Nicht erst seit Hunderttausende verzweifelter Syrer Zuflucht in Jordanien suchen, gilt das Königreich als ein Hort für Hilfesuchende.
Stein an Stein breitet sich Amman aus bis an den Horizont. Ein heller, staubiger Teppich, der sich über unzählige Hügel legt. Einst waren es sieben wie in Rom, doch das ist längst vorbei. Die Stadt breitet sich immer weiter aus ins Land, mehr als ein Drittel aller Jordanier lebt im Grossraum Amman. Das monochrome Stadtbild rührt vom Kalkstein, mit dem alles gebaut wird. Eine Stadt aus Stein: Das passt zu Jordanien, das für Stabilität und Beständigkeit in der Region steht, zugleich schmucklos und uneitel ist. Sicherheit in einer Ecke der Welt, die man für Krisen und Kriege kennt.
Eingekreist von Israel, dem Westjordanland, den Golanhöhen, dem Irak und Syrien, liegt das Königreich Jordanien im Auge des Sturms. Ein Hort der Ruhe und ein Platz der Zuflucht für Flüchtlinge. Windböen zerren an der riesigen Landesflagge, die am fast 130 Meter hohen Fahnenmast über Amman flattert. Wäre sie weiss, würde das fast noch besser passen. Dieses Land will nicht mitkämpfen, sich auf keine Seite schlagen, sich nichts einverleiben und keine Ölfelder okkupieren. Hier will man vor allem Frieden.
Ein offenes Ohr
Darüber wacht der König höchstpersönlich. Er ist allgegenwärtig, auch im Strassenbild. Überall hängen Plakate des Oberhaupts, seines Vaters oder des Kronprinzen. Oft vergilbt von Sonne und Alter. König Abdullah II. hat durchaus ein offenes Ohr, wenn sein Volk demonstriert, reagiert hin und wieder mit Zugeständnissen. Den arabischen Frühling, so scheint es, sehnt sich hier keiner herbei. Tatsächlich hat man mit ganz anderen Problemen zu kämpfen – mit der Notsituation in Syrien sowie einer handfesten Wirtschaftsflaute.
Kleine Punkte flattern über der Stadt. Sie formieren sich, ziehen Kreise, dann steuern sie ein bescheidenes Flachdach auf dem Jebel Amman, einem der Hügel, an. In den Strassen dahinter trifft man sich, hört Musik, kauft Bücher, raucht eine Wasserpfeife. Ansonsten könnte das szenige Viertel genauso in einer europäischen Stadt liegen. Die Punkte entpuppen sich als dressierte Tauben, die nach einem Ausflug über der Altstadt in ihr Zuhause auf dem Dach der Brüder Maron zurückkehren.
Jordaniens Gastfreundschaft kommt auch denen zugute, die dringend Hilfe brauchen.
Einer der Zwillinge ist arbeitslos, der andere hat Arbeit – nicht ungewöhnlich in Jordanien. Für die soziale Absicherung springt nicht der Staat, sondern die Familie ein. Keiner beklagt sich, es ist selbstverständlich. Statt sich über flaue Zeiten zu echauffieren, zeigen die beiden lieber, was ihre 60 flügelschlagenden Lieblinge können. Einem Fremden auf dem Kopf sitzen etwa. Die Brüder haben spontan auf einen Tee heraufgebeten. Gastfreundschaft wird in Jordanien hochgehalten. Das kommt auch denen zugute, die Hilfe dringend brauchen. Das Land nimmt schon seit Jahrzehnten Not leidende Nachbarn auf, derzeit aus dem gebeutelten Syrien, wo Millionen von Menschen auf der Flucht sind.
«Don’t forget Palestine!», prangt auf T-Shirts im hippen Shop eine Ecke weiter. Ein durchaus ernst gemeinter Appell. Jordanien hat in seiner Geschichte bereits unfassbar viele Vertriebene aufgenommen. Die Palästinenser flüchteten in den 1940ern und 1960ern aus Israel über den Jordan. Die Iraker folgten während der Golfkriege. Jetzt die Syrer. Palästinenser und ihre Nachkommen stellen tatsächlich mehr als die Hälfte der jordanischen Bevölkerung – sie erhielten vom König Pässe. Manche haben ihre Wartestellung trotzdem nicht aufgegeben, leben seit mehr als 60 Jahren in den Lagern, auch wenn man die Zäune abgerissen und Häuser gebaut hat.
Umgeben von Krisenstaaten
Doch viele fanden ihren Platz auch mitten in der jordanischen Gesellschaft, haben gute Jobs. Seit drei Jahren nun retten sich Syrer über die Grenze ins haschemitische Königreich. Nimmt man nur die Zahl von 590’000 registrierten Flüchtlingen, so kommt auf jeden zehnten Jordanier ein vertriebener Syrer. Doch man ist sich sicher, dass in Wahrheit viel mehr Zuflucht gefunden haben.
Mitten in der Altstadt, wo es zwischen kleinen Läden, Suks und vollen Strassen orientalischer, lauter und gedrängter zugeht, empfängt Herzog Mamdouh Bisharat in einem der wenigen historischen Gebäude. Er hat es gerettet und für alle geöffnet, die sich austauschen wollen – ob Einheimische oder Ausländer.
Er ist 75, ein Bewahrer der Kultur des Landes, ein Verfechter von internationalem Dialog, der vermutlich jeden kennt, der in Jordanien etwas zu sagen hat. In unzähligen kleinen Adressbüchern schlägt er bei Bedarf Kontakte nach, ständig klingelt sein Telefon. Er wuchs zusammen mit König Hussein auf, dem Vater des amtierenden Königs, der ihn für seine Verdienste zum einzigen Herzog Jordaniens ernannte, weil er sich sonst nichts schenken liess. «Jordanien ist ein Himmel für Flüchtlinge», meint er, «und das seit jeher. Wir sind umgeben von Krisenstaaten.»
Seit dem arabischen Frühling geht es mit der jordanischen Wirtschaft bergab.
Doch wenn sich ringsum alles beruhigt habe, da ist er sicher, werde Jordanien ein boomendes Land sein. Momentan leidet es an der Misere in der Region. Seit der arabische Frühling um sich greift, geht es mit der jordanischen Wirtschaft bergab, seit dem Krieg in Syrien sowieso. Die menschliche Katastrophe im Nachbarland ist in allen Medien. Das Business stockt. Auch die Touristen, die so gern auf biblischen Pfaden durch Jordanien streiften oder das Welterbe Petra besuchten, trauen sich nicht so recht. So Tür an Tür mit Syrien?
Doch in Jordanien fühlen sich die Menschen sicher – schliesslich hat man sich immer aus allem rausgehalten. Tragödien jenseits seiner Grenzen ist sich das Land gewohnt. Doch diese Zuversicht lässt sich auf Investoren und Urlauber kaum übertragen. Der neue Terminal des Flughafens, gebaut von keinem Geringeren als Sir Norman Foster, wurde denkbar ungünstig 2013 fertig. Gedacht als Drehscheibe des Morgenlands, eilt man derzeit durch reichlich leere Hallen, in denen der Lautsprecherruf des Muezzin geisterhaft zwischen Anzeigetafeln und Starbucks verhallt.
Wachsende Ablehnung
«Wir sind Flüchtlinge gewöhnt», sagt Maria Haddad. Der Alltag in Amman habe sich nicht merklich verändert. Ohnehin sind die Syrer ja keine Unbekannten in Jordanien. Wie sollte man auf der Strasse überhaupt sagen, wer ein Flüchtling ist und wer nicht? Die 28-Jährige hat mit ihren Geschwistern eine Kochschule in Ost-Amman eröffnet, im Haus der Grossmutter. Nun schmieden sie den Plan, eine syrische Köchin einzubinden, auch deren Kochtradition zu vermitteln. Gastfreundschaft kennt in Jordanien viele Wege.
Manche Jordanier sorgt, dass zur Dauerlösung werden könnte, was vorübergehend gedacht war. Saatari etwa, das Lager bei Mafra, an der Grenze zu Syrien hat mit seinen 128’000 Bewohnern bereits Stadtgrösse erreicht. Die Zelte wichen Containern. In einem der wasserärmsten Länder der Welt muss das knappe Gut täglich in Hunderten von Tankwagen ins Camp gefahren werden.
Gerade hat der erste Supermarkt eröffnet. Dabei wohnen nur zwischen zehn und dreissig Prozent der Syrer in Lagern – der Rest verteilt sich in den Städten, mischt sich in den Alltag. Das bleibt nicht ohne Wirkung: Mieten steigen, weil Flüchtlinge Wohnungen in der Not überbelegen und daher mehr zahlen können. Menschen bieten ihre Arbeitskraft zu Dumpingpreisen an. Auch Lebensmittel werden teurer. Manche öffentlichen Schulen fahren ein Zwei-Schicht-System – morgens die jordanischen, nachmittags die syrischen Kinder. Vielleicht ist das Gastland an einem kritischen Punkt angelangt.
An den Grenzen weist man manche Flüchtlinge zurück. Im Volk wird hier und da gemurrt. Einheimische hupen Syrer schon mal auf der Strasse weg, wenn sie ihr Nummernschild erkennen. Das haben enttäuschte Flüchtlinge Samar Muhareb erzählt. Sie ist Leiterin des Legal-Aid-Teams der Nichtregierungsorganisation Arabic Renaissance of Democracy and Development, kümmert sich um die Rechte von In- und Ausländern. Sie war immer stolz, dass ihre Heimat Jordanien ein so grosses Herz hat, wirbt um Verständnis. Ihr Vater war palästinensischer Flüchtling, ihre Oma Syrerin. Noch immer sei Solidarität zu spüren, beobachtet sie, aber auch wachsende Furcht und Ablehnung. Doch ganz gleich, ob die Gastfreundschaft oder die Sorge siegen – schon jetzt hat Jordanien bewundernswert viel dafür getan, die Not seiner Nachbarn zu lindern.