Handwerk umwirbt Nachwuchs

Noch nie haben sich die Berufsverbände so um Lehrlinge bemüht wie heute. Bisher mit mässigem Erfolg.

Werkstattbesuch im Atelier 111 auf dem Wolf 41 in Basel (Bild: Cedric Christopher Merkli)

Noch nie haben sich die Berufsverbände so um Lehrlinge bemüht wie heute. Bisher mit mässigem Erfolg.

Der Schweizerische Schreinermeisterverband feiert in diesem Jahr sein 125-jähriges Bestehen und will mit verschiedenen Aktionen der Öffentlichkeit wieder einmal zeigen, was ein Schreiner alles kann. Zum Beispiel am Samstag, den 12. Mai, den der Verband zum «Schreiner Happy Day» erklärt hat – zum Tag der offenen Türen in den Mitgliederfirmen.

Schliesslich geht es darum, den stetig wachsenden Billigmöbel-Ketten die Stirn zu bieten, respektive auf die Vorzüge handwerklicher Qualität aufmerksam zu machen. Aber nicht zuletzt auch darum, für den Schreinerberuf die Werbetrommel zu rühren. Denn wie andere handwerkliche Branchen muss sich auch diejenige der Schreiner mehr um Nachwuchs bemühen als auch schon.

Basel ist ein hartes Pflaster

«Jetzt kommen die geburtenschwachen Jahrgänge in die Ausbildung», sagt Romain Rosset, Bereichsleiter Berufsbildung beim Schweizerischen Schreinermeisterverband, ausserdem sei die Tendenz, ins Gymnasium zu gehen, statt eine Lehre zu machen, nach wie vor sehr stark. «Das betrifft alle Branchen.» Und die Region Basel sei ein besonders hartes Pflaster, sagt Rosset.

Tatsächlich hat der Kanton Basel-Stadt mit durchschnittlich fast 40 Prozent die höchste Gymnasialquote in der Deutschschweiz, oft sind es die Eltern, die ihre Kinder auf den gymnasialen Weg drängen.

Das sagen ausser Rosset auch andere Bildungsfachleute. In der Annahme, das sei der beste Weg zu einer erfolgreichen Zukunft. Die meistgehörte Elternfrage zur Lehre laute, sagt Rosset: «Was kann man nachher machen?» Es herrsche immer noch das Vorurteil, dass man als Schreiner nicht weiterkomme. «Unsere Antwort lautet: bis zum Master.»

Die Berufsmatura machts möglich. Und weil der Schreinermeisterverband ein vitales Interesse an gut ausgebildetem Nachwuchs hat, bezahlt er seinen Mitgliedern seit letztem Herbst sogar die Lohnausfälle für das Mehr an Schule, das die Lehrlinge für die Berufsmatura zu absolvieren haben.

Doch trotz aller Bemühungen der Verbände sei dieses duale Bildungssystem schwierig zu vermitteln, sagt Reto Baumgartner, Leiter der Abteilung Berufsbildung beim Basler Gewerbeverband. In Migrantenfamilien etwa. «Sie können nur schwer den Wert einer Maurer- oder Malerlehre verstehen.»

In ihren Ursprungsländern jobbe jemand einfach auf dem Bau, ohne Ausbildung und entsprechend ohne gesellschaftliche Anerkennung. Dabei wünschten sich gerade Migranten für ihre Kinder, dass sie es einmal besser haben sollten als sie selber.

Kategorie «sexy» oder «unsexy»?

«Das Handwerk hat jedoch nach wie vor einen goldenen Boden, aber es hat in manchen Branchen ein Imageproblem – auch bei den Jugendlichen.» Metzger zum Beispiel hätten grosse Nachwuchssorgen, da nütze auch die inzwischen neue Bezeichnung Fleischfachmann nichts. «Etwas salopp gesagt: Dieser Beruf gehört für die Jungen in die Kategorie ‹unsexy›.»

Generell die Lebensmittelbranche, sagt Baumgartner. Das zeige sich im Detailhandel sehr deutlich, wo eine Lehre im Textilbereich als viel attraktiver gelte als eine im Lebensmittelbereich. «Dabei hat ein Metzgerlehrling mit gutem Lehrabschluss sehr gute Karrieremöglichkeiten – es braucht in jeder Branche gute Kaderleute.»

Einflussreiche Leute

Einst waren Handwerker hoch angesehene Leute, wohlhabend und – in Zünften organisiert – politisch und gesellschaftlich einflussreich. Eine Handwerker-Ausbildung machen konnte nicht jeder. Sprösslinge armer Familien konnten es sich schon wegen des Lehrgelds nicht leisten, aber auch mit anderen Bedingungen hielten die Handwerker ihre Zünfte «sauber». So hatte ein uneheliches Kind keine Chance auf einen Ausbildungsplatz, verboten war die Mitgliedschaft bei einer Zunft auch für Juden.

Zünfte gibt es zwar heute noch, und immer noch versammeln sich dort einflussreiche Leute. Aber mehr zur nostalgischen Pflege eines längst überholten Männerkränzchens denn zum wirtschaftlichen Nutzen der Handwerkergilde. Denn von diesen sind nicht mehr so viele dort vertreten. Reich sind heute andere.

Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert und dem stetig zunehmenden Import von Produkten wurde die Konkurrenz für den Handwerker immer grösser und sein Einkommen kleiner. Einige Berufe sind ganz verschwunden, andere wie Sattler oder Küfer zählen zu den Raritäten, und dann gibt es noch diverse Handwerker aus dem Kunstgewerbe, die als Kleinstbetriebe zu überleben versuchen.

Klar, dass bei dieser Entwicklung der Beruf eines Handwerkers manchen Jugendlichen wenig zukunftsträchtig erscheint. Aber es werden immer noch Strassen und Häuser gebaut und renoviert, Gärten gepflegt, Lebensmittel hergestellt, Maschinen entwickelt – und dafür braucht es entsprechend qualifizierte Berufsleute.

In einigen Wochen ist für viele Jugendliche die obligatorische Schulzeit zu Ende. Wer jetzt noch keine Lehrstelle habe, so heisst es, für den sei dieses Jahr der Zug abgefahren. Obwohl der Lehrstellennachweis beider Basel noch diverse offene Stellen auflistet. Wieso melden sich diejenigen ohne Lehrstelle nicht? Wollen sich die heutigen Jugendlichen nicht mehr die Hände schmutzig machen, sind sie zu faul zum Arbeiten, wie manche behaupten?

Schulsack ist oft zu klein

Nein, sagt Urs Hasler, Inhaber eines Malerbetriebs und als Präsident der Berufsbildungskommission häufig in Basler Schulen unterwegs: «Viele von ihnen haben einen zu kleinen Schulsack, sind schlecht im Rechnen, haben Mühe mit Schreiben, können sich nicht konzentrieren.» Mit den zweijährigen Attestlehren für die eher schwächeren Schulabgänger könne man aber nicht alles abdecken, die Betriebe bräuchten auch solche mit guten Zeugnissen. «Aber eben, die Eltern sehen ihre Kinder am liebsten alle auf der Universität.»

Dabei, so Hasler, stimme der elterliche Berufswunsch oft nicht mit dem Leistungsausweis ihrer Kinder überein. Er sieht aber noch einen anderen Grund, weshalb manche gar nicht an einen handwerklichen Beruf denken: «Das Handwerk ist aus unserem Leben verschwunden, ist nicht mehr so sichtbar wie früher.» Besonders in städtischen Gebieten. Als Kind sei er auf dem Weg zur Schule immer an einer Schreinerwerkstatt vorbeigegangen, heute seien die Werkstätten irgendwo ausserhalb, an den Rändern.

Es komme letztlich eine Vielzahl von Mosaiksteinchen zusammen, sagt Reto Baumgartner vom Gewerbeverband, weshalb die Berufslehre heute einen schweren Stand habe.

Eines davon wurde bis jetzt noch kaum erwähnt, wie Margrit Stamm, Professorin für Erziehungswissenschaften an der Universität Freiburg, in ihrem Blog schreibt: «Wer eine Lehrstelle will, muss viel mehr und Umfassenderes leisten als diejenigen, die den Sprung ins Gymnasium schaffen wollen.» Nämlich: «Schnupperlehre, Bewerbungen schreiben, sich in Vorstellungsgesprächen bewähren, Multi- und Basischecks absolvieren.»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 04.05.12

Nächster Artikel