Am Donnerstag fand im Wirtschaftsgymnasium eine Podiumsdiskussion zu der 1:12-Initiative statt. Die hitzige Debatte blieb spannend bis zum Schluss – obwohl von Anfang an klar war, wo die Sympathien des Publikums lagen.
Die Abstimmung über die 1:12-Initiative steht bevor – die Argumente dafür und dagegen werden in den Medien ebenso grossgeredet wie in den Kampagnen der Wahlkampfkomitees. Doch die Leute scheinen der «1:12-Leier» noch immer nicht müde zu sein, das Thema gewinnt vor dem Abstimmungstermin noch an Aufmerksamkeit. Auch am Wirtschaftsgymnasium in Basel herrscht Abstimmungsfieber.
Im Rahmen eines Streitgesprächs erhielten die Schülerinnen und Schüler Einblick in die hitzige Diskussion rund um die bevorstehende Abstimmung. SVP-Grossrat Joël Thüring und Beda Baumgartner, Präsident Juso Basel-Stadt, boten sich Paroli. Die Journalistin Martina Rutschmann moderierte das Streitgespräch.
Rektor Patrick Langloh eröffnete die Veranstaltung und verkündete, dass er den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit bieten wolle, sich mit aktuellen Themen auseinanderzusetzen. Sie sollten einen Einblick in die Argumentation der Politiker erhalten und lernen, wie man sich anhand von unterschiedlichen Argumenten eine eigene Meinung bildet.
Die Schüler waren mehrheitlich gegen die Initiative
Martina Rutschmann stellte gleich zu Beginn die Frage, wie die Anwesenden abstimmen würden – noch unvoreingenommen von der Argumentation der Debattanten. Das Resultat war eindeutig. Abgesehen von ein paar vereinzelten waren alle dagegen. Doch Baumgartner liess sich davon nicht einschüchtern – sein Kampfgeist war geweckt.
Die Debattanten schienen zwar beide gegen Lohnexzesse zu sein – (dies behauptete Thüring zumindest, auch wenn er im Verlauf des Vormittags wenig Motivation zeigte, über mögliche Massnahmen gegen diesen «Missstand» nachzudenken). Während Baumgartner die Initiative als griffiges Mittel gegen «horrende Managerlöhne» darstellte, ist diese in Thürings Augen «als Instrument der Umverteilung völlig nutzlos». Das sage er unabhängig von seiner politischen Einstellung. Die Lohnexzesse könnten mit der kürzlich angenommenen Abzockerinitiative reguliert werden, und die Mindestlöhne kämen in der Mindestlohninitiative zur Sprache – Thürings Statement war damit klar: «Die 1:12-Initiative bringt überhaupt nichts – weder unten noch oben.»
«Mittlerweilen haben alle begriffen, dass die 1:12-Initiative totaler Chabis ist.»
Gegen diesen Vorwurf, wusste sich Baumgartner zu wehren. Die meisten Firmen, die von der Initiative betroffen wären, lägen nur wenig über dem Verhältnis 1:12 – da wäre es einfach, die unteren Löhne anzuheben, wodurch das Einkommen umverteilt würde. Dass die Abzockerinitiative nun plötzlich von bürgerlichen Politikern gelobt würde, die sie vorher bekämpften, bezeichnete Baumgartner zudem als heuchlerisch.
«Die 1:12-Initiative findet so viel Gehör, weil die Bevölkerung einen Missstand wahrnimmt. Die UBS machte kürzlich in einem Jahr gleich viel Verlust, wie sie Boni auszahlte: 250 Millionen. Das ist doch absurd», sagte er. Wenn der Markt dabei versage, für angemessene Löhne zu sorgen, müsse der Staat eingreifen.
«Das ist doch weltfremd!»
Diese Argumentation empfindet Thüring als «weltfremd» – was man den Jusos, die ihr Geld «mehrheitlich noch nicht selbst verdienten», allerdings nicht verübeln könne. «Die Welt ist nun leider mal nicht völlig gerecht», sagte er, doch sei es bestimmt keine Lösung, sich wieder «kommunistischen» Modellen zuzuwenden, die sich in der Geschichte mehrfach als untauglich erwiesen hätten.
Das Problem solch einer Initiative sei laut Thüring, dass sie auf den ersten Blick sympathisch wirke. Es sei ein bisschen Information nötig, bis die Leute begreifen würden, wie «unrealistisch» die Initiative in Wirklichkeit sei. Dies habe das Stimmvolk nun mehrheitlich begriffen: «Mir ist weder eine Zeitung noch eine Partei bekannt, welche die Initiative deutlich befürwortet. Inzwischen haben alle begriffen, dass die 1:12-Initiative totaler Chabis ist.»
«Wir müssen uns endlich bewusst werden, was die Schweiz als Standort wirklich attraktiv macht.»
Baumgartner gab zu, dass die Initiative im Laufe des Wahlkampfs an Befürwortern verlor – was er unter anderem der «ausgeklügelten Angstmacherei» im Wahlkampf zuschrieb.
Seit Jahren werde laut Baumgartner bei wirtschaftlichen Initiativen von der Gegenseite immer wieder behauptet, dass die Firmen ins Ausland ziehen würden. Diese Prognose habe sich zumindest im Fall der Abzockerinitiative nicht bewahrheitet: Die Initiative wurde angenommen, die Firmen sind geblieben. Daher sei es an der Zeit, sich ins Bewusstsein zu rufen, was die Schweiz als Standort wirklich attraktiv mache: eine exzellente Bildung, gute Infrastruktur, politische Solidität und sozialer Frieden.
«1:12 gefährdet den sozialen Frieden.»
Zu diesem «sozialen Frieden» solle die 1:12-Initiative zusätzlich beitragen. Diese Aussage war für Thüring zu viel, er konnte es sich nicht länger verklemmen, Baumgartner ins Wort zu fallen: «Die Initiative gefährdet eben diesen sozialen Frieden, den du da heraufbeschwörst», sagte er, denn die Steuerverluste würden bei einer Annahme die Abgaben durch Sozialversicherungsbeiträge und Mehrwertsteuer in die Höhe treiben.
Spitzenlohn für Spitzenmanager
Thüring wies vermehrt auf die erfreuliche Situation in der Schweiz hin: die Löhne seien hoch, die Arbeitslosigkeit extrem tief. Firmen wir Nestlé und Swatch, die von 1:12 betroffen wären, würden die Schweizer Wirtschaft ankurbeln, indem sie hervorragende Produkte herstellten, und für Arbeitsplätze und Wohlstand sorgten – Spitzenmanagern müsse man halt auch Spitzenlöhne zahlen. Mittelmässige Löhne reichten nur für mittelmässige Manager.
Natürlich sei unser Wirtschaftssystem nicht vollkommen. In vielerlei Hinsicht sei es aber so «hervorragend», dass man die wenigen Nachteile in Kauf nehmen müsse. Baumgartner hatte dagegen einzuwenden, dass nicht die wenigen «Riesenfirmen» den Erfolg der Schweiz ausmachten, sondern die 97 Prozent der Unternehmen, die 1:12 schon heute einhielten.
«1:12 ist ein Exportschlager.»
Auf die Frage der Moderatorin, weshalb so eine Initiative ausgerechnet in der Schweiz zustande gekommen sei, antwortete Baumgartner, dass man hier über die richtigen Instrumente verfüge – eine direkte Demokratie und das Initiativrecht. Zudem würde man sich in anderen Ländern bereits an der Initiative der JUSO orientieren: «1:12 ist ein Exportschlager, spanische Sozialisten übernehmen das Konzept bereits.»
Baumgartner warf auch ethische Fragen auf, etwa in Bezug auf das Verhältnis von Arbeitsproduktivität und Entlöhnung: «Kann jemand tatsächlich in einem Monat mehr leisten als ein anderer in einem ganzen Jahr?».
Schüler bringen Politiker in Verlegenheit
Was mit den hohen Lohnüberschüssen jener Unternehmen passieren würde, die momentan ein Verhältnis von bis zu 1:200 haben, konnte Baumgartner nicht sagen – das sei dann eine «Frage der Umsetzung». Eine Möglichkeit sehe er darin, dass das überschüssige Geld einfach an die Aktionäre ausgezahlt würde.
Auf diesen Punkt ging auch die erste Frage aus der Schülerschaft ein. «Ist das überhaupt Umverteilung? Was bringt es beispielsweise einem Masseur vom FC Basel, wenn den Aktionären, die ohnehin schon reich sind, noch mehr Dividenden ausbezahlt werden?» Auch diese Frage konnte Baumgartner nicht wirklich beantworten.
Ein anderer Schüler wollte wissen: «Wie lange haben Sie an dieser Initiative rumgetüftelt? Es kommt mir nämlich ein bisschen vor wie eine Schnapsidee. Die Initiative ist löchrig wie ein Emmentaler Käse.»
«Das Verhältnis der Pros und Contras ist in etwa 1:12.»
Doch auch Thüring wurde kurz darauf von einem Schüler in Verlegenheit gebracht: «Herr Thüring, Sie sagen, dass der Staat sich nicht einmischen sollte – wenn Sie Leuten aber verbieten wollen, Burkas zu tragen und Minarette zu bauen, dann mischen Sie sich doch ebenso in private Angelegenheiten ein?» Lächeln ging durch die Sitzreihen. Thüring gab die knappe Antwort, Frauen könnten in ihrem «Zuhause» eine Burka tragen, solange sie wollen.
Am Schluss hatten sie sich wieder gerne
Zum Schluss hatte Thüring noch ein paar versöhnliche Worte für Baumgartner übrig. Ganz egal, wo man stehe, finde er politisches Engagement «extrem wertvoll», gerade von jungen Leuten. Das sei Beda Baumgartner und der ganzen Juso hoch anzurechnen. Nach diesem unerwarteten Kompliment von SVP an Juso übernahm Rutschmann ein letztes Mal das Wort.
Die Moderatorin forderte die Schülerinnen und Schüler zum Schluss noch einmal dazu auf, «abzustimmen», welche Seite sie nach dieser Diskussion überzeugt hat. Das Bild in der Aula war fast unverändert – Baumgartner meinte, ein paar mehr Hände in der Luft zu sehen, die die Initiative befürworteten. Dem stimmte Thüring zu. Das Verhältnis der Pro- und Contra-Stimmen sei aber immer noch etwa 1 zu 12.