Mehr Waffen für mehr Sicherheit: Seit letztem Sommer ist ein Onlineshop der National Rifle Association (NRA) aufgeschaltet, die für jede gekaufte Handfeuerwaffe ein weiteres Schiesseisen spendet – an US-Bürger in «gefährlichen» Innenstadtbezirken.
«Share the Safety» heisst die Initiative, und der NRA-Sprecher im Video hat eine ganz bestimmte Zielgruppe im Auge: Schwule. «Die können kämpfen», erklärt der Mann mit dem Rauschebart an der Medienkonferenz. Und wenn sich selbst Frauen für Waffen begeistern lassen, warum nicht auch designaffine Homosexuelle?
Typisch Amerikaner, möchte man da sagen. Aber so einfach ist es nicht.
Denn was wie eine weitere Absurdität aus Trumpland anmutet, ist tatsächlich eine clevere Intervention: Hinter dem falschen Bart steckt ein Mitglied der Aktivistengruppe The Yes Men, welche die Bigotterie der Waffenlobby aufs Korn nimmt. «Tactical media» nennt sich diese Form der politisch motivierten Medienkunst, bei der die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit flirrt.
«How much of this is fiction.» – unter diesem Titel widmet sich die aktuelle Gruppenausstellung im Haus der elektronischen Künste (HeK) der subversiven Kunstform. Und das Timing könnte nicht dringlicher sein, wie HeK-Direktorin Sabine Himmelsbach erklärt: Vor anderthalb Jahren habe man mit der Planung begonnen, jetzt sei man von der postfaktischen Politik eingeholt worden.
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehe keine historische Aufarbeitung der Tactical Media, die seit den Neunzigerjahren Verwirrung im Dienst der Aufklärung stiften, erklärt Ko-Kuratorin Annett Dekker. Man habe sich stattdessen von der Figur des «Tricksters» leiten lassen, der sich auf Deutsch nur unzulänglich als «Schwindler» übersetzen lässt.
Als zeitgemässe Verkörperung des Tricksters führt Medienkünstler und Ko-Kurator David Garcia den Hacker an, der sich die Mittel eines Mediums zunutze macht, um herrschende Systeme mit minimalen, aber folgenschweren Eingriffen zu erschüttern. Was dabei zähle, sei nicht das Erstellen von Monumenten, sondern das Wirken im Moment.
«Homeland ist eine Wassermelone»
«What if» (was, wenn) und «As if» (als ob) sind für Garcia die zwei Stossrichtungen, die in den Tactical Media konvergieren. Zum Beispiel das Projekt Guantanamo Bay Museum of Art and History, das dem grösseren Teil der Ausstellung im HeK seinen Namen gibt. Einer Website zufolge wurde das ehemalige Gefängnis 2008 geschlossen und 2012 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Montag ist Ruhetag.
Nichts davon stimmt. Aber eben weil die Geheimhaltung um das Hochsicherheitsgefängnis jede rechtsstaatliche Transparenz aushebelt, entsteht eine Leerstelle, in der das Projekt von Ian Alan Paul den systematischen Verstoss gegen Menschenrechte als Vergangenheit imaginieren lässt.
Ein schönes Beispiel für den Aufruhr, den Tactical Media stiften können, ist die Aktion «Homeland Is Not A Series», die als Dokumentation auf einem Bildschirm läuft. Für die gleichnamige Fernsehserie «Homeland» wurden 2015 Künstler gesucht, welche die Filmsets mit «realistisch» wirkenden arabischen Graffiti ausstatten sollten.
Allerdings waren die angefragten Künstler von der Fremdenfeindlichkeit der Serie nicht begeistert. Da sie einfach «irgendetwas» schreiben sollten und die Fernsehmacher keine Ahnung von Arabisch hatten, beschlossen die Künstler eine Störaktion. Sie sprayten «Homeland ist eine Wassermelone» oder «Homeland ist rassistisch» an die Mauern. Der Streich flog erst auf, als die Serie auch in arabischsprachigen Ländern ausgestrahlt wurde.
Fragen über Fragen
Die Durchdringung von Politik und Ökonomie konsequent zu Ende gedacht hat das Künstlerduo Ubermorgen in der zweiten Abteilung «Newsroom». Während des Wahlkampfes von George W. Bush und Al Gore im Jahr 2000 aktivierten Ubermorgen die Website voteauction.com, auf der Wählerinnen und Wähler ihre Stimme dem Meistbietenden verkaufen konnten.
Vor dem Hintergrund der letzten US-Präsidentschaftswahlen werfen solche Störaktionen unangenehme Fragen auf, agieren Vertreter der rechtsextremen Alt-Right-Bewegung doch selbst als Trickster, wie David Garcia einräumt: «Die Alt-Right vergiftet den öffentlichen Diskurs mit Fake News, was uns in eine schwierige Lage bringt: Inwiefern sind unsere Tricks besser?»
«How much of this is fiction.» setzt auf kleine «Wahrnehmungsverschiebungen» und nicht auf platte Kritik, wie HeK-Direktorin Sabine Himmelsbach abschliessend erklärt. Der Titel der Ausstellung endet zwar mit einem Punkt, aber da fangen die Fragezeichen erst an.