«Ich lebe schon lange online»

Ein Besuch bei Andreas von Gunten bedeutet keine Weltreise, selbst wenn man von den Fidschi-Inseln anreist. Von Gunten schlägt drei bequeme Wege vor, um mit ihm ins Gespräch zu kommen. Und die sagen schon viel aus über den Web-Spezialisten aus dem aargauischen Freiamt. «Bevorzugen Sie Google Hangout, Videoskype oder Facetime?», will er wissen. Telefon? So was von 20. Jahrhundert!

Andreas Von Gunten macht sein Laptop auf und beginnt zu arbeiten – und da ist seine Heimat. (Bild: Michael Würtenberg)

Ein Besuch bei Andreas von Gunten bedeutet keine Weltreise, selbst wenn man von den Fidschi-Inseln anreist. Von Gunten schlägt drei bequeme Wege vor, um mit ihm ins Gespräch zu kommen. Und die sagen schon viel aus über den Web-Spezialisten aus dem aargauischen Freiamt. «Bevorzugen Sie Google Hangout, Videoskype oder Facetime?», will er wissen. Telefon? So was von 20. Jahrhundert!

Von Gunten sagt, dem Netz verdanke er alles. «Das Internet vergrössert meinen Raum. Es ist doch ein Traum, an mehreren Orten gleichzeitig zu sein.» Seit drei Wochen wohnt er in Kölliken, er hat sich dort zusammen mit seiner Lebenspartnerin ein Haus gekauft. Ein Provinznest, bekannt überhaupt nur dank einem Dreckhaufen: der Sondermülldeponie. Doch wenn er an den Rechner sitzt, ist Kölliken auch nicht kleiner als Los Angeles, weil ein Gruss aus L. A. den Weg zu ihm genauso schnell findet wie die Nachbarn, die ihm seit seinem Einzug fast täglich Wein oder Früchte vorbeibringen.

Ein Leben hors-sol?

Wo sich die Welt nicht mehr in Nah und Fern einteilen lässt, hat es auch ein Konzept wie jenes vom Heimatgefühl schwer. Von Gunten sagt: «Ich besass nie ein Heimatgefühl. Auch die Vorstellung, irgendwo Wurzeln zu haben, ist mir grundsätzlich fremd.»

Von Gunten, heute 44 Jahre alt, hat seit der Schweizer Stunde null, seit 1994, einen Internetanschluss. Seitdem verdient er sein Geld im und dank dem Netz. Er hat einst Radio- Fernseh-Elektriker gelernt und dann auf die Informatik umgekabelt. Seine jüngste Geschäftsidee ist ein Verlag, der die digitale mit der Papierwelt vereinen will.

Aber kann einer wirklich in einer Sphäre zu Hause sein? «Ich lebe schon lange online», sagt von Gunten. Seine Heimat sucht er entgegen aller Erwartungen aber nicht im Netz, er erweitert sie dort bestenfalls. Daheim ist er, sagt er, wo er wohnt. Doch damit das gelingt und sich ein Gefühl von Geborgen- und Vertrautheit einstellt, braucht es viel Arbeit.

Heimat bedeutet Gestalten

In Kölliken angekommen, hat sich von Gunten als Erstes ein Buch zur Dorfgeschichte besorgt. «Heimat hat eine starke soziale Komponente. Ich muss mich aktiv integrieren. Ich muss teilnehmen, muss mitgestalten», sagt er. Heimat heisst auch, nach Hause zu kommen. Als von Gunten in jungen Jahren als Volksmusiker alte Stücke neu interpretierte und auf Tournee war, fühlte er sich unwohl, er hatte tatsächlich Heimweh. «Ich habe Stalldrang», sagt er. Mit einem Breitbandanschluss sollte der Stall aber schon ausgestattet sein.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 07.09.12

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