In Albaniens Dörfern ist es dunkel, manchmal tagelang. Immer wieder fällt der Strom aus. Weil die Sanierung des maroden Netzes stockt, sind Stromdiebstahl, unbezahlte Rechnungen und Vandalismus an der Tagesordnung.
Die Familien in Burrisht, einem kleinen Dorf im mittelalbanischen Shpati-Gebirge, sind in Aufruhr. Zwischen den Strommasten hängen abgeschnittene Drähte. Auch der Transformator ist weg. Gestohlen. Über Nacht. «Sie haben lautlos gearbeitet. Niemand hat etwas gehört. Das waren Profis», klagt Vangjel Toska*, ein Jugendlicher aus dem Dorf. «Diese Ganoven machen sich mit 200 Kilogramm Kupfer aus dem Staub und wir sitzen im Dunkeln!» Auf dem albanischen Schwarzmarkt für Schrott und Altmetall können die Diebe mit den Drähten an die 600 Euro verdienen.
Im Haus von Vangjels Eltern spendet eine rohe Glühbirne notdürftig Licht. In der Ecke brummt ein Kühlschrank, Baujahr 1980. «Die italienische Waschmaschine stellen wir nur nachts an, tagsüber ist die Stromspannung einfach zu gering. Wir machen uns sonst alle Elektrogeräte kaputt», sagt Bukuria, Vangjels Mutter, und deutet auf die Isolatoren – Keramik-Körper zur Befestigung der elektrischen Leiter, die an knorrigen Eichenbäumen aufgehängt sind.
Jede zweite Kilowattstunde wird nicht bezahlt
Etwa 40 Euro pro Monat bezahlt eine albanische Familie für Strom. Vielen ist das zu teuer – denn selbst ein Lehrer geht mit weniger als 200 Euro Lohn pro Monat nach Hause. Die Toskas wollen deshalb auf Energiesparlampen umsteigen. Andere zapfen den Strom kurzerhand illegal ab. Schätzungen zufolge wird fast jede zweite Kilowattstunde in Albanien nicht bezahlt.
Viele ältere Albaner auf dem Land sind noch ohne Strom aufgewachsen. Erst Ende der 1960er Jahre elektrifizierte Diktator Enver Hoxha alle 1.800 Dörfer in den abgeschiedenen Bergregionen. Enthusiastisch feierten damals die Dorfbewohner das «Licht der Partei». In jedem Haus erschallte von nun an mit Radio Tirana die «Stimme der Partei» – ein Propagandaerfolg.
Eine Steckdose pro Haus
Die Schattenseiten der Elektrifizierung blendete man aus. Maultiere zogen die bis zu 800 Kilogramm schweren Betonmasten bis auf die höchsten Berge Nordalbaniens. Dort wurden sie mit der Muskelkraft von Arbeitern aufgerichtet. Nicht selten kam es dabei zu tragischen Unfällen.
Im Kommunismus reichte vielen Albanern eine Steckdose im Haus. Das änderte sich 1991 nach dem Ende der Diktatur, als Waschmaschinen, Fernseher, Kühlschränke und elektrische Heizungen Einzug in albanische Haushalte hielten. Stromausfälle waren an der Tagesordnung, denn das teils überalterte Stromnetz hielt den Anforderungen nicht stand. «Duam drita» («Wir brauchen Strom») war Anfang der 1990er Jahre an fast jeder Hauswand zu lesen.
Heute ist die Stromversorgung ein Geschäft. Der staatliche tschechische Energiekonzern CEZ war einer der Ersten, der sich 2005 auf den Balkan wagte – er ist derzeit auch in Bulgarien und Rumänien aktiv. 2009 privatisierte das Unternehmen zwei Drittel des albanischen Stromnetzes, investierte mehr als 100 Millionen Euro und sorgte kurzzeitig für eine spürbare Verbesserung der Energieversorgung gerade auf dem Land.
Fehlende Zahlungsmoral
Doch hausgemachte albanische Probleme wie Korruption, eine ineffektive Justiz und fehlende Zahlungsmoral bei den Kunden liessen das Unternehmen schnell in die roten Zahlen rutschen. Es kam zu drastischen Personalkürzungen. Und die verbliebenen Elektriker wurden mit einem Monatsgehalt von etwa 200 Euro schlecht bezahlt.
Auch für Agron war das zu wenig. Er fährt täglich mit seinem Moped durch die Berge um die Stromleitungen auf Defekte zu prüfen: «Ich verdiene mir als Kameramann bei Hochzeiten etwas dazu, anders komme ich mit meiner Familie nicht über die Runden.» Sein Kollege Beni stimmt ihm zu: «Unser grosser Chef in Tschechien sitzt in seinem Sessel und verdient 60.000 Euro, und wir fahren Tag für Tag in die abgelegensten Täler und gehen mit einem Hungerlohn nach Hause.»
Mittlerweile wurde CEZ die Lizenz entzogen. Das Unternehmen befindet sich derzeit in einem Schiedsverfahren mit der albanischen Regierung. So sind momentan nur noch die deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) und die Entwicklungsbank KfW auf dem albanischen Strommarkt aktiv. Zusammen mit staatlichen Stromerzeugungsunternehmen sollen sie das sanierungsbedürftige Energienetz erneuern und Albanien stärker in den südosteuropäischen Energiemarkt einbinden. Bei den erneuerbaren Energien spielt Albanien bereits jetzt eine Vorreiterrolle: 94 Prozent, also fast die gesamte Energie, werden in dem Land durch Wasserkraft produziert.
«Wann gibt es wieder Strom?»
Ein funktionierendes Stromnetz ist für die Bewohner von Burrisht Zukunftsmusik. Wegen des Kabel-Diebstahls werden sie nun für einige Tage ohne Strom auskommen müssen. Alle umringen das Auto des Stromkonzerns. «Wann gibt es wieder Strom?», fragen sie mit bangen Blicken. «In ein, zwei Tagen bringen wir euch einen neuen Transformator. Darauf könnt ihr euch verlassen!», beruhigt sie der Elektriker. Vangjel zuckt mit den Schultern, bevor er sich wieder auf seinen Maulesel schwingt. «Beim Strom ist es wie mit der Politik. Versprechen, nichts als Versprechen!»
*Die Namen im Text wurden zur Wahrung der Anonymität der Informanten teilweise geändert.