Während den Weihnachtstagen quetschen sich zehntauschende Pilger durch die Altstadt von Bethlehem, die Pfadfinder blasen Dudelsäcke, und eine Band spielt Jingle Bells in Arabisch. Ein Besuch vor Ort.
Kurz vor Mitternacht ist die Aufregung am grössten. Die Franziskaner singen ihre Verkündung der Heiligen Geburt, natus es nobis hodie Salvator Christus Dominus, es riecht nach Schweiss, Weihrauch und altem Parfum in der St. Katharinenkirche zu Bethlehem, als er kommt. Bodyguards mit schwarzen Anzügen, breiten Schultern, kahlen Schädeln und verkabelten Ohren drücken die Besucher in der vollgestopften Kirche zur Seite, die Besucher drücken mit ihren Digitalkameras dagegen, und Mahmud Abbas huscht durch die Reihen. Der Palästinenserpräsident lächelt kurz und verschwindet in den vordersten Reihen. Die Köpfe drehen sich wieder dem Altar zu, die Orgel dröhnt, der Chor singt Halleluja, südafrikanische Pilger fächern sich Luft zu mit dem Prozessionsprogramm, «Diebus 24-25 Decembris, Celebrationes In Civitate Bethlehem». Wer Weihnachten am Geburtsort Jesu verbringt, der verbringt sie vor allem wartend.
Lametta, Limousinen und Lichterketten
Der Platz vor der Geburtskirche Jesu in Bethlehem, Westjordanland, 30’000 Einwohner, zwei Drittel Muslime, ein Drittel Christen, füllt sich seit den Morgenstunden. Auf einer Bühne spielt eine Band Weihnachtslieder in Arabisch, Flöten und Keyboards, davor der Baum, 15 Meter hoch, ein kegelförmiges Drahtgeflecht, mit Tannenzweigen überdeckt. Die ersten Umzüge beginnen. Der Tag vor dem heiligen Abend gehört in Bethlehem den Scouts, den palästinensischen Pfadfindertruppen, gegründet von der britischen Mandatsregierung, die zwischen den Weltkriegen Palästina verwaltete. Sie schlagen Pauken und blasen Dudelsäcke und tragen Berrets mit der Aufschrift «Terra Sancta College Boys Scout Troop Bethlehem», den Platz hinauf und wieder hinunter, stundenlang. Bis der Patriarch kommt.
Zwischen den Gassen ist Lametta gespannt, über manchen Hauseingängen hängen engelförmige elektrische Lichterketten, und unter diesen Ketten zwängen sich nach drei Uhr nachmittags drei Limousinen hindurch, und aus der Mittleren steigt der lateinische Patriarch aus, Fuad Twal, höchster Katholik im Heiligen Land. Vor ihm räumt palästinensisches Militär, Tarnuniformen und Maschinengewehre, den restlichen Weg zur niedrigen Eingangstür der Geburtskirche frei, drängt die Fotografen zur Seite, der Patriarch Twal schreitet hinter dem Franziskanerchor her, winkt, breitet die Arme aus, verschwindet nach zwei Minuten in der Geburtskirche, danach die Fotografen, danach die Pilger. Noch acht Stunden bis zur Mitternachtsmesse.
Höhle, Heilige und Hostien
Bethlehem, von drei Seiten mit Checkpoints, der israelischen Trennmauer und militärischen Wachtürmen eingeschlossen, wird an Weihnachten zur überfluteten Stadt. Die Geburtskirche, älteste Kirche im Heiligen Land, 335 erbaut über der Höhle, wo die Krippe gestanden sein soll, lässt in diesen Tagen 120’000 Besucher durch sich hindurchströmen, sie steigen in die Grotte hinab, neigen sich zum Geburtsaltar hinunter. Hic de Virgine Maria Jesus Christus Natus Est, steht eingraviert. Eine amerikanische Gruppe kauert im hinteren Teil der Grotte, singt «O Come All Ye Faithful», ein katholischer Priester taucht Hostien in Wein und legt sie den Gäubigen auf die Zunge.
Auf dem Krippenplatz, gegenüber der Geburtskirche, steht die Omar-Moschee. Ein fassadengrosses Plakat von Yassir Arafat hängt herunter. Halb fünf, aus den Lautsprechern am Minarett ruft der Muezzin zum Gebet, während sich junge Europäer in Jack-Wolfskin-Jacken und auf den Bauch geschnallten Rucksäcken nach Tickets für die Mitternachtsmesse durchfragen. Seit einem Monat sind die Karten vergeben. Die Nacht ist hereingebrochen über Bethlehem, und die Türsteher vor den Grillrestaurants in den Seitenstrassen rufen Merry Christmas, strecken die Hand entgegen und rattern das Menu hinunter. Tosend setzt der Regen ein, der Platz und die steinernen, glatten Altstadtstrassen leeren sich.
Zimt und Zigaretten
Um acht Uhr lädt ein lutheranisches Kirchenzentrum im Osten der Stadt zu einem Konzert eines deutschen Bläserquartetts, Bach, Händel und Weihnachtslieder, dazwischen ein Grusswort des Zentrumsleiters, das die Hoffnung äussert, im kommenden Jahr werde das besetzte Palästina frei sein. Die Kirchenbesucher, mehrheitlich Deutsche, klatschen. Danach Glühwein mit Zimt an der Theke.
Noch zwei Stunden. An der Cafeteria-Theke des Franziskanerkonvents stehen zwei Mönche in braunen Roben, trinken Espresso, rauchen Zigaretten und unterhalten sich in italienischer Sprache. Vor dem Kircheneingang bildet sich langsam eine Schlange. Anstehen um halb elf, Soldaten durchleuchten mit Taschenlampen Taschen, Rucksäcke und Mäntel.
Drei Stunden später ist die Messe vorbei, Schlusswort in Lateinisch, Arabisch, Italienisch, Deutsch, Französisch, Spanisch. Draussen ist die Luft kalt und frisch vom Dauerregen, die Strassen sind leergefegt, die meisten Restaurants geschlossen. Während in der Kirche bis in den frühen Morgen Messen und Prozessionen sich ablösen, hat Bethlehem für ein paar Stunden Ruhe. Einzig die Taxifahrer stehen noch da und fahren hin und her, zwischen der alten Kirche und der neuen Trennmauer, auf dem Weg ins neunzig Minuten entfernte Jerusalem – und kreuzen dabei Busse voller weiterer Pilger, die an den zahlreichen Prozessionen und Messen in Bethlehem teilnehmen.