Politiker, Geistliche und Stammesführer haben in Assuan eine einwöchige Waffenruhe zwischen einem nubischen und einem arabischen Stamm ausgehandelt. Ihre blutige Fehde hatte in vier Tagen 26 Tote und Dutzende Verletzte gefordert. Der Ausbruch der Gewalt ist das Resultat vieler vernachlässigter Probleme im äussersten Süden Ägyptens.
Der Gouverneur von Assuan, Mustafa Yusri, hatte die Medien gebeten, die schrecklichen Bilder der Toten nicht zu veröffentlichen und sich mit Spekulationen sowie Anschuldigungen zurückzuhalten.
Yusris Worte verhallten ungehört. Die Fotos der blutüberströmten Leichen des «Massakers von Assuan» wurden im Internet schnell verbreitet. Sicherheitskräfte haben das Unruhegebiet abgeriegelt. Schulen und Ämter blieben geschlossen. Die Eisenbahn stellte ihren Betrieb teilweise ein. Im Zentrum der nubischen Metropole sollen künftig gemeinsame Patrouillen von Polizei und Militär eingerichtet werden, versprach Yusri. Im Moment herrscht gespannte Ruhe.
Vermittlungsbemühungen gehen weiter
Während vier Tagen haben sich der arabische Bani Hilal Stamm und der nubische Daboudiya Clan gewalttätige Auseinandersetzungen geliefert. Mindestens 26 Menschen kamen auf beiden Seiten ums Leben, Dutzende wurden verletzt. Sie werden in Krankenhäusern der Armee gepflegt. Die Polizei hat mehrere Verhaftungen vorgenommen.
Anlass für die Gewalt zwischen den verfeindeten Familien sollen die Belästigung eines Mädchens und beleidigende Graffitis auf den Mauern einer Schule gewesen sein. Die genaue Ursache wird jetzt von einer Kommission untersucht, die Teil der Verständigung über die Waffenruhe ist. Die Vermittlungsbemühungen gehen in dieser Zeit auch mit Hilfe von Geistlichen der al-Azhar Universität weiter.
Für einheimische Beobachter kommt der Ausbruch der Gewalt in Nubien – dem «Land des Goldes», wie es die alten Ägypter nannten, weil es dort Goldminen gab – nicht ganz unerwartet. Familienfehden gab es in dieser Region immer. Meist konnten sie durch die Vermittlung von angesehenen Stammesältesten geschlichtet und eingedämmt werden. Dafür gibt es ein ungeschriebenes Regelwerk, das etwa auch Blutgeld vorsieht. Diesmal bekam die Gewalt eine extreme Dynamik und das ist der einzige Punkt, in dem sich beide Seiten einig sind. Die Sicherheitskräfte haben versagt und zu spät eingegriffen.
Unterentwicklung und Vernachlässigung
Die Lage hat sich seit der Revolution vom Januar 2011 stetig zugespitzt. Die in dieser Randregion traditionell schwachen Sicherheitskräfte sind noch schwächer geworden. Der Schmuggel mit dem Sudan blüht und überschwemmt auch Nubien mit Waffen. Die Gegend ist seit Jahrzehnten vernachlässigt. Infrastruktur, Schulen und Spitäler sind in einem desolaten Zustand. Die Landwirtschaft wurde nicht entwickelt. Dafür blühen Missmanagement und Korruption. Assuan gehört zu den ärmsten Provinzen Ägyptens, mit einer Armutsrate von bis zu 50 Prozent in einzelnen Dörfern.
Die Wirtschaftskrise nach der Revolution hat die Stadt im Süden besonders hart getroffen. Assuan lebt vom Tourismus – vor allem den Nilkreuzfahrten – und der ist hier völlig eingebrochen. Verschiedene Tourismuseinrichtungen mussten schliessen. Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen, und um die wenigen Geschäfte wird oft heftig gestritten. Als Folge der Verzweiflung nehmen Hass, Gewalt und Rassismus zu.
Unbewältigte Umsiedlung
Mit der Revolution von 2011 gab es auch hier eine Aufbruchstimmung und die einheimischen Nubier setzten sich verstärkt für ihre kulturellen und wirtschaftlichen Rechte ein. Sie streiten für ihre Rückkehr, um ihr verlorenes Land und um finanzielle Entschädigung. Beim Bau des Assuan-Staudammes in den 60er-Jahren mussten rund 50’000 Nubier ihre Dörfer verlassen und wurden in neue, miserabel gebaute Häuser weiter nördlich umgesiedelt. Ihre grossen Palmgärten, dort wo jetzt der Nasser-Stausee ist, gingen verloren. Der Verlust wurde nur symbolisch vergütet.
Die erste Regierung nach der Revolution von 2011 hatte versprochen, ein Institut für den Wiederaufbau des Gebiets südlich des Dammes einzurichten. Geschehen ist nichts. Auch in der neuen Verfassung gibt es keine konkreten Garantien. Die jungen Nubier würden immer ungeduldiger, auch von ihnen würden einige zu den Waffen greifen, warnte deshalb der bekannte nubische Schriftsteller Hagag Addoul nach der Gewaltexplosion.