Mit einem Wohnwagen in seinem Vorgarten bietet Pfarrer Roland Bressan aus Hölstein Roma einen Unterschlupf vor Kälte und der Enge des Autos. Nun hat seine Gemeinde einen Verein gegründet, um in der Heimat der Roma mit dem Nötigsten zu helfen: Nahrung.
Vielleicht ist dies einfach eine Geschichte, in der ein Mensch Notleidenden hilft. Vielleicht ist es aber auch eine moderne Weihnachtsgeschichte, die von Nächstenliebe handelt, von Geschenken, Herzlichkeit und dem eigentlichen Sinn des Fests. Auf jeden Fall nimmt sie ihren Ursprung in Ostrovany, einem kleinen Dorf in der Hohen Tatra, die als Teil der Karpaten die Slowakei durchpflügen. Hier klirrt die Kälte im Winter nicht geringer als hierzulande in den Alpen.
In der Slowakei, einer der aufstrebenden Wirtschaftsnationen Osteuropas und Mitglied der Europäischen Union, grassiert eine Seuche. Sie nennt sich Rassismus. Ostrovany ist einer ihrer Brennpunkte. Die Feindseligkeit, die den Kindern quasi mit der Muttermilch eingeimpft wird, richtet sich gegen Roma, und in diesem kleinen Dorf, in dem es im Winter so kalt ist, das die Menschen bisweilen in ihren vier Wänden erfrieren, leben rund 400 von ihnen – ausgegrenzt und unerwünscht, zusammengetrieben in einem Ghetto.
Kein Strom, kein WC, kein fliessendes Wasser: Die Roma-Siedlung in Ostrovany gleicht einem Ghetto. (Bild: Guido Schärli ©)
Sie hausen in behelfsmässigen Baracken ohne fliessendes Wasser und Strom oder in einer dieser Retortenkolonien am Dorfrand, weil sie in den Zentren niemand will. Zusammengepfercht teilen sie sich zu fünft, sechst ein Zimmer auf blankem Beton. Im Nachbardorf hat die Regierung fünf Ställe aus dem Boden gestampft. Rechtwinklige Betonbauten, 200, 300 Quadratmeter gross, bewohnt von je 50 Menschen.
In Ostrovany kommt es vor, dass Menschen in ihren eigenen vier Wänden erfrieren. (Bild: Guido Schärli ©)
An Arbeit ist nicht zu denken. Darum suchen ein paar wenige von ihnen einen Ausweg aus dem Strudel aus Hunger, Kälte und Hoffnungslosigkeit. Alle paar Monate tut sich dann eine Handvoll Männer zusammen, um sich in ein Auto zu zwängen und in den Westen zu fahren. Manche kommen in die Schweiz, manche ins Baselbiet, manche nach Hölstein.
«Ich konnte einfach nicht nur zuschauen», sagt Roland Bressan, Pfarrer der reformierten Kirchgemeinde Bennwil Hölstein Lampenberg. Als Seelsorger kam er mit den slowakischen Besuchern in Kontakt. Die meisten von ihnen musizierten auf der Strasse, spielten Handorgel oder Geige, um ein paar Franken für die Familie zu verdienen. Betteln ist in der Schweiz verboten, doch von Pfarrstube zu Pfarrstube zu ziehen nicht. So lernten sie vor Jahren Bressan kennen.
Nun wird die Hilfe konkreter. Erst diesen Herbst entstand aus Bressans Kirchgemeinde heraus der Verein «Roma Nàdej», zu Deutsch «Hoffnung für Roma». Sein vorrangiges Ziel ist es, warme Mahlzeiten anzubieten in Ostrovany. 250 Franken kostet das für die rund 400 Roma – pro Mahlzeit. Bisher reicht das Geld für ein Essen alle zwei Wochen. «Zwei Mahlzeiten wöchentlich und regelmässige Lebensmittelabgaben sind unser vorläufiges Ziel», erklärt Bressan. Denn Hunger ist das grösste Problem.
Am Ursprung dieses Hilfsprojekts steht Bressans Freundschaft mit dem Roma-Pfarrer Dalibor Pešta, die sich durch den Wohnwagen und seine Slowakei-Besuchen entwickelt hat. Pešta gründete in mehreren Armensiedlungen christliche Gemeinden. Aus der Gemeinschaft, sagt Bressan, würden viele Roma neue Hoffnung schöpfen. «Und wir wollen dabei helfen, die Lebensumstände dieser Menschan nachhaltig zu verbessern.»
Gleich viel Musik, weniger Geld
Das ist bitternötig, denn die Dinge haben sich verändert. So verdient man heute als Strassenmusikant kaum mehr genug, um über die Runden zu kommen. Bressan spricht von rund 50 Franken, die ein Roma einst am Tag erspielte. «Heute sind es vielleicht noch 15 Franken.» Und die Einschränkungen punkto Spielorte und -zeiten sind einschneidend geworden.
Aber Bressan schöpft Hoffnung. Hoffnung, den Roma in ihrer Heimat zu helfen. Er betont, wie wichtig es sei, dass die Glaubensgemeinschaften ganz und gar aus Eigeninitiative der Roma entstanden seien. Darum, glaubt er, sei die Entwicklung nachhaltiger, zielführender. «Es muss etwas bewegt werden», sagt Bressan. Vielleicht ist «Roma Nàdej» der Anfang. Es wäre sein schönstes Weihnachtsgeschenk.
Roma waren eigentlich Nomaden, sie wanderten im 14. Jahrhundert aus Indien nach Europa ein. Heute sind sie Europas grösste Minderheit, insgesamt leben rund 8,5 Millionen von ihnen über den Kontinent verteilt. Während des Kommunismus wurden sie sesshaft gemacht und der Rassismus ihnen gegenüber unterdrückt. Heute schlägt ihnen offene Ablehnung entgegen. Vor allem in der Slowakei ziehen immer wieder ganze Banden von Rechtsradikalen durch die Ghettos der Roma. Die sind nirgends willkommen. In der Slowakei leben sie von den «Reisen» ins westliche Europa und monatlich etwa 120 Euro Sozialhilfe – pro Familie.