Die Händedruck-Debatte, die den Kanton Baselland über Monate in Atem hielt, soll verfassungs- und bildungsrechtliche Folgen haben: Die Baselbieter Regierung schickt einen entsprechenden Revisionsentwurf für die Kantonsverfassung und das Bildungsgesetz in die Vernehmlassung.
Lange hatte die Baselbieter Bildungs-, Kultur- und Sportdirektorin Monica Gschwind gezögert, auf die Debatte um den verweigerten Händedruck in einer Therwiler Schule mit verbindlichen Massnahmen zu reagieren.
Ende Mai folgte dann die mehrfach eingeforderte magistrale Weisung, dass die beiden Sekundarschüler ihrer Lehrerin den Händedruck nicht verweigern dürfen. In einem Rechtsgutachten war die Bildungsdirektion zum Schluss gekommen, dass die Gleichstellung von Mann und Frau höher zu gewichten sei als die Religionsfreiheit.
Jetzt will die Baselbieter Regierung auch Nägel mit rechtlichen Köpfen machen. Sie schickt den Entwurf für eine Änderung der Kantonsverfassung und des Bildungsgesetzes in die Vernehmlassung und macht damit das, was namentlich die SVP- und FDP-Fraktion im Landrat gefordert hatten.
Neu soll ein «Vorbehalt bürgerlicher Pflichten» in der Verfassung verankert werden, der in der alten Bundesverfassung von 1874 enthalten war, im Zuge der Verfassungsreform von 1999 aber gestrichen wurde. Der Wortlaut der neuen Bestimmung in Paragraf 20, Absatz 2: «Weltanschauliche Auffassungen und religiöse Vorschriften entbinden nicht von der Erfüllung bürgerlicher Pflichten.»
Meldepflicht bei Integrationsproblemen
Im Bildungsgesetz werden verschiedene Punkte detailliert aufgelistet:
So sollen die Schulen verpflichtet werden, «wesentliche Probleme mit der Integration» den kantonalen Ausländerbehörden zu melden. Dies mit der Begründung, dass die Ausländerbehörden über «geeignetere Rechtsinstrumente» verfügten als die Schulen. Dazu gehören laut Vorlage des Regierungsrats unter anderem «ausserschulisch angeordnete Verhaltenskurse». Solche Massnahmen sollen den Eltern neu in Rechnung gestellt werden können.
Neu soll im Bildungsgesetz explizit festgelegt werden, dass Schülerinnen und Schüler die «hiesigen gesellschaftlichen Werte» zu achten haben. Was unter den «hiesigen gesellschaftlichen Werten» zu verstehen sei, wird nicht im Detail festgelegt. Mit Ausnahme des vieldiskutierten Handschlags. So soll es im neuen Paragrafen 64, Absatz 1 des Bildungsgesetzes heissen:
«Die Schülerinnen und Schüler halten die Weisungen der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Schulbehörden ein, nehmen an hiesig gängigen Ritualen wie namentlich dem Handschlag, sofern er eingefordert wird, teil.»
Lückenloser Schulbesuch
In die Pflicht nehmen will das revidierte Bildungsgesetz aber nicht nur die Schülerinnen und Schüler, sondern auch die Erziehungsberechtigten. In Paragraf 69, Absatz 1 soll es demnach neu heissen:
«Die Erziehungsberechtigten halten ihre Kinder an, die Regeln und Weisungen der Schule unter Berücksichtigung der hiesigen gesellschaftlichen Werte und Rituale einzuhalten und den Unterricht lückenlos zu besuchen.»
Diese Bestimmung kann aber nicht dogmatisch durchgesetzt werden. So wird in der Vorlage an den Landrat ein Passus aus einem Entscheid des Bundesgerichts zitiert, in dem es heisst:
«Religiöse Freiheiten dürfen durch die Festlegung von Bürgerpflichten, einschliesslich der Pflicht zum Schulbesuch, nicht weiter eingeschränkt werden, als dies vom öffentlichen Interesse geboten und verhältnismässig ist.»
Öffentliches Interesse an gesellschaftlich anerkannten Gebräuchen
Grundsätzlich sieht aber die Baselbieter Regierung das öffentliche Interesse an der Einschränkung der religiösen Freiheiten als gegeben an – aufgrund der «weltweiten öffentlichen Debatte» über die Handschlagverweigerung in Therwil. In der Regierungsvorlage heisst es hierzu:
«Insbesondere unter dem Gesichtswinkel der zunehmenden Zuwanderung von Menschen in die Schweiz mit unterschiedlichen ethnischen und religiösen Hintergründen ist es zentral, dass diese Menschen die bei uns geltenden Rechte, Werte und gesellschaftlich anerkannten Gebräuche respektieren.»
Verwandlung zum Schüler
Und zu diesen Gebräuchen wird explizit (und im Bericht ausschliesslich) der Händedruck oder «Handschlag» gezählt. In der Schule habe dieser Handschlag als Ritual eine besondere Bedeutung, wird ausgeführt. Dies, um bei Beginn und dem Ende des Unterrichts den Übergang vom «privaten ausserschulischen Individuum» zur spezifischen Rolle als Schülerin oder Schüler zu markieren. Wörtlich heisst es dazu weiter:
«Die ‹Verwandlung› von Kindern oder Jugendlichen mit unterschiedlichen Herkünften und Befindlichkeiten in Schülerinnen und Schüler, die Teil einer Lerngemeinschaft werden, ist nicht selbstverständlich und bedarf einer sorgsamen Pflege und Einübung.»
Insofern habe der persönliche Handschlag «sowohl erzieherisch als auch als Teil der Rituale der Schule eine wichtige Bedeutung» – eine, die es den Schulen erlauben soll, ihn einzufordern.
Katalog von Disziplinarmassnahmen soll folgen
Die konkreten Disziplinarmassnahmen können nicht im Bildungsgesetz geregelt werden. Der Regierungsrat kündigt deshalb an, den Katalog dieser Massnahmen auf Verordnungsstufe zu ergänzen.
In der Vorlage an den Landrat ist viel von Pflichten und Strafen die Rede. Aber nicht nur. Als «flankierende Massnahme» kündigt die Regierung an, das Merkblatt «Gelebte Religion und Schulalltag» des Amts für Volksschulen zu überarbeiten. Dies unter dem Gesichtspunkt, dass Schulen auch ausdrücklich Raum für Vielfalt, für Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Religionen bieten sollen.