Hilferufe aus dem Asylheim

Menschenrechtsorganisationen klagen über unhaltbare Zustände in der Basler Empfangsstelle für Asylbewerber. Die Verantwortlichen üben sich in Schweigen.

Zu wenig Platz, Klagen über mangelnde Betreuung: Das Basler Asylzentrum sorgt immer wieder für negative Schlagzeilen. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Menschenrechtsorganisationen klagen über unhaltbare Zustände in der Basler Empfangsstelle für Asylbewerber. Die Verantwortlichen üben sich in Schweigen.

Das Basler Empfangs- und Verfahrenszentrum für Asylsuchende (EVZ), eingeklemmt zwischen Zoll, Bahndamm und Langen Erlen, ist an sich schon kein schöner Anblick. Das direkt angegliederte Ausschaffungsgefängnis mit doppeltem Stacheldrahtzaun und die ebenfalls umzäunten Holzbaracken des EVZ mögen wohl manchen Flüchtling an die Zustände erinnern, denen er zu entrinnen versuchte.

Auch im Innern des EVZ scheint einiges im Argen zu liegen. Vor zwei Jahren mahnte die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF), dass das Basler EVZ in einem wenig befriedigenden Zustand sei. Besonders bemängelte die NKVF die Platzverhältnisse: 2012 standen in der für 350 Insassen geplanten Anlage 475 Betten.

Zu wenig Platz

Die Verhältnisse hätten sich in der Zwischenzeit noch «erheblich verschlimmert», sagt Katrin Meyer von der Menschenrechtsorganisation Augenauf: «Wir wissen aus mehreren Quellen, dass zurzeit etwa 500 Personen im EVZ leben. Die überzähligen Menschen müssen wegen Bettenmangels auf dem Boden schlafen.» Diese Angaben wurden der TagesWoche auch von einer Betreuerin bestätigt, die anonym bleiben möchte.

Obwohl die Asylsuchenden gesetzlich nicht länger als 90 Tage in einer Auffangeinrichtung leben sollen, weiss Augenauf von Fällen, in denen diese Richtlinie nicht eingehalten und die Aufenthaltszeit fast um das Doppelte überschritten wurde.

Das EVZ sei in der zweiten Maihälfte tatsächlich an seine Kapazitätsgrenzen gestossen, schreibt das Bundesamt für Migration (BFM) in einer Stellungnahme. «Mit der Öffnung einer Zivilschutzanlage am 22. Mai 2014 konnte die Situation rasch entschärft werden, so dass mittlerweile niemand mehr in provisorischen Betten schlafen muss.» Was die Aufenthaltsdauer betreffe, so könne diese «in Einzelfällen und aus verschiedenen Gründen» überschritten werden, so das BFM: «Dies kommt vor, wenn Asylsuchende vorübergehend abwesend sind (Spital, Gefängnis, verschwunden etc.) oder wenn es aus medizinischen oder betreuerischen Gründen in ihrem Interesse liegt.»

Mehreren Zeugen zufolge kam es in der letzten Zeit zu mindestens zwei heftigen Übergriffen vonseiten des Personals.

Auch was den Umgang mit den Asylsuchenden betrifft, kommt es immer wieder zu Klagen. So sei etwa eine Insassin mit schwerer Lungenentzündung für den Putzdienst eingesetzt worden. Solches ist laut BFM nicht üblich: «Kranke, bettlägerige Personen sind vom Reingungsdienst entbunden.» Im Zweifelsfall entscheide allerdings das im EVZ anwesende medizinische Personal.

Manchmal kommt es offenbar auch zu Gewalttätigkeiten. Mehrere Zeugen berichten, dass es in der letzten Zeit zu mindestens zwei heftigen Übergriffen vonseiten des Personals gekommen sei. Eines der Opfer, ein Invalider, sei seit den Übergriffen vor einigen Tagen nicht mehr ins Zentrum zurückgekommen und liege möglicherweise im Spital. Vom Securitas-Betreuungspersonal hätten sie keine eindeutige Antwort über den Verbleib des Mannes erhalten, sagen Mitinsassen. Auch auf diese Vorwürfe hat das BFM inzwischen reagiert: Solche Zwischenfälle «sind der Leitung des EVZ nicht bekannt».

Kein Personal für Kinder

Laut Augenauf ist auch das Kindswohl im EVZ nicht gewährleistet. So sei etwa eine alleinerziehende Mutter zehn Tage hospitalisiert worden. Ihre beiden Töchter, acht und zwölf Jahre alt, seien mehrheitlich auf sich allein gestellt gewesen, weil es kein spezialisiertes Betreuungspersonal für Kinder gibt. «Die Kinder können auch keine Schule besuchen», kritisiert Meyer. «Die Basisangebote sind völlig unzureichend und beschränken sich auf ein bisschen Mathematik und Malen.» Generell werden unbegleiteten Kindern und Minderjährigen immer Betreuungspersonen des EVZ zur Seite gestellt, bei Bedarf wird die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde einbezogen.

Das BFM dementiert dies. Generell würden «unbegleiteten Kindern und Minderjährigen immer Betreuungspersonen des EVZ zur Seite gestellt». Bei Bedarf werde zudem die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde beibezogen. Zudem würden kleine Kinder generell jeden Vormittag durch zwei Freiwillige des Schweizerischen Roten Kreuzes betreut, die auf «spielerische Art und Weise die Sprachkompetenz fördern».

Ein weiterer Kritikpunkt der Menschenrechtsorganisation sind die Strafmassnahmen, die im EVZ «nach Gutdünken» und ohne juristische Kontrolle von zivilen Sicherheitsbeamten verhängt würden – etwa Ausgangssperren oder die Unterbringung in einer sogenannten «Besinnungszelle». Massnahmen, die auch nach Auffassung der NKVF äusserst problematisch sind. De facto handelt es sich dabei um eine Art Strafvollzug. Für einen solchen fehlt dem privaten Sicherheitsdienst die gesetzliche Grundlage.

Neben Pfefferspray würden die Securitas-Mitarbeiter bei Rangeleien speziell trainierte «Schockschläge» anwenden, berichten Zeugen. Die meisten Betreuer verhielten sich aber anständig, sagt eine Insassin zur TagesWoche, manchmal sei aber die Kommunikation schwierig: «Viele von uns verstehen fast kein Wort Deutsch.» Das führe zu Angst und Gefühlen des Ausgeliefertseins. «Viele wissen auch nicht, wie sie sich wehren sollen, wenn ihnen Unrecht geschieht.»

Wer zu spät kommt, schläft draussen

Auch die Ausgangs-, Ein- und Austrittszeiten werden von der Securitas geregelt – streng nach Bürozeiten. Die Insassen dürfen die Empfangsstelle zwischen 9 und 17 Uhr verlassen. Wer zu spät kommt, muss auf der Strasse schlafen und bekommt bis zu drei Tage Ausgehverbot oder das Taschengeld wird gestrichen. Das Ausgehverbot gilt auch für die Kinder der säumigen Flüchtlinge. Sie werden ebenfalls drei Tage lang im überfüllten Heim eingesperrt und mitbestraft.

Laut Katrin Meyer nimmt das EVZ auch Asylanträge und Neuzugänge nur während der Bürozeiten entgegen. Von Freitag, 17 Uhr, bis Montag, 9 Uhr, ist das EVZ für Neuankommende geschlossen. «Uns wurde von Leuten berichtet, die aus der Empfangsstelle Chiasso nach Basel geschickt wurden. Trafen sie später als um 17 Uhr ein, mussten sie das Wochenende im Freien verbringen.»

Handys sind verboten

Schlimm für viele Heimbewohner ist auch das Handyverbot, das im EVZ gilt. «Damit sind die Leute, die in einer extrem prekären Situation leben, faktisch nicht erreichbar», sagt Meyer. Ein Grossteil der Flüchtlinge komme aus Kriegsgebieten wie Syrien oder Eritrea. «Diese Menschen sorgen sich um ihre Familien und warten oft auf Nachrichten über verschollene Angehörige. Das Handyverbot ist eine unverhältnismässige persönliche Einschränkung, die als Schikane gewertet werden muss.»

Der Leiter der Empfangsstelle, Roger Lang, wurde schon vor Monaten von Augenauf mit Fragen zu einzelnen Missständen konfrontiert. Antworten auf das dringende Problem der am Wochenende Ausgesperrten habe man bislang nicht erhalten, sagt Katrin Meyer. Auch gegenüber der TagesWoche zog es der Heimleiter vor, die gestellten Fragen nicht zu beantworten.

Artikelgeschichte

Dieser Beitrag wurde am 20.6.2014 mit einer Stellungnahme des Bundesamts für Migration ergänzt.

Nächster Artikel