Jan Böhmermann ist ein Meister des fiesen Grinsens und zugleich Hoffnungsträger der schwer angeschlagenen TV-Landschaft. Der Bremer hat sich dabei schon mit den ganz Grossen angelegt – von Tatort-Kommissar Til Schweiger bis zum IS. That’s (mehr als) entertainment.
«Hat sich Campino schon geäussert?», «Was sind US-Amerikaner eigentlich für merkwürdige Leute?», «Warum haben russische Männer so lustige Frisuren?» Die Attentate von Paris haben viele Fragen aufgeworfen, und auch wenn die wenigsten dabei so geklungen haben mögen wie diese drei, gehören sie dennoch zu einem viralen Phänomen, wurden über 100’000 Mal geteilt. Denn sie stammen aus einer ganzen Packung, 100 ungewöhnliche, direkte, interessante Fragen zum aktuellen Geschehen in der Welt.
Auf Facebook gestellt und gepostet hat diese «100 Fragen nach Paris» Jan Böhmermann, die Social-Media-Wunderwaffe des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Wobei «Waffe» in dem Kontext der Anschläge zu martialisch klingen mag. Das sei diesem Text hier aber verziehen, denn wirklich pazifistisch oder gar zimperlich wirkt Jan Böhmermann nicht, wenn er via Bildschirm die harten Bandagen auspackt. Auch bei seinen «100 Fragen» handelt es sich nicht um eine hilflose Diskurs-Entsprechung zu Kätzchen-Memes im Post-Terrorschock.
«Hassen uns die Islamisten wirklich oder sind sie nur eifersüchtig?»
Jan Böhmermann weiss genau, was er will und vermutlich noch genauer, was nicht: Und zwar Teil sein der überbordenden Irrelevanz im Netz, Teil der Betroffenheits-Promiparade, die Gutes meint und viel pathetisch Doofes schafft. Das ist nicht sein Anliegen. Einige Fragen machen das sehr deutlich: «Warum macht es mich aggressiv, wenn jemand unter diesen Beitrag einen ‹Denkt an die Kinder in Gaza›-Kommentar schreibt?», «Haben wir genug Polizeibeamte, die arabisch sprechen?», «Hassen uns die Islamisten wirklich oder sind sie nur eifersüchtig?»
Die 100 Fragen seiner Facebook-Seite verbreiteten sich so nachhaltig, dass selbst konventionelle Medien wie «Die Welt» sich befleissigt fühlten, Artikel mit Antworten auf die augenscheinlich rhetorischen Fragen zu liefern. Das Ergebnis ist zum Fremdschämen, macht allerdings gut sichtbar, welche Ausnahmestellung Jan Böhmermann im Medienbetrieb einnimmt – ein Hoffnungsträger par excellence. Er besitzt Profil, Witz, Verve und so viele Follower, wie sie sonst nur bei den debilen Gurken und Populisten im Netz hängen bleiben. Trotz seiner grossen digitalen Affinität ist er dabei eigentlich ein Mann des Fernsehens.
Kleiner Exkurs auf den Friedhof
Aber Moment, Fernsehen und Hoffnung. Passt das denn auf der Schwelle zu 2016 überhaupt noch zusammen? Schliesslich ist dort sogar ein Schlachtross wie «Wetten, dass…?», das über Jahrzehnte erfolgreich durch die Stadthallen von Deutschland, Österreich und der Schweiz tingelte, im letzten Jahr eingegangen. Dies geschah auffällig würdelos, man mochte fast Mitleid empfinden. Mit Stefan Raab hat überdies vor wenigen Monaten der einstige Retter des deutschen Privatfernsehens seinen Rücktritt verkündet. Und in der Schweiz verzichtet das öffentlich-rechtliche Fernsehen SRF infolge seiner Sparbemühungen auf sein «gesellschaftliches Highlight des Jahres» – gemeint sind die «Swiss Awards».
Wobei das wahre Problem an dieser Entwicklung noch viel tiefer geht: Denn all diese Verluste und Abgänge berühren den (ehemaligen) Zuschauer kaum noch. Warum? Weil er selbst schon auf den Koffern sitzt! Analoges Programm hat massiv an Bedeutung eingebüsst – und wo sich früher noch an den Wasserspendern der Büros über eben «Wetten, dass…?» oder später das Dschungelcamp ausgetauscht wurde, geht es heute um die neuesten Staffeln «Homeland», «Game of Thrones» oder «Orange Is the New Black» und von welchem Anbieter man am besten seine abendlichen Streams bezieht. Netflix oder Maxdome ist die Frage, nicht mehr SRF1 oder SRF2.
Spürbar ehrgeizig
Also letzte Ausfahrt Böhmermann? Keine schlechte Idee der sonst so abgehängten grossen Sendeanstalten. Schliesslich stellte der mediale Coup mit seinen 100 Fragen auch kein singuläres Ereignis dar. Viel eher ist Böhmermann seit Monaten höchst präsent, verstörte mit seiner Story über den Fake-Mittelfinger von Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis sogar die Akteure der grossen Europa-Politik.
In einem kongenialen Song zwischen Chanson und Death Metal auf YouTube gab er die markig unbeholfenen Social-Media-Stunts von Meinungs-Schauspielern wie Til Schweiger der Lächerlichkeit preis. Bereits der Titel des Stücks ist ein Knaller: «Besoffen bei Facebook».
Dabei klingt der Grimme-Preisträger bescheiden, ja selbstkritisch, wenn er in unserem Interview verlauten lässt: «Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, es ist nie eine gute Sendung, wenn ich hinterher denke, ‹Das war jetzt aber eine gute Sendung!›» Dennoch sprechen die bereits angeführten Beispiele eine deutliche Sprache: 2015 war Böhmermanns Jahr. Seine eigene kleine Show, das «Neo Magazin», wurde von der digitalen Spielwiese des öffentlich-rechtlichen Spartenkanals ZDFneo ins reguläre ZDF-Programm überführt und hat sich den königlichen Appendix «Royale» zugelegt.
Dem vermeintlich toten Konzept der Latenight haucht Jan Böhmermann entwaffnend frisch und spürbar ehrgeizig neues Leben ein. Seine eigene Moderatoren-Figur changiert zwischen der blitzgescheiten und verschlagenen Elder-Statesman-Haftigkeit eines Harald Schmidt sowie dem wirbelnden Zampano, der sich für kein doofes Kostüm, für keine Selbstentblössung zu schade ist. Dass er dabei den scheidenden Stefan Raab bereits locker in die Tasche zu stecken vermag, beweist die Demontage, die er mit dessen Format «Blamieren oder Kassieren» betrieben hat.
Doch schon Spiderman wusste, dass mit grosser Macht auch grosse Verantwortung einhergeht. An dieser Stelle regen sich leichte Zweifel bezüglich der Causa Böhmermann. Geht es wirklich immer um die Sache oder geht es auch ihm letztlich nur um Reichweite? Dampfplauderer Campino ist dabei so ein prototypisches Opfer des stets sinister lächelnden Moderators – und so bekam der Frontmann der Toten Hosen ganz medienwirksam eins auf die Zwölf. Böhmermann demontierte in einem «Eier aus Stahl»-Clip Campinos letztjährige deutsche Version der Benefiz-Single zur Ebola-Epidemie in Afrika. Aus «Do They Know It’s Christmas?» wurde «Do They Know It’s Scheisse?» Von dem Image-GAU, den das Projekt erlitt, hat es sich nicht mehr erholt.
Wozu sich der Düsseldorfer Punkzampano (im öffentlich-rechtlichen Rundfunk übrigens) zitieren lässt: «Ich glaube, er [Böhmermann] kann für sich in Anspruch nehmen, dass er dadurch wirklich sehr, sehr viele Spendengelder verhindert hat. Wenn ihm das irgendwie ein Gewinn ist, dann soll er sich darüber freuen.» Als weiteren Kollateralschaden nennt Campino, «dass viele deutsche Künstler sich nicht mehr trauen, sich irgendwie einzubringen: Angst vor Häme, Angst, seine Coolness zu verlieren. Das wird damit eventuell zusammenhängen. Für mich ist der Typ nur ’ne arme Wurst.»
Charity vs. Aufklärer … Dem Zuschauer bleibt es selbst überlassen, wie er seine Sympathien verteilt. Das Verdienst von Böhmermann ist aber allemal, dass er die etablierte mediale Herrschaftsordnung erschüttern konnte. Es hat gewackelt, wird weiter wackeln, und der Revoluzzer kommt dabei bemerkenswerterweise aus dem Hort der Restauration, also dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Das weckt Klärungsbedarf.
Gross und misstrauisch
Das Treffen findet in einem Kölner Restaurant statt, das nur vegetarische Speisen anbietet. Auf eine von Campino in Aussicht gestellte Wurst dürfte man also schon mal nicht treffen. Böhmermann ist überpünktlich, wirkt geschäftig. Zuallererst fällt auf, dass seine Grösse von den Erwartungen abweicht – die körperliche wohlgemerkt. Wo andere Akteure aus dem TV bei realen Begegnungen oft irritierend klein rüberkommen, erscheint Böhmermann grösser als auf dem Bildschirm. Er wirkt darüber hinaus und trotz seiner vielen Termine hochkonzentriert. Wobei man fast meinen möchte, es handle sich hierbei nicht nur um eine Form der Höflichkeit gegenüber dem Gesprächspartner: Nein, Böhmermanns Konzentration besitzt etwas Misstrauisches und tastet alle Fragen nach möglichen Fallstricken ab. Ein Umstand, der wohl damit zu tun hat, dass er selbst gern welche auslegt.
Jan Böhmermann, Sie sind eines der ganz wenigen Eigengewächse der Öffentlich-Rechtlichen, los ging es bei Radio Bremen. Sind in diesen staatlichen Sendern die Voraussetzungen für Leute mit neuen Ideen doch nicht so hoffnungslos, wie man denkt?
Doch, schon. Man braucht Hartnäckigkeit, Ehrgeiz, eine gehörige Portion Dummheit und muss die grosse Kunst beherrschen, das System zu akzeptieren – dann hat man mit viel Glück seine Chance. Aber letztlich ist es unglaublich anstrengend und ermüdend. Bei der ARD ist das System der Star, da geht es dementsprechend auch gar nicht darum, junge Leute zu fördern, sondern einzig darum, ob das System in der Lage ist, Kreatives zu leisten. Ob das funktioniert, kann ja jeder für sich selbst beantworten.
Aber hat man es wie Sie dann mal reingeschafft, drehen sich dann nicht die Verhältnisse um – und man besitzt mehr Spielraum, einfach weil es viel mehr Abspielkanäle jenseits von direktem Quotendruck gibt als bei den Privaten?
Ich kann mich nicht über Spielräume beklagen, immerhin bin ich bei der ARD sehr oft irgendwo rausgeschmissen worden. Bei dem grossen Kölner Jugendsender 1Live zum Beispiel.
Was ist da passiert?
Die knallharte 1Live-Chefetage teilte mir 2005 mit: «Jan, im Radio moderieren ist nicht so dein Ding. Tschüss!» Da hatte ich allerdings gerade mein neues WG-Zimmer in Köln bezogen, hatte in meiner Heimat Bremen alles zurückgelassen. Ein ungünstiger Zeitpunkt, um dann diese Abfuhr aus der Radiobundesliga zu bekommen. Ich bin dann zum Hessischen Rundfunk gegangen und habe die ultracoole HR3-Morgenshow «pop&weck» moderiert, 35 Sendungen lang. Dort bin ich aber auch rausgeflogen – ich war nicht hip genug. Wenn dich die ARD auf die rechte Wange schlägt, schlägt sie dich auch auf die linke. Dann hat sie meistens keinen Bock mehr und sucht sich einen anderen Dummen. Doch die salzigen Wunden sind verheilt, heute ist meine Beziehung zur ARD von unerschütterlicher Liebe und tiefem Verständnis für die Unzulänglichkeiten des anderen geprägt.
Als Sie später noch mal bei 1Live waren, gab es justiziablen Ärger mit dem Fussballer Lukas Podolski wegen Ihrer Comedy-Reihe «Lukas’ Tagebuch». Hat man Ihnen da den Rücken gedeckt?
Da kann ich mich nicht beklagen! Ich hatte die volle Unterstützung des WDR, beinahe bis zum Schluss. Trotzdem muss ich sagen, die ARD ist für polarisierenden Schabernack nicht gemacht.
Ihre eigene TV-Karriere scheint dagegen eine ziemliche Autoscooterfahrt darzustellen, zumindest ecken Sie gern und bewusst an. In der Talkshow «Roche und Böhmermann» mit Charlotte Roche ist es sogar so weit gekommen, dass Farin Urlaub von Die Ärzte sich nicht an den Tisch setzen wollte – weil bei Ihnen geraucht werden durfte.
Bei aller Bescheidenheit – wir hatten an dieser Stelle den Moment in der Popgeschichte erreicht, wo nicht Die Ärzte das peppig-freche Element waren und die Sendung und ihre Moderatoren schockten, sondern umgekehrt. Die Ärzte wurden nicht wegen Rüpelhaftigkeit aus dem Studio geschmissen, Farin ist erst gar nicht reingegangen, weil ihm die Show zu rüpelhaft war. Naja, machen wir uns mal nichts vor, Farin ist so alt wie meine Mutter.
Allerdings ist gerade dieses Unkalkulierbare das, was in TV-Zusammenkünften immer wieder für legendäre Momente sorgt, man denke nur an Nikel Pallat von Ton Stein Scherben, als er mit der Axt auf den Tisch knüppelt.
Am meisten stört es doch, wenn du dich in so einer menschlichen Interaktion «falsch» verhältst. Zum Beispiel einfach mal schweigen, wenn man reden soll – da kann jeder mitleiden, das ist eben schrecklich. Durch überraschende Momente in einer Show kann man Gäste dahin bringen, sich so zu zeigen, wie sie wirklich sind. Da nehme ich mich nicht aus – ich bin genauso gespannt, wie ich in unkalkulierbaren Situationen reagiere.
Jan Böhmermann, vielen Dank für das Gespräch.
Unkalkulierte Situationen und redaktionell konstruierte Skandale – das Arsenal des Jan Böhmermann hat die hiesige Fernsehlandschaft zweifelsohne bereichert. Die Hoffnung, dass dies erst mal so weiter gehen möge, sieht sich dabei genährt von der aktuellen Meldung, dass er Anfang 2016 zusammen mit seinem Buddy, dem Musiker Olli Schulz, auf ZDFneo eine gemeinsame Talkshow starten will. Der schlichte Titel: «Schulz und Böhmermann».
Dieser Schulterschluss kommt dabei nicht von ungefähr. Beide unterhalten zusammen seit längerer Zeit die Radiosendung «Sanft & Sorgfältig» zwischen Talk und Comedy. Eine Entsprechung im Fernsehen klingt vielversprechend. In den öffentlich-rechtlichen Zombiesendern brennt eben doch noch Licht. Zumindest mit Böhmermann haben sie den Trumpf des «TV 2.0» auf ihrer Gehaltsliste. Es möge sie inspirieren, diesen Mann nicht als einsamen Monolithen zu verstehen, sondern als Ausweg aus der voranschreitenden selbstverschuldeten Bedeutungslosigkeit. Til Schweiger, Campino und ähnliche Alphatierchen werden sich jedenfalls weiter auf Gegenwind einstellen müssen.
Nun ja, den Zuschauer dürfte das freuen.