn für erzwungene Untätigkeit
Nichtsdestotrotz war Gorz davon überzeugt, dass auch die Arbeit im «heteronomen Sektor» für die Menschen attraktiv sei, weil sie es erlaubt, «Leute von ausserhalb zu treffen und mit ihnen weniger vertraute und freiere Beziehungen zu unterhalten als mit all denen, die in einem sofort die Schwester, die Tochter, die Kusine, die Schwiegertochter usw. sehen und einen in einem genau eingeteilten Universum situieren, in dem jeder seinen zugewiesenen Platz hat.»
Grundeinkommen und Emanzipation waren für Gorz zwei Seiten derselben Medaille. Dabei war ihm klar, dass Letztere nicht zwangsläufig aus Ersterem folgt:
«Die Garantie eines vom Arbeitsplatz unabhängigen Einkommens kann emanzipatorisch oder repressiv, linker oder rechter Prägung sein, je nachdem sie den Individuen neue Räume individueller und gesellschaftlicher Tätigkeit öffnet oder im Gegenteil nur der gesellschaftliche Lohn für ihre erzwungene Untätigkeit ist.»