In der Hand der Hardliner

Der Atomstreit mit dem Iran geht weiter. Bemühungen für eine Lösung werden von Ideologen auf beiden Seiten behindert. Doch die Konflikte im Nahen und Mittleren Osten könnten die Beiteiligten schliesslich zu einer Einigung zwingen.

Präsident Hassan Rohani sucht den Dialog mit dem Westen, doch die Konservativen im Iran sabotieren seine Politik. (Bild: © POOL New / Reuters)

Der Atomstreit mit dem Iran geht weiter. Bemühungen für eine Lösung werden von Ideologen auf beiden Seiten behindert. Doch die Konflikte im Nahen und Mittleren Osten könnten die Beiteiligten schliesslich zu einer Einigung zwingen.

Bürgerkrieg in Syrien. Das notorisch fragile Afghanistan. Der Vormarsch der Dschihadisten des Islamischen Staats im Irak und in Syrien (ISIS). Und die neuerliche Eskalation im Gaza-Streifen. All diese Konflikte drohen den Nahen und den Mittleren Osten endgültig grossflächig im Chaos versinken zu lassen. Das einzige stabile Land zwischen dem Hindukusch und dem östlichen Mittelmeer ist momentan der Iran.

Doch auch die iranische Regierung befindet sich aktuell in einer wichtigen Auseinandersetzung. Auch wenn diese in der Flut der Ereignisse der letzten Wochen beinahe in Vergessenheit geraten ist, könnte ihr Ausgang für die gesamte Region von entscheidender Bedeutung sein. Seit Februar wird in Wien über ein dauerhaftes Abkommen zur Beilegung des Atomstreits verhandelt.

Sanktionen treffen neuralgische Punkte

Ziel dieses Abkommens ist es, das iranische Atomprogramm so weit einzuschränken, dass es ausschliesslich für zivilie, nicht aber für militärische Zwecke nutzbar ist. Im Gegenzug dafür soll die Weltgemeinschaft die tiefgreifenden Sanktionen gegenüber Teheran aufheben. Ursprünglich sollte bis zum 20. Juli eine Lösung gefunden sein. Dieser Plan ist gescheitert. Die Verhandlungen werden nun bis Ende November fortgesetzt.

Der Streit hat sich seit dem Beginn der Präsidentschaft des konservativen Hardliners Mahmud Ahmadinedschad (2005 bis 2013) zunehmend zugespitzt. Der Iran verweigerte den internationalen Kontrolleuren den Zugang zu seinen Anlagen und drohte offen mit der Entwicklung von Atomwaffen. Die USA und Europa antworteten mit immer schärferen Sanktionen. Diese Sanktionen betrafen vor allem das wichtige Ölgeschäft. Sie zielten aber auch auf neuralgische Punkte ab, etwa durch den Ausschluss vom SWIFT-System, womit es beinahe unmöglich wurde, vom Iran aus internationale Banktransaktionen durchzuführen. Die Sanktionen setzten dem Land und seiner Wirtschaft enorm zu – vor allem seit sich auch Russland und China dem Embargo des Westens angeschlossen haben.

Iran und der Westen könnten Partner sein

Im Juni des letzten Jahres wurde der moderate Kleriker Hassan Rohani mit dem Versprechen, die Aufhebung der Sanktionen zu verhandeln, zum Präsidenten gewählt. Drei Monate später begannen die Verhandlungen unter der Leitung von Aussenminister Mohammad Javad Zarif und der EU-Aussenbeauftragen Catherine Ashton. Im November 2013 wurden in Genf eine Interimslösung und ein Fahrplan für eine dauerhafte Lösung vereinbart. Diese wird seit Februar in Wien verhandelt.

Mit den umliegenden Konflikten im Mittleren Osten geht das Interesse an einer Einigung mittlerweile jedoch für beide Seiten über die Kernthemen hinaus. Scheitert eine diplomatische Lösung, droht der Atomstreit mit militärischen Mitteln ausgetragen zu werden. Sowohl Israel als auch Teile der amerikanischen Führung drohen mit gezielten Luftangriffen auf die iranischen Atomanlagen. Ein Scheitern könnte ausserdem zu einem Wettrüsten mit anderen regionalen Mächten, allen voran Saudi-Arabien, führen.

Eine weitere Eskalation im Mittleren Osten ist für alle Beteiligten alles andere als wünschenswert. Im Gegenteil: Der Iran und der Westen könnten sich sogar gegenseitig als nützliche Partner erweisen. Der radikale Islamismus in Gestalt des ISIS und der al-Qaida ist ein gemeinsamer Feind. Ebenso wollen beide Seiten die Einheit des Iraks aufrechterhalten. Auch in Syrien wird ohne den Iran, der das Assad-Regime weiterhin stützt, kaum ein dauerhafter Frieden zustande kommen.

Das Scheitern der Diplomatie liegt weniger am mangelnden Geschick der Verhandler als an den Vorbehalten auf beiden Seiten.

Ein umfassendes Abkommen könnte den Iran aus seiner internationalen Isolation befreien und die Basis für eine weitere Zusammenarbeit in der Region bilden. Nach dem ISIS-Vormarsch im Irak wurden erste Gespräche zwischen den USA und dem Iran über mögliche Kooperationen geführt, die allerdings erfolglos blieben.

So gross das Interesse beider Parteien an einer diplomatischen Beilegung des Konflikts auch ist, konnte doch bislang keine Formel gefunden werden, die sowohl in Teheran als auch in Washington politisch durchsetzbar wäre. Das liegt weniger am mangelnden Geschick der Verhandler als an den Vorbehalten, die beiderorts herrschen.

Machtkampf in der iranischen Führung

Die Limitierung des Atomprogramms wäre ein massiver Eingriff in die Souveränität des Irans und kann nicht ohne das Wohlwollen des Obersten Rechtsgelehrten, den Ajatollah Ali Chamenei und der Revolutionsgarde zustandekommen. Auf der anderen Seite bräuchte es eine Mehrheit im US-Kongress, um die Sanktionen dauerhaft aufzuheben. Ein Abkommen muss daher nicht die Chefverhandler und noch nicht einmal die beiden Präsidenten überzeugen, sondern die Hardliner an den jeweils entscheidenden Stellen.

Seit der Wahl von Hassan Rohani im letzten Jahr findet ein erbitterter Machtkampf zwischen den moderaten und konservativen Kräften in der iranischen Führung statt. Hintergrund dafür ist unter anderem die anstehende Wahl des Expertenrates im nächsten Jahr. Der Expertenrat wird für jeweils acht Jahre gewählt. Seine Hauptaufgabe ist, den mächtigesten Posten des Landes, jenen des Obersten Rechtsgelehrten, zu besetzen. Ajatollah Ali Chamenei, der 1989 in dieses Amt gewählt wurde, ist 75 Jahre alt und vielen Berichten zufolge nicht mehr bei allerbester Gesundheit. Der Ausgang dieses Machtkampfes könnte demnach die Politik des Landes für die kommenden Jahrzehnte bestimmen. Ein Abkommen würde zweifelsfrei den moderaten Kräften in die Hände spielen.

Kongresswahlen als Hindernis

Ajatollah Chamenei selbst verhält sich bezüglich der Atomverhandlungen widersprüchlich. Zum einen sagte er den iranischen Verhandlern wiederholt und ausdrücklich seine Unterstützung zu. Zum anderen fällt er ihnen mit unabgesprochenen öffentlichen Aussagen immer wieder in den Rücken.

Der grösste Widersacher einer Einigung aufseiten der sogenannten P5+1-Gruppe (die fünf Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat sowie Deutschland) ist der amerikanische Kongress. Sowohl der Senat als auch das Repräsentatenhaus stehen den Verhandlungen skeptisch gegenüber. Selbst nach Abschluss des Interimsabkommens im November 2013 wurden immer wieder Versuche unternommen, neue Sanktionen gegenüber Teheran zu verhängen. Diese Versuche scheiterten jeweils am Veto von Präsident Obama. Wären sie erfolgreich gewesen, wären die Verhandlungen unmittelbar gescheitert.

Die entscheidende Frage ist jene zwischen Pragmatismus und Ideologie.

Zurzeit befindet sich der Kongress im Wahlkampf. Am 4. November stehen die wichtigen Midterm Elections an, in denen ein Drittel des Senats und das gesamte Repräsentantenhaus neu gewählt wird. Ein Stimmungswechsel zu Gunsten eines Abkommens gilt bis dahin als unwahrscheinlich.

Letztlich befinden sich also beide Seiten in einem ähnlichen Zwiespalt: Einerseits würden alle Beteiligten mit einem Abkommen mehrere Fliegen auf einmal erschlagen; anderseits bleiben die gegenseitigen Vorbehalte enorm. Die entscheidende Frage, die sich auf beiden Seiten stellt und die jeweilige innenpolitische Auseinandersetzungen bestimmt, ist jene zwischen Pragmatismus und Ideologie.

Bis Ende November wird weiter verhandelt

Den Todesstoss gegen eine rasche Einigung führte unlängst Ajatollah Chamenei, als er in einer Rede Anfang Juli den langfristigen Bedarf an Atomzentrifugen auf 190’000 bezifferte. Die europäischen und amerikanischen Verhandler dagegen denken eher an wenige Tausend Stück. Im US-Kongress vertreten wiederum viele die Meinung des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu, wonach ein rein ziviles Atomprogramm überhaupt keiner Zentrifugen bedürfe.

Den Verhandlern in Wien ist es, trotz der zwischenzeitlichen Mithilfe von US-Aussenminister John Kerry, nicht gelungen, eine Lösung zu finden, die unter diesen Umständen durchsetzbar wäre. Dennoch wurde die jüngste Runde aufgrund der grossen Fortschritte in den letzten Monaten und in der Hoffnung auf günstigere innenpolitische Umstände mit der Übereinkunft beendet, bis 24. November weiterzuverhandeln.

Ob diese Hoffnungen berechtigt sind, wird sich zeigen. Möglicherweise werden die gegenseitigen Vorbehalte bis dahin aber auch von weiteren Eskalationen im Nahen und Mittleren Osten überholt. Dann könnte eine Einigung nicht mehr eine Frage zwischen Pragmatismus und Ideologie sein, sondern blanke Notwendigkeit.

Nächster Artikel