Seit Monaten kommt es wieder vermehrt zu Spannungen zwischen Zagreb und Belgrad. Kroatien blockiert die EU-Beitrittsverhandlungen von Serbien. Der serbische Sozialminister behauptet, Kroatien wolle wieder «Rassengesetze» wie im 2. Weltkrieg einführen. Worum geht es eigentlich?
Kroatien und Serbien teilen neben Sprache und Grenze auch eine gemeinsame Geschichte. Daraus lässt sich zumindest teilweise erklären, warum sich die Nachbarn vertragen wie Hund und Katze.
Der Journalist Danijel Majić hat Gemeinsamkeiten und Differenzen in einem Artikel für die «Frankfurter Rundschau» so beschrieben: «Die Kroaten haben die Strände, die Serben den Schnaps. Beide Volksgruppen sprechen dieselbe Sprache, behaupten aber das Gegenteil. Und das Einzige, worin sie sich einig sind: Am schlimmsten sind die Bosniaken.»
Seit einem Jahr drohen diese zwischenstaatlichen Streitigkeiten regelmässig zu eskalieren. Falls Sie das alles nicht so recht verstehen, seien Sie beruhigt: Die meisten Menschen in Kroatien und Serbien verstehen es auch nicht. Unser Korrespondent für Südosteuropa hat für ein besseres Verständnis eine kleine Chronik der jüngsten Streitereien erstellt.
September 2015: Flüchtlinge
Am 14. September 2015 schliesst Ungarn die Grenze zu Serbien, damit keine Flüchtlinge mehr ins Land gelangen. Darum wollen Zehntausende über Kroatien weiterreisen. Die kroatischen Behörden versuchen das zu verhindern und schliessen ihrerseits die Grenze zu Serbien – auch die Grenzübergänge für den Warenverkehr. Auf der serbischen Seite stauen sich die LKW auf zwanzig Kilometern. Der Schaden für die serbische Wirtschaft wird auf mehrere Millionen Euro geschätzt.
Belgrad protestiert gegen die geschlossenen Grenzen. Premierminister Aleksandar Vučić empört sich: «Wir lassen uns nicht erniedrigen und werden nicht zulassen, dass Kroatien unsere Wirtschaft zerstört.» Der kroatische Ministerpräsident Zoran Milanović (bis Januar 2016) antwortet lapidar: «Entspann dich mal.»
Die Flüchtlinge sind von den Streitereien zwischen Kroatien und Serbien so verwirrt, dass sie es vorziehen, schnellstmöglich und notfalls über die grüne Grenze Richtung Österreich, Deutschland oder Schweden weiterzuziehen.
8. April 2016: EU-Beitrittsverhandlungen
An diesem Tag sollten die Kapitel «Justizsystem und Grundrechte» sowie «Freiheit und Sicherheit» in den EU-Beitrittsgesprächen mit Serbien verhandelt werden. Überraschend legt das EU-Mitglied Kroatien sein Veto ein. Zagreb verlangt von Belgrad, ein Gesetz abzuändern, das die Verfolgung von Kriegsverbrechern auch für ausserhalb Serbiens begangene Taten ermöglicht. Dieses würde, so die Sorge in Zagreb, vor allem Kroaten betreffen.
Im Zuge der Westbalkankonferenz Anfang Juli in Paris gibt Kroatien seine Blockadehaltung auf. Die EU-Verhandlungen mit Serbien werden am 18. Juli fortgesetzt. Der kroatische Aussenminister Miro Kovač droht aber weiterhin mit einer Totalblockade der Beitrittsgespräche, sollte Serbien auf Basis dieses Gesetzes auch nur einen kroatischen Bürger festnehmen.
Inzwischen hat sich Grossbritannien für den Brexit ausgesprochen und es stellt sich die Frage, ob die EU in naher Zukunft überhaupt neue Mitglieder aufnehmen wird. Der serbische Premierminister Vučić ist immer noch überzeugt, dass Serbien bis 2019 EU-Mitglied wird. In Kroatien hält man das für Wunschdenken.
20. Juni 2016: Donaubrücke – Fotos für den Frieden
Es ist ein herzerwärmendes Bild: Die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović trifft den serbischen Premierminister Aleksandar Vučić. Das erste Date brachte allerdings keine Liebe. (Bild: Anadolu Agency)
Es ist ein herzerwärmendes Bild: Die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović hat ein schönes Kleid angezogen, der serbische Premierminister Aleksandar Vučić trägt nicht nur einen guten Anzug, sondern bringt der Kollegin sogar Blumen mit. Die beiden treffen sich bei Erdut auf einer Brücke über die Donau, die Kroatien und Serbien miteinander verbindet. Wie in einem guten Liebesfilm. Dumm nur, dass die Beziehungen nach dem ersten Date nicht besser werden.
26. Juli – 1. August 2016: Protestnoten aus Belgrad
Innerhalb einer Woche sendet Belgrad drei Protestnoten nach Zagreb. In der ersten geht es um die juristische Rehabilitierung von Kardinal Stepinac. Als die Nazi-Kollaborateure der Ustascha 1941 die Macht übernahmen, reagierte der Kardinal zunächst wohlwollend. Es handle sich daher um eine «Rehabilitierung des Faschismus» und des «Ustascha-Staates NDH», lautet die serbische Interpretation. In Kroatien wird indes betont, dass Stepinac sich zum Gegner des Regimes wandelte und bei der Rettung Hunderter Verfolgter half. Deswegen wurde er auch am 3. Oktober 1998 von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.
In der zweiten Protestnote geht es um die Aufhebung eines Urteils gegen den Kriegsverbrecher Branimir Glavaš, der die Tötung von serbischen Zivilisten im Kroatienkrieg der 1990er-Jahre angeordnet hat. Die dritte Protestnote betrifft die Enthüllung eines Denkmals für Miro Barešić, welcher der rechtsextremen Terrororganisation Kroatischer Volkswiderstand (Hrvatski narodni otpor) angehörte. 1971 wurde er wegen Mordes am damaligen jugoslawischen Botschafter in Stockholm, Vladimir Rolović, in Schweden zu langjähriger Haft verurteilt. Trotzdem erfreut er sich bei der kroatischen Rechten grosser Beliebtheit.
Doch wer selber im Glashaus sitzt, sollte bekanntlich nicht mit Steinen werfen: In Belgrad wird nämlich derzeit über die Rehabilitierung von Milan Nedić verhandelt, dem Nazikollaborateur und Ministerpräsidenten des serbischen Marionettenstaats, der von 1941 bis 1944 existierte. Und schon vor zwei Jahren wurde der Tschetnik-Führer Dragoljub Mihailović rehabilitiert.
29. Juli 2016: Serben sehen Kroaten als grössten Feind.
Die serbische Tageszeitung «Danas» berichtet, dass fast 20 Prozent der Serben das Nachbarland Kroatien als grössten Feind betrachten. Damit sind die Kroaten die unbeliebteste Gruppe in Serbien. Keine schlechte Leistung, schliesslich sind Bosniaken und Albaner auch nicht gerade beliebt. Freuen dürfen sich Russen und Griechen: Sie sind gemäss Umfrage die beliebtesten Ausländer in Serbien.
5. August 2016: Jubel- und Trauertag
Der 5. August ist traditionell der schwierigste Tag in den angespannten kroatisch-serbischen Beziehungen. Am ersten Augustwochenende 1995 eroberten kroatische Streitkräfte das gesamte von serbischen Truppen kontrollierte Territorium in Kroatien zurück. Während der Offensive wurden 200’000 Serben vertrieben und Hunderte ermordet. In Kroatien wird der Sieg im «vaterländischen Krieg» gefeiert, während Kriegsverbrechen nicht gross thematisiert werden. In Serbien hingegen ist der 5. August ein Trauertag.
14. August 2016: Sprachenstreit
Im Jahr 1991 zerstörte die jugoslawische Volksarmee mit Hilfe von paramilitärischen serbischen Truppen die kroatische Stadt Vukovar. Daraufhin kam es zu «ethnischen Säuberungen». Kroaten und andere Nicht-Serben wurden vertrieben, viele auch ermordet. Heute leben wieder Kroaten und Serben in Vukovar.
Weil die Serben eine grosse Volksgruppe stellen, haben sie nach EU-Recht Anspruch darauf, dass auch die serbische Sprache verwendet wird. Der Hauptunterschied zwischen Serbisch und Kroatisch ist, dass die Serben das kyrillische Alphabet verwenden, die Kroaten das lateinische. Der kroatische Innenminister Vlaho Orepić vertritt aber die Ansicht, die serbische Minderheit habe ihre Zahl durch falsche Adressen künstlich aufgebläht, und will den Gebrauch der serbischen Sprache in Vukovar abschaffen.
Der serbische Arbeitsminister Aleksandar Vulin macht daraufhin einen Nazivergleich und wirft der kroatischen Seite vor, «Rassengesetze» einführen zu wollen, wie es sie im faschistischen NDH-Staat gab: «Im Unabhängigen Staat Kroatien gab es sogenannte Rassengesetze, auf deren Grundlage man Serben, Juden oder Roma ermorden oder berauben konnte», sagt der Minister.
18. August 2016: Basketball
Serbien besiegt Kroatien im Olympia-Viertelfinale der Herren knapp mit 86:83. Basketball gilt in beiden Ländern als eine der wichtigsten Sportarten. Auf dem Feld traten der Serbe Bogdan Bogdanović und der Kroate Bojan Bogdanović gegeneinander an. Hier wird wieder deutlich: zwei Völker, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.
Ausblick
In Kroatien stehen am 11. September Parlamentswahlen an und manche Kandidaten gehen gern mit dem Schüren nationalistischer Gefühle auf Stimmenfang. Und auch in Serbien lässt sich mit Ressentiments gegen die Nachbarn gut von innenpolitischen Problemen ablenken. Das nächste Kapitel im nachbarschaftlichen Streit wird nicht lange auf sich warten lassen.