Honorar-Affäre: Es geht um noch sehr viel mehr Geld

Die Baselbieter Honorar-Affäre hat noch eine ganz andere Dimension, als die Regierung zuerst glauben machen wollte. Wahrscheinlich werden die Untersuchungen auch auf die Jahre vor 2009 augedehnt werden, womit auch weitere alt Regierungsräte und Chefbeamte betroffen sein könnten.

Die Regierung hat ein neues Steuergesetz in die Vernehmlassung geschickt, bringen soll es geschätzte drei Millionen Franken mehr. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Die Baselbieter Honorar-Affäre hat noch eine ganz andere Dimension, als die Regierung zuerst glauben machen wollte. Wahrscheinlich werden die Untersuchungen auch auf die Jahre vor 2009 augedehnt werden, womit auch weitere alt Regierungsräte und Chefbeamte betroffen sein könnten.

Verkehrte Welt im Baselbiet: Während gestandene Parteien wie die FDP empört auf die Enthüllungen der Finanzkontrolle reagieren und unter anderem ihrem eigenen Mann Adrian Ballmer mangelnden Anstand vorwerfen, geben sich die sonst für Aufregung zuständigen Juso nicht nur «bestürzt», sondern stellen auch noch eine ganz nüchterne Frage.

Wie steht es eigentlich mit den entsprechenden Zahlungen, welche die Profiteure unter den Regierungsräten und Chefbeamten in den Jahren vor 2009 in die eigenen Taschen gelenkt haben? Warum fordert der Staat nur die 320’000 Franken ein, die der frühere Finanzdirektor Adrian Ballmer, der frühere Volkswirtschaftsdirektor Peter Zwick (CVP), der ehemalige Landschreiber Walter Mundschin und Niggi Ullrich, Leiter Kultur in der Bildungsdirektion, dem Kanton seither offenbar schuldig geblieben sind?

Der spingende Punkt im Gesetz

Einfache Antwort: Weil die Vorjahre bis jetzt nicht untersucht worden sind. Die Finanzkontrolle hat sich auf die Jahre 2009 bis 2013 konzentriert. Regierungspräsident Urs Wüthrich (SP), der durch die Enthüllungen selbst in ein schiefes Licht geraten ist, hat danach bei der Präsentation des Finanzkontroll-Berichts ebenfalls nur über diese Periode gesprochen – speziell, als es um die Ansprüche des Kantons ging. Weitergehende Rückforderungen seien aufgrund des Personalrechts nicht möglich, hiess es am Donnerstag an der Aufsehen erregenden Medienorientierung des Gesamtregierungsrates und der Finanzkontrolle.

Ist das tatsächlich so? Die TagesWoche fragte nach – und Wüthrich verwies – einmal mehr – auf das Personaldekret, Paragraf 56. «Vermögensrechtliche Ansprüche der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegenüber dem Kanton aus dem Arbeitsverhältnis können (…) spätestens vor Ablauf von fünf Jahren seit ihrer Entstehung geltend gemacht werden», heisst es darin unter Punkt 1.

Dann gibt es aber auch noch Punkt 3: «Wird der Rückerstattungsanspruch aus einer strafbaren Handlung hergeleitet, für die das Strafrecht eine längere Verjährung vorschreibt, so gilt dies auch für diesen». Im Falle von ungetreuer Geschäftsbesorgung oder Veruntreuung wären das sieben beziehungsweise fünfzehn Jahre (mehr dazu unten im Kasten). «Falls infolge der strafrechtlichen Abklärungen eine neue Situation entsteht, muss auch die für die Rückforderung massgebliche Periode neu beurteilt werden», sagt Wüthrich dazu. Will heissen: Die Regierung wird von alten Kollegen und amtierenden wie ehemaligen Chefbeamten möglicherweise noch sehr viel mehr Geld verlangen als die bisher bekannten 320 000 Franken.

Finanzkontrolle soll ihre Untersuchung ausdehnen

Klaus Kirchmayr (Grüne), Präsident der zuständigen Subkommission in der Finanzkontrolle, geht jedenfalls davon aus, dass «vor 2008 nicht unbedingt weniger Honorare zurückbehalten worden sind»: «Die betroffenen Amtsträger waren ja auch schon vorher aktiv und haben die Praxis im Umgang mit den VR-Geldern zumindest teilweise schon von ihren Vorgängern übernommen.» Darum ist Kirchmayr persönlich der Ansicht, dass die Untersuchung auch auf die Jahre vor 2008 ausgedehnt werden müsste. «In einem ersten Schritt haben wir aus Kapazitätsgründen darauf verzichtet», sagt er: «Zudem gingen wir gar nicht erst von Handlungen aus, die strafrechtlich relevant sein könnten.» Nun wird die Finanzkontrolle den Fall nochmals neu beurteilen und über einen Prüfantrag entscheiden.

Einfach wird diese Untersuchung aber kaum. Das zeigt das Beispiel Ballmer, der schon bei seiner Wahl 2000 im Bankrat der Basellandschaftlichen Kantonalbank (BLKB) sass und dort bis 2013 und seinem Abgang aus dem Regierungsrat blieb. Welche Entschädigungen er dafür vor 2008 erhielt – und allenfalls auch in die eigenen Taschen abgezweigt hat – erfährt die Öffentlichkeit zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht, da die Bank vor fünf Jahren ihr Vergütungssystem geändert hat. BLKB-Sprecher Christoph Loeb spricht von einer Vereinfachung. Das alte System sei komplizierter gewesen. Mehr will Loeb nicht verraten: «Das alte Reglement war ein internes und es wird auch intern bleiben.»

Das könnte sich allerdings bald ändern – nach entsprechenden Nachfragen der Staatsanwaltschaft und der Finanzkontrolle.

Schwierige Fragen. Noch läuft bei der Baselbieter Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben erst eine Voruntersuchung. Das erwartete Verfahren würde wohl von einem ausserkantonalen Staatsanwalt geleitet, damit die Unabhängigkeit garantiert ist. Schwierig wird bei den weiteren Abklärungen nur schon die Frage nach der Dauer der Verjährungsfrist zu beurteilen sein. Beim Grundtatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung gilt eine Verjährungsfrist von sieben Jahren, im Falle einer nachweislichen Bereicherungsabsicht wären es 15 Jahre, ebenso  beim Tatbestand der Veruntreuung.
Falls die Justizbehörden die möglichen Delikte als Einzelfälle beurteilen, sind nur diese letzten 7 beziehungsweise 15 Jahre rechtlich relevant. Regelmässig wiederkehrende Missgriffe können aber auch als einheitliche Handlung taxiert werden, womit sich die juristisch relevante Periode noch weiter verlängern kann.
Die Baselbieter Regierung wird ihr weiteres Vorgehen in Absprache mit der Finanzkontrolle und einem externen Experten absprechen, der noch gesucht wird.

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