«Ich musste hier einiges aushalten»

Die Berichte über den zusätzlich angeheizten Fachkräftemangel wegen deutschfeindlicher Schweizer haben ein grosses Echo ausgelöst. Einwandererinnen und Einwanderer berichten.

Deutsche in der Schweiz berichten von ihren Erfahrungen.

(Bild: Nils Fisch)

Die Berichte über den zusätzlich angeheizten Fachkräftemangel wegen deutschfeindlicher Schweizer haben ein grosses Echo ausgelöst. Einwandererinnen und Einwanderer berichten.

Dass deutsche Ärzte vermehrt einen Bogen um die Schweiz machen, gibt zu reden. Nicht nur, weil die Schweiz dringend auf ausländische Fachkräfte angewiesen ist – der Bedarf, gerade im Gesundheitswesen, lässt sich mit einheimischen Medizinern nicht decken.

Für Diskussionsstoff sorgte insbesondere der genannte Grund für die Entwicklung. Für einmal standen nicht wirtschaftliche Gründe im Zentrum der Berichterstattung, sondern die Ressentiments, die deutsche Staatsbürger in der Deutschschweiz erlebten, und die nicht wenige wieder zur Rückreise in die Heimat veranlassten, wie die NZZ berichtete. Weder das Basler Universitätsspital noch der Chefarzt Herzchirurgie des USB, Professor Friedrich Eckstein, konnten diesen Befund – für Basel – gegenüber der TagesWoche bestätigen.

Überwältigendes Echo

Die TagesWoche wollte wissen, wie das in der Erfahrung der Leserinnen und Leser aussieht, die aus Deutschland stammen und in der Schweiz leben und/oder arbeiten. Das Echo war überwältigend. Um den vielen erwähnten Aspekten und oftmals differenziert ausformulierten Meldungen gerecht zu werden, hat sich die Redaktion dazu entschlossen, hier zehn ausgewählte Leserinnen und Leser «für sich» sprechen zu lassen, statt ihre Voten als Zitate in einen kommentierenden Lauftext einzubetten.

Die Einsendungen wurden redigiert und gekürzt; ausserdem wurden jegliche Passagen, die Rückschlüsse auf die Identität der hier lebenden Personen zulassen würden, ausgelassen oder verändert. Sämtliche Namen sind der Redaktion bekannt.

Deutsche Einwanderer machen unterschiedliche Erfahrungen in der Schweiz: Manche stossen auf Ablehnung...

«Meinen Schweizer Pass erwähne ich lieber nicht»

Ich möchte vorausschicken: Ich greife hier wohl die Negativbeispiele heraus, habe viele nette Schweizer kennengelernt, und die Mehrzahl der Schweizer hat sich freundlich respektive neutral verhalten. Dass ich nach zwei Jahrzehnten nur einen Schweizer Freund gefunden habe, spricht auch Bände. Vielleicht deutet es darauf hin, dass ich ein arroganter, ignoranter, angeberischer, unterwürfiger Deutscher bin, wie sie es ja alle sind …

Allerdings bin ich seit einiger Zeit auch Schweizer. Nur: Meinen Schweizer Pass erwähne ich lieber nicht, weil ich gemerkt habe: Bisher hat das fast immer negative Reaktionen der Schweizer nach sich gezogen. Ich merke, sie gönnen ihn mir meistens nicht.

Mein furchtbarstes Erlebnis, das ist schon lange her, das hat mich traumatisiert: Ich war mit einer Schweizer Kollegin und einem deutschen Kollegen am Barfüsserplatz an der Fasnacht in einer Beiz, als sich plötzlich zahlreiche junge Schweizer Männer zusammenrotteten und zu skandieren begannen: «Steh auf, steh auf Du deutsche Sau! Steh auf, steh auf Du deutsche Sau! Steh auf, steh auf Du deutsche Sau!» – die Sache erschien uns zunehmend bedrohlich, wir haben schleunigst das Lokal verlassen. Die Schweizerin hat sich in Grund und Boden geschämt, wir Deutschen sind schnell nach Hause.

...andere Einwanderer aus Deutschland machen keine schlechten Erfahrungen.

«Schweiz muss für Zuwanderer attraktiv bleiben»

Ich bin zwar keine Deutsche, aber habe sehr viele deutsche Arbeitskollegen – und die wohnen tendenziell in Deutschland und zahlen auch dort ihre Steuern. Ein grosses Thema dabei ist die Schweizer Kinder- und Familienfeindlichkeit: Das schreckt viele ab, auch andere hochqualifizierte Expats.

Ich denke, dort müsste man ansetzen. Die Schweizer Politik muss beim Thema Kinder und Familie etwas ändern: Längerer Mutterschaftsurlaub oder sogar Familienzeit gesetzlich verankern. Hinzu kommt das leidige Thema Kinderbetreuung. In der Schweiz ist das schlicht zu teuer und zu unattraktiv, schon nur wegen der Öffnungszeiten. Die Schweizer Politiker sollten sich unsere Nachbarländer zum Vorbild nehmen um wettbewerbsfähig zu bleiben. Damit bliebe man für hochqualifizierte Zuwanderer attraktiv und nicht für Asylsuchende.

D., Schweizerin, arbeitet in Basel im Bildungssektor

«Ich musste hier einiges aushalten»

Bevor ich hierher gezogen bin, hatte ich bei meinen Besuchen immer den Eindruck, dass man sich hier für mich interessierte und freundlich war. Als ich dann hierher zog, machte ich allerdings schlechte Erfahrungen. Von meiner eigenen Generation benahmen sich vor allem Frauen sehr unhöflich. Man sprach und begrüsste nur meinen Mann, kehrte dabei mir den Rücken zu. Ich musste einiges aushalten. Auf der Jobsuche hat es einmal geheissen: «Deutsche Sprache, das können wir unseren Leuten nicht zumuten.»

Ich hatte wirklich auch Zweifel, in Basel zu bleiben. Bei sachlichen Diskussionen hörte man manchmal: «Das geht hier anders» – und nichts weiter. Somit war man kaltgestellt, weil unsicher. Aber ich habe nicht aufgegeben und nach und nach die «richtigen» Leute kennengelernt.

Ich wurde auch schon beschimpft. Man sollte alle Deutschen rausschmeissen. Ich sei ein Nazi, respektive Faschistin, weil ich ja aus Deutschland stamme. Nun arbeite ich in einem tollen Betrieb, Nationalität ist dort überhaupt kein Thema. Auch die Arbeit mit den jüngeren Generationen läuft gut – dort war die Frage nach der Nationalität eigentlich nie ein Thema.

Misstrauen gegen Fremdes, das gibt es überall. Man selbst ist eigentlich nicht das Opfer, Opfer sind die Menschen, die nicht offen sein können. Darum nur Mut an deutsche MitbürgerInnen: Nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, mal zuhören, Geduld haben, man muss nicht unbedingt alles gleich verbessern wollen oder besser wissen. Anpassen an die gesellschaftlichen Regeln, dann kannst Du durchaus Du selbst sein.

Y., Projektleiterin, seit rund 20 Jahren wohnhaft in der Region Basel

«Die meisten sind zum Glück nicht so»

Es gibt offene Schweizer und weniger offene Schweizer. Ich wohne seit 2008 in Basel. Mit offen meine ich, nun, spontan, kontaktfreudig, nicht abweisend, wenn man Kontakt knüpfen will. Die Schweizer machen es einem eher schwer, wenn man sie nicht kennt.

Darauf, dass es hier einen Deutschen-Hass gibt, darauf war ich nicht vorbereitet. Der Graben ist grösser, als ich dachte. Natürlich nicht bei allen. Aber es gibt sie, die Basler, die von «Schiss-Dütsche» reden. Und ich hatte schon Begegnungen mit Leuten, die lautstark fluchen und feindselig sind. Aber was will man da machen? Die meisten sind zum Glück nicht so. Die anderen kann man kaum verändern.

«Wenn man mal mit Schweizern befreundet ist, dann sind das Freundschaften, die halten für immer.»

Wirklich getroffen hat mich die MEI-Abstimmung 2014. Das war hart. Ich war zwar froh, dass Basel nicht so abgestimmt hat, aber da fühlte ich mich unwohl in der Schweiz, das war nicht schön. Da war für mich auch klar: Wenn das so weitergeht, dann muss ich hier wieder weg, dann geht das nicht, bei aller Liebe.

Denn eigentlich mag ich Basel ja sehr und fühle mich wohl hier. Viel Kultur, und die Lage ist perfekt. In drei Stunden in Paris mit dem Zug, mit dem Flugzeug zack am Strand, also was will man mehr. Einkaufen ist auch gut. Freunde habe ich auch gefunden. Wenige Schweizer darunter, aber wenn man mal mit Schweizern befreundet ist, dann sind das Freundschaften, die halten für immer.

M., Sachbearbeiterin, wohnt und arbeitet in Basel

«Zwei Jahre ausgehalten, dann aufgegeben»

Ich wohne seit über 20 Jahren in der Region Basel und habe noch nie solche Erfahrungen gemacht. Aber dann passt es ja: Ich kenne das Geschilderte von Arbeitskollegen und Bekannten aus der Zentralschweiz.

Eine Arbeitskollegin hat es zwei Jahre ausgehalten, dann hat sie aufgegeben und zog nach Deutschland zurück. Die Kollegen bei der Arbeit waren aber nicht das Problem, sondern das Wohnumfeld, also die Freizeit, die Nachbarn. Bei einer weiteren Arbeitskollegin habe der (ebenfalls deutsche) Lebenspartner die Hölle mit seinen Arbeitskollegen erlebt, auch hier soll diverse Male der berühmte «Nazi» thematisiert worden sein. Nun im Aargauischen, bei neuer Stelle, gebe es kein Problem mehr.

Ich selber, mittlerweile mit rotem Pass, spreche dialektfreies Hochdeutsch. Eine Ausgrenzung diesbezüglich erlebe ich nicht, eher den umgekehrten Effekt, dass ich von Arbeitskollegen bezüglich korrekter Ausdrucks- oder Schreibweise konsultiert werde. Allerdings ertappe ich mich immer wieder, in der Öffentlichkeit eher still zu bleiben, um mich eben nicht zu outen; auch das passt zu dem, was im Artikel erwähnt wird.

Noch ein Gedanke: In Deutschland ist es in vielen Branchen eher unüblich, sich unter Arbeitskollegen zu duzen, während dies meiner Erfahrung nach in der Schweiz eher der Regelfall ist – was ich persönlich sehr schätze. Deutsche, die «frisch importiert» in die Schweiz kommen, werden aber mit dem jahrelang in der Heimat antrainierten Verhalten eher arrogant und distanziert wirken. Vermutlich durchaus unbeabsichtigt. Wenn dieser Deutsche eine Vorgesetztenfunktion innehat, ist schon zu Beginn viel verspielt, was kaum wieder gut zu machen ist.

S., lebt und arbeitet in Basel

«Es ist besser geworden»

Früher war es in Basel schlimmer. Unterdessen – jedenfalls ist das mein Eindruck – ist es besser geworden. Eines der schlimmsten Erlebnisse war, als ich an der WM 2002 mit Freunden ein Spiel schauen ging, das an der Uni gezeigt wurde. Eine grosse Mehrheit der Anwesenden hat schon während der deutschen Hymne die Mannschaft ausgepfiffen und «Dreckschwoben» geschrien. «Hackt sie runter!» Deutsche Professoren und Studenten sind rausgelaufen, meine Schweizer Freunde haben sich geschämt. Gemacht hat niemand etwas.

Die Kleingeister, die Ablehnung, die gibt es schon.

Diesen offenen Hass erlebe ich heute nicht mehr. Ich bin hier zu Hause, fühle mich als Basler, fast alle meine Freunde sind Schweizer. Aber die Kleingeister, die Ablehnung, die gibt es schon. Man hofft, dass die Jungen nicht so werden wie die Alten: Die Ressentiments dünken mich bei der älteren Generation grösser.

K., in Basel aufgewachsen, im medizinischen Bereich tätig

«Höflichkeit, Mentalität, oder doch versteckte Fremdenfeindlichkeit?»

Ich arbeite in der Forschung. Ich habe zwar eine Schweizer Freundin, und es gibt Schweizer Vorgesetzte und Mitarbeiter, darüber hinaus habe ich aber wenig Kontakt zu Schweizern.

Direkte fremdenfeindliche Begegnungen habe ich nie gehabt. Ich bin aber nicht in der Lage, die Reserviertheit von Schweizern zu interpretieren. Ist es Höflichkeit, Mentalität, mein unverständliches Hochdeutsch oder doch versteckte Fremdenfeindlichkeit? Letztendlich gibt es diese Probleme, glaube ich, auch innerschweizerisch. Deutsche sind vielleicht die Lieblingsfeinde der Schweizer, so wie Amerikaner für Deutsche. Oder Schweizer haben Angst, von der deutschen Kultur eingenommen zu werden, und das löst Abwehrreflexe aus? Ich habe von all dem auf jeden Fall keine Ahnung gehabt, als ich damals in die Schweiz kam, auch wenn man mir von der Fremdenfeindlichkeit in der Schweiz erzählte.

Es gibt versteckte Verhaltensregeln in der Schweiz, und ich habe auf jeden Fall das Gefühl, unter Beobachtung zu stehen, jetzt, wo ich weiss, welche Vorurteile es über Deutsche in der Schweiz gibt. Wenn man die Regeln bricht und Schweizern zu nahe kommt, gibt es meist keinen Weg zurück, denn so hat man die Vorurteile bestätigt und der Schweizer macht einen höflichen Rückzieher, ohne einem zu sagen warum. Ich weiss nicht, wie man sich einem Schweizer gegenüber richtig verhält. Im Rückblick hätte ich vielleicht einen Kurs über diese Regeln besuchen und noch dazu Baseldeutsch lernen sollen.

Der Unterschied zu anderen Ländern von Europa ist natürlich auch die Nichtmitgliedschaft in der EU, und Schweizer sind im Allgemeinen gegen die EU eingestellt, sodass ich mich in Italien als Europäer fühle, aber in der Schweiz meinen Ausländerpass bekomme und mein EU-Führerschein jeweils nach einem Jahr abläuft.

Es ist ein schwieriges Verhältnis, auch bei den vielen SVP-Rechtspopulisten in der Schweiz, die ständig auf Ausländer und die EU schiessen.

M., seit rund fünf Jahren in Basel

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