Heugabeln gegen den Fortschritt

Das Baselbiet soll offen und urban werden, sagen die einen. Das Baselbiet müsse möglichst eigen bleiben, die anderen. Jetzt muss es sich entscheiden.

Vorwärts oder zurück? Wirtschaftsförderer Marc-André Giger mit den «Aescher Wybern» im Hintergrund. (Bild: Keystone/Montage Nils Fisch)

Das Baselbiet soll offen und urban werden, sagen die einen. Das Baselbiet müsse möglichst eigen bleiben, die anderen. Jetzt muss es sich entscheiden.

Vorwärts und rückwärts und das zur gleichen Zeit: Im Baselbiet lassen sich in diesen Tagen die widersprüchlichsten Signale vernehmen.

Zuerst machten die eher Rückwärtsgewandten in der Person der neuen Landratspräsidentin Marianne Hollinger (FDP) auf sich aufmerksam. Die Freisinnige nutzte ihren ersten grossen Auftritt als höchste Baselbieterin, um die alten Zeiten des Freiheitskampfes gegen die Stadt aufleben zu lassen. Die Zeiten der gloriosen «Aescher Wyber», welche anno 1833 baseltreue Truppen mit Heugabeln und anderem hilfreichem Material verdroschen und so ihren Männern den Rücken für die entscheidende Schlacht bei der Hülftenschanz frei gehalten hatten.

«Mir tüen mache!»

Darüber sprach Marianne Hollinger am 27. Juni 2013 bei ihrer Wahlfeier in Aesch vor rund 700 Gästen, darunter viel lokale und regionale Prominenz, auch aus Basel. Die einen waren begeistert, die anderen eher peinlich berührt, spätestens nachdem Hollinger die neue Landratsvizepräsidentin Daniela Gaugler und den abtretenden Landratspräsidenten Jürg Degen nach Vorbild der «Aescher Wyber» mit einer Heugabel ausgerüstet hatte.

Fünf Tage später meldete sich das andere Baselbiet in der Person von Marc-André Giger zu Wort. Bei einer Pressekonferenz in Liestal kommunizierte der Projektleiter zusammen mit der gesamten Regierung die nächsten Etappen der Baselbieter Wirtschafts­offensive. Giger sprach dabei viel von der «Marke Baselland», von «Branding» und dem neuen Claim «Baselland – Inspiration for Business».

Dieser Slogan passe zwar nicht zur alten «Mir-wei-luege»-Mentalität der Baselbieter, aber zur neuen Aufbruchstimmung im Kanton, sagte er danach im Interview. «Mir tüen mache!», müsse man sich heute sagen.

Housing, Living, Schooling

Will heissen: noch attraktiver werden für die Unternehmen und ihre Mitarbeiter, und zwar in allen Bereichen: Housing, Living, Schooling. Dafür brauche es Investitionen. Aber die Ausgangslage sei gut, wegen der gros­sen Vielfalt in dem teilweise so ländlichen und teilweise so urbanen Kanton. «Inspiration gibt es überall dort, wo unterschiedliche Menschen zusammenkommen. Das ist es, was die Wirtschaft sucht», sagt Giger.

Wer wird sich durchsetzen in diesem Kampf der Kulturen? Das hängt nicht zuletzt von der Regierung ab. Und diese spielt eine interessante Rolle. In der alten Zusammensetzung stand die Regierung für das alte Baselbiet skeptisch gegenüber allem Städtischen, skeptisch auch gegenüber Veränderungen im eigenen Kanton. Die Wirtschaftspolitik beschränkte sich – soweit es überhaupt eine gab – auf Steuersenkungen.

Schöne Worte

In seiner neuen Zusammensetzung hat der Regierungsrat die neuen Ideen nun immerhin so weit verinnerlicht, dass er bereit ist zu investieren, um für etwas mehr wirtschaftliche Dynamik zu sorgen und so die Steuereinnahmen zu erhöhen.

In der Kommunikation sind die fünf Regierungsräte Sabine Pegoraro (FDP, Bau), Thomas Weber (SVP, Volkswirtschaft), Anton Lauber (CVP, Finanzen), Isaac Reber (Grüne, Sicherheit) und Urs Wüthrich (SP, Bildung) sogar schon fast so perfekt wie Giger: An der gemeinsamen Pressekonferenz vom Dienstag sagten jedenfalls auch sie «Key Account Management», «Tax Guide» oder «Welcome Desk», wenn sie früher wahrscheinlich noch von «Bestandespflege», «Steuerbroschüren» oder «Kundenschalter» gesprochen hätten.

Auch die Regierung spricht jetzt plötzlich englisch-modern.

Noch sind das alles aber nur schöne Worte (oder einfach nur englische, je nach Sichtweise). Noch ist auf den auserwählten Entwicklungsgebieten wenig bis gar nichts zu sehen von ­einer Wirtschaftsoffensive. Und manchmal scheinen sich die verantwortlichen Politiker auch eher um sich und die eigene Position zu kümmern als um das eigentlich so wich­tige Projekt.

Wenn zum Beispiel Baudirektorin Pegoraro kurz vor Amtsantritt des neuen Volkswirtschaftsdirektors die Leitung der Wirtschaftsoffensive an sich reisst und sich erst nach längerem Hin und Her bereit erklärt, das prestigeträchtige Amt wieder abzu­geben, erinnert das sehr viel eher an das unzimperliche Vorgehen der «Aescher Wyber» von 1833 als an das strategische Denken und das transparente Vorgehen, das Giger so wichtig ist.

Quellen

Blogger Manfred Messmer über den neuen Claim der Baselbieter Regierung.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 05.07.13

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