Zehntausende Kosovaren verliessen im Januar ihr Heimatland. Kein Wunder, denn das wirtschaftliche Potenzial des jungen Staates liegt brach. Ein Besuch in den Trepca-Minen bei Mitrovica, wo junge Männer auf eine Zukunft im eigenen Land hoffen.
Über dem Eingang der Trepca-Minen steht der albanische Bergmannsgruss «Me Fat» (deutsch: Glückauf), in weissen Lettern auf steinernem Grund. Der Eingang zu den Minen befindet sich in Stan Terg, unweit der zwischen Serben und Albanern geteilten Stadt Mitrovica. Bevor es in den rostigen Aufzug geht, scherzt Behxhet Vinarci: «Das läuft bei uns alles nach EU-Standards.»
Der technische Leiter der Trepca-Minen fährt mit sechs Bergleuten 800 Meter unter die Erde. Die Fahrt dauert etwa fünf Minuten, während denen Vinarci die Reporter warnt: «Bleibt mit euren Händen in der Mitte des Aufzugs. Sobald ihr sie da raus streckt, sind sie ab.» Bexhet Vinarci spricht gutes Deutsch, so wie viele andere Kosovaren, die einen Teil ihres Lebens in Deutschland, Österreich oder der Schweiz verbracht haben.
Unten angekommen sieht die Mine nicht aus, als würden hier EU-Standards erfüllt. An machen Stellen steht das Wasser bis zu den Knien, und die schweren Transportwägen erblickt man erst kurz bevor sie einen zu überrollen drohen. Manchmal sieht man die Hand vor Augen kaum. Das einzige Licht ist jenes, das aus der am Helm befestigten Lampe kommt. Einer der Bergleute führt eine Probebohrung durch und verursacht damit einen gewaltigen Lärm. Neben ihm steht ein Kollege und begutachtet die Probebohrung, oben ohne. Es ist warm und stickig in den Minen. Ohrenschützer trägt hier unten niemand.
«Einer der härtesten Jobs überhaupt»
Edmond Selimi und Blerim Haxha gehören zu den Jüngsten, die 800 Meter unter der Erde in Stan Terg Blei, Zink, Silber und andere Schwermetalle abbauen. Einer der beiden gibt den Gästen immer ein paar kleine Steine als Andenken mit auf den Weg. Das ist Tradition hier in Trepca, obwohl es streng genommen verboten ist. Edmond Selimi sagt, dass er glücklich sei eine so gut bezahlte Arbeit bekommen zu haben, obwohl er auch betont: «Das hier ist einer der härtesten Jobs überhaupt. Den kann nicht jeder machen und schon gar nicht bis ins hohe Alter.»
Der Vorgesetzte Bexhet Vinarci zeigt auf die beiden und betont sichtlich stolz: «Das ist die neue Generation von Trepca.» Sie gehören zu der Minderheit von jungen Kosovaren die überhaupt einen Job haben. Es fällt schwer sich unter Tage zu unterhalten, wenn die Maschinen in Betrieb sind. Ein Teil der Kommunikation läuft über Zeichensprache. In den Minen darf geraucht werden.
Der Pressesprecher Musa Mustafa sagt: «Die Bergarbeiter haben eine sehr schwere Arbeit, aber sie werden dementsprechend bezahlt. Die Leute unten verdienen mehr als ich und die Angestellten in der Firmenleitung.» Laut Mustafa verdienen die Bergleute zwischen 650 und 1300 Euro im Monat. Für die Lebensverhältnisse vor Ort ist das tatsächlich sehr gut. Die meisten Kosovaren wären wohl bereits mit dem Durchschnittseinkommen von 250 Euro im Monat zufrieden. Viele müssen mit weniger auskommen. Jeder Dritte im Kosovo lebt, laut Angaben der Weltbank, in totaler Armut. Das bedeutet von weniger als 1,40 Euro am Tag.
Stolz auf die Minen
Viele Haushalte kommen nur dank den Überweisungen von Verwandten aus der Schweiz, Österreich oder Deutschland über die Runden. Dieses Geld wird meist für Konsumgüter ausgegeben und nicht in Wirtschaftsunternehmen und Infrastruktur investiert. Daran konnte auch ein eigens geschaffenes Ministerium für Diaspora-Angelegenheiten bislang nichts ändern. Wirtschaftsstandorten wie den Trepca-Minen fehlt es an Investoren, weswegen nur kleine Teile der riesigen Anlage in Betrieb sind. Der grösste Teil schwankt ästhetisch zwischen Industrieruine und Mondlandschaft.
Das Kosovo bleibt das Armenhaus Europas. Trotz, oder wie manche behaupten gerade wegen, der Bemühungen der internationalen Gemeinschaft. Viele junge Menschen sehen ihre Zukunft nicht mehr hier. Allein im laufenden Jahr 2015 versuchten bereits knapp 25’000 Menschen nach Ungarn zu kommen. Die meist jungen Kosovaren wollen dann weiter nach Österreich und Deutschland. Dabei hat das Kosovo gerade einmal 1,8 Millionen Einwohner. Die schwierige wirtschaftliche Situation treibt die Jugendlichen nicht nur in den deutschsprachigen Raum. Derzeit kämpfen laut Schätzungen etwa 350 kosovarische Staatsbürger mit dem Islamischen Staat im Irak und Syrien.
Während viele Altersgenossen von Edmond Selimi und Blerim Haxha 700 Kilometer nach Norden fahren, um in Ungarn in einen Zug Richtung Österreich zu steigen, wollen die beiden im Kosovo bleiben. Sie sind stolz auf ihre Mine und hoffen, dass Investitionen und eine Verstaatlichung die Region wieder voranbringen. Ihre Hoffnung teilen die beiden mit einem grossen Teil der Jugend vor Ort. Nach der Verstaatlichung, sollen die Trepca-Minen wieder die Bedeutung erlangen, die sie einst im ehemaligen Jugoslawien hatten.
Als die Arbeiter in den Hungerstreik traten
Die Trepca-Minen waren einst der grösste Devisenlieferant des ehemaligen Jugoslawiens und der grösste Reichtum des Kosovo, welches damals die ärmste Republik innerhalb Jugoslawiens war und heute das ärmste Land der Region ist. Hier lagern mehr Blei, Zink, Silber, Gold und Kadmium als sonst irgendwo in Südosteuropa.
Neben dem realen wirtschaftlichen Wert haben die Trepca-Minen auch einen symbolischen Wert für die Kosovaren. Am 20. Februar 1989 begannen über 1300 Arbeiter einen Hungerstreik, um gegen die Abschaffung der Autonomie des Kosovo durch das Regime von Slobodan Milosevic zu demonstrieren. Die Minenarbeiter streikten acht Tage und Nächte lang, bevor sie aus den Stollen herauskamen und verhaftet wurden. 180 Streikende mussten daraufhin ins Krankenhaus gebracht werden. Der Direktor des Kombinates Trepca, Aziz Abrashi, sowie der Direktor der Mine Burhan Kavaja wurden verhaftet und für längere Zeit eingesperrt.
Slobodan Milosevic veranlasste, dass alle albanischen Arbeiter vor Ort entlassen und durch Serben ersetzt wurden. Weil es nicht ausreichend qualifizierte Serben in der Region gab, kamen auch Ukrainer und Polen als Bergleute, von denen die meisten das Land während des Krieges wieder verliessen. Die Entlassungen der albanischen Arbeiter geschahen im Kontext von weiteren Diskriminierungen gegenüber der albanischen Bevölkerung im Kosovo durch das Regime von Slobodan Milosevic. Während des Kosovokrieges stritten Serben und Albaner um die Kontrolle der Anlagen, die im August 2000 von KFOR-Truppen, gegen den Widerstand serbischer Arbeiter, besetzt wurden. Danach standen die Minen erst einmal still. Bis heute ist nur ein kleiner Teil der Minen wieder in Betrieb.
Antiserbische Stimmungen
Während einige junge Kosovaren sich serbische Pässe besorgen, um legal in die EU einreisen zu können, gibt es andere, die gegen Serbien demonstrieren. In den vergangenen Wochen kam es wiederholt zu Kundgebungen gegen den Einfluss Serbiens auf die kosovarische Politik. Die linksnationalistische Oppositionspartei Vetevendosje (Selbstbestimmung) forderte eine Verstaatlichung der Trepca-Minen. Diese wurde vom amtierenden Premierminister Isa Mustafa, auf Druck aus Belgrad, verschoben. Dem Premierminister wurde daraufhin vorgeworfen eine proserbische Politik zu verfolgen – einer der schlimmsten Vorwürfe, die man dem Premierminister des Kosovo machen kann.
Es kam daraufhin zu den grössten Protesten seit der Unabhängigkeit des Kosovo 2008. Demonstranten lieferten sich Strassenschlachten mit der Polizei. Junge Sympathisanten von Vetevendosje (Selbstbestimmung) und UCK griffen Polizeikräfte an. Als die Proteste am 24. Januar begannen, schafften es die Demonstranten sogar die unteren Stockwerke des Parlamentgebäudes zu entglasen. Die kosovarische Opposition versuchte ihre Forderungen mit Gewalt durchzusetzen, was ihr teilweise gelang, als sie den Rücktritt eines serbischstämmigen Ministers erzwang, der die Mütter albanischer Kriegsopfer beleidigt haben soll. Es sind die grössten und gewalttätigsten Proteste seit der Unabhängigkeit des Kosovo im Jahr 2008.
Der technische Leiter der Trepca-Minen will nicht über Politik sprechen: «Die Bergleute vor Ort wollen arbeiten und ihre Löhne bekommen.»
Die Forderung nach einer Verstaatlichung der Trepca-Minen vermischte sich mit antiserbischen Ressentiments. Die meisten Demonstranten forderten: «Serbien raus aus dem Kosovo.» Mit dieser Parole wird die serbische Blockadehaltung bezüglich der Verstaatlichung der Minen kritisiert. Die Kosovaren verbitten sich jede Einmischung aus Belgrad in ihre Wirtschaftspolitik. Manche schrien aber auch: «Serben raus aus dem Kosovo», was sich auf die serbische Minderheit im Land bezieht, die etwa sieben Prozent der Bevölkerung stellt. Im Zuge des Kosovokrieges und den Pogromen im März 2004 rächten sich Kosovo-Albaner an Serben und vertrieben diese aus Teilen des Landes. Eine kritische oder juristische Aufarbeitung dieser Ereignisse lässt auf sich warten.
Arbeiten und hoffen
Die Arbeiter und Gewerkschaften distanzierten sich weitestgehend von den Protesten, als diese gewalttätig wurden. Sie wollten sich nicht von den Parteien instrumentalisieren lassen, von denen scheinbar keine die Sympathien der Arbeiter geniesst. Dabei gehörten die Gewerkschaften und Bergleute der Trepca-Minen zu den Initiatoren der Proteste. Arbeiter aus den Trepca-Minen bei Stan Terg schlugen ein Protestzelt direkt vor dem Parlament auf und forderten ihre Löhne ein, die ihnen vorenthalten wurden.
Auch Behxhet Vinarci winkt ab, wenn man ihn nach Politik fragt: «Die Bergleute vor Ort wollen arbeiten und ihre Löhne bekommen, die interessieren sich nicht für Politik.» Diese Einschätzung teilt Pressesprecher Musa Mustafa: «Die Minen befinden sich in der Nähe der zwischen Serben und Albanern geteilten Stadt Mitrovica. Wenn nicht die Politik dazwischen kommt, gibt es dort auch keine Probleme.»
So ähnlich sehen das auch die anderen Bergarbeiter – niemand äussert sich konkret zu den Protesten. Allesamt betonen, dass sie ihre Arbeit machen wollen und sich nicht für Politik interessieren. Ihre Hoffnung ist, dass die Trepca-Minen eines Tages wieder richtig laufen, Arbeitsplätze geschaffen werden und junge Menschen in der Region einen Grund haben im Kosovo zu bleiben.