In Westeuropa gibt es genügend Platz für Bürgerkriegsflüchtlinge

Der Bürgerkrieg in Syrien treibt Millionen von Menschen in die Flucht. Die wenigsten von ihnen landen in Westeuropa. Alois-Karl Hürlimann hat sich mit den Zahlen auseinandergesetzt – und kommt zum Schluss: Bei uns gäbe es genügend Platz – man müsste ihn nur organisieren.

Syrische Flüchtlinge in einem Lager in Bekaa, Libanon. (Bild: MOHAMED AZAKIR, Reuters)

Der Bürgerkrieg in Syrien treibt Millionen von Menschen in die Flucht. Die wenigsten von ihnen landen in Westeuropa. Alois-Karl Hürlimann hat sich mit den Zahlen auseinandergesetzt – und kommt zum Schluss: Bei uns gäbe es genügend Platz – man müsste ihn nur organisieren.

1. Wer ist Flüchtling? 

1.1

Zur Zeit fliehen Millionen Menschen aus den Bürgerkriegsgebieten in Syrien, weil sie diesen Krieg überleben wollen.

Zur Zeit fliehen Hunderttausende – oftmals nicht zum ersten Mal – vor IS-Söldnerheeren aus irakischen Städten in die von Kurden verwalteten Gebiete oder in die Türkei, viele auch wieder, oft nicht zum ersten Mal während der letzten 15 Jahre, nach Jordanien.

Die Fliehenden verlassen ihre Häuser, ihre Städte, ihr Land aus Überlebensnotwendigkeit. 

Wenn sie nicht geflohen wären oder nicht nicht fliehen würden, wäre die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie, dass ihre Familienangehörigen, dass unzählige Kinder getötet worden wären oder getötet würden. Viele ihrer Angehörigen sind bereits getötet worden.

Die  Flucht aus einem «aktivierten» Kriegsgebiet wie zur Zeit einem grossen Gebietsteil von Ost- und Nordsyrien ist etwas ganz anderes als eine auch halbwegs «geordnete» Ausreise. Die Flucht geschieht unmittelbar. Als Flüchtling kann man allenfalls mitnehmen, was man nebst den flüchtenden Menschen zum Beispiel in ein Auto, in einen zur Verfügung stehenden Bus, auf einen Lastwagen packen kann: Wenig. Sofern überhaupt ein Gefährt für die Flucht zur Verfügung steht.

Meistens beginnt eine Flucht auch heute noch zu Fuss. Hin zu Sammelstellen, welche das UNHCR, wenn es gut geht, für in die Flucht Geschlagene, irgendwo in erreichbarer Nähe eingerichtet hat. 

Vielleicht ein paar Kleider, etwas Essen für ein oder zwei Tage, die eine oder andere Wasserflasche.

Dann folgen für Millionen dieser Flüchtenden Wochen, Monate in Zeltstädten, welche im konkreten Fall für die Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak im Libanon, in der Türkei und in Jordanien eingerichtet worden sind. Es folgt eine Zeit, während der die Hoffnung auf Rückkehr für die meisten Geflohenen den Tag bestimmt und die Nächte nebst traumatischer Verarbeitung des Entsetzlichen, was zum aufgezwungenen Erlebnis wurde, begleitet.

Sobald sich die Situation in euren Herkunftsländern beruhigt hat: Tschüss! Ciao! Salut! Hasta la Vista!

Etwa 15 Millionen der 50 Millionen Flüchtlinge weltweit befinden sich vor Europas Haustüre in Fluchtunterkünften, in denen «wir» uns keinerlei auch nur ganz ganz kurzen Aufenthalt zumuten würden. Wochenlang. Monatelang. 

Gut: Wir nehmen ein paar Flüchtlinge auf. Schärfen ihnen aber bei ihrer Einreise in unsere Rechtsstaaten ein: Wir sind grosszügig! Wir geben euch ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht. Sobald sich die Situation in euren Herkunftsländern beruhigt hat: Tschüss! Ciao! Salut! Hasta la Vista!

Unser Recht organisiert eure vorübergehende Lebensweise bei uns. Erst einmal dürft ihr auf keinen Fall arbeiten. Allein schon deshalb nicht, weil ihr euch sonst einbilden würdet, mit selber verdientem Geld womöglich irgendwelche Wohn-, Konsum- oder gar Aufenthaltsrechte ausserhalb unseres Asylsystems erarbeiten zu können.

Immerhin: Für die Betreuung der Flüchtlingsmassen in und aus Syrien, in und aus dem Irak, im Libanon aus Syrien, in der Türkei aus Syrien und dem Irak, in Jordanien aus Syrien und dem Irak regt sich zur Zeit politisch in Europa einiges. 

«Man», unsere Regierungen beispielsweise, will helfen. Hilfe soll vorwiegend «vor Ort» geschehen, also dort, wo die meisten Flüchtlinge nach ihrer Flucht vorübergehend in all den Provisorien leben müssen. Nahrung, Hygiene, Winterfestigkeit, Schulen, Krankenhauseinrichtungen werden nun endlich finanziert. Die logistische Hilfe wird auch mit Einbezug von militärischen Strukturen erfolgen.

Der deutsche Entwicklungshilfeminister Müller beispielsweise tritt seit mehreren Wochen mit – für einen CSU-Minister – überraschend menschenfreundlichen Vorstellungen über Flüchtlingshilfe an die Öffentlichkeit und erklärt, eine Milliarde Euro organisieren zu wollen. Was natürlich bloss eine Anfangsfinanzierung darstellt, aber immerhin einen Anfang macht.

1.2

Es fliehen aber auch Millionen Menschen, die keine ökonomische Grundlage für ein Weiterleben in ihren Herkunftsländern mehr erkennen können. Manchmal ist ein einige Zeit zurückliegender Bürgerkrieg der Grund, dass Hunderttausende Menschen seit Jahren in Zeltstädten, in Bidonvilles, in Provisorien hausen müssen. Solcherlei existiert zum Beispiel in Kenia auf Grund der jahrzehntelangen Bürgerkriegsgewalt in Somalia. Viele jüngere Menschen wollen weg. Sie nehmen ein ungewisses Flüchtlingstreckleben auf sich, durchqueren den halben Riesenkontinent Afrika, um irgendwann am südlichen Ufer des Mittelmeers anzukommen und mit Hilfe von Schleppern nach Europa einzureisen.

 Wer mit dem Zeigefinger auf andere weist, zeigt mit mindestens drei Fingern der Hand auf sich selber.

«Reisen» ist für diese Fluchtform allerdings ein falsch gewähltes Verb. Inzwischen wissen wir, dass die  Überquerung des Mittelmeers für Tausende jährlich zur Endstation ihres Lebens geworden ist. Sie sind ertrunken. Wenn diese Seenot nicht mehr verschwiegen werden kann, weil zu viele Menschen sie miterlebt haben, empört «man» sich in Europa medial von Zeit zu Zeit und greift der Einfachheit halber italienische oder maltesische Institutionen an, welche die in Seenot Geratenen angeblich nicht retten wollen. Was einerseits in dieser Pauschalisierung sowieso nicht stimmt, anderseits aber die Wahrheit in sich trägt, die das Zeigefingerstrecken so an sich hat: Wer mit dem Zeigefinger auf andere weist, zeigt mit mindestens drei Fingern der Hand auf sich selber! (Probieren Sie es, verehrte Leserinnen, verehrte Leser, ruhig mal aus.)

Für einen Teil des politischen Spektrums in Europa sind diese meist aus Afrika stammenden Fliehenden keine Menschen, welche der Definition der Genfer Konventionstexte entsprechend als Flüchtlinge anerkannt werden müssen. Grund: Angeblich sind sie blosse «Wohlstandflüchtlinge», also solche, die in «unseren» Wohlstand hineinfliehen. Das politische Spektrum in Europa, welches diesbezüglich überall über viele Propagandamittel verfügt und mit der Anwendung von rassistisch begründeten Vorurteilen keinerlei Mühe hat, spricht von «Asylmissbrauch», von «Scheinasylanten» oder «Scheinflüchtlingen» und möchte  die Einzelfallüberprüfung zu Gunsten von Pauschalisierungen abschaffen. Statt des rechtsstaatlichen Verfahrens für Individuen möchten die europäischen Rechtspopulisten und Neofaschisten (da gibt es eine klar erkennbare «geistige» Allianz zwischen diesen beiden Strömungen) kurze Prozesse über bestimmte Volksgruppen, jaja, auch Rassen, führen, um die «Grenzen» für sie verschlossen halten zu können.

1.3

Politisch Verfolgte, Dissidenten, Intellektuelle werden heute abgesehen von spektakulär oder sensationell aufgezogenen Einzelfällen kaum mehr als Flüchtlinge wahrgenommen. Sie können im Fall ihrer Verfolgung in ihren Herkunftsstaaten mit Öffentlichkeit rechnen, dank gut organisierten und informierten NGOs wie «amnesty» oder «human rights watch». Das Engagement dieser NGOs erleichtert in vielen Fällen die Asylanerkennung, auch, weil eine Nichtanerkennung in den meisten europäischen Staaten sehr genau begründet werden müsste, um medialer Kritik standhalten zu können.

1.4

Und die Roma?

Hier zeigt sich meiner Ansicht nach sehr deutlich, wie sich in einer rechtspopulistischen Partei rassistisches Gedankengut zur Normalität entwickelt. Die in der Eigenerkenntnis «scharfe» Propagandasprache wird zur eigentlichen Handlungsanweisung für den politischen Alltag. «Man» will «säubern», «aufräumen», durchgreifen» und dergleichen mehr.

Ein Beispiel, geliefert von der SVP:

«Wie heute den Medien zu entnehmen ist, sind gestern 63 Roma aus dem EU-Land Ungarn mit einem gemieteten Bus in Vallorbe (VD) eingetroffen und haben ein Asylgesuch gestellt. Die Gruppe wird nun in Vallorbe, Pfäffikon (ZH) und Basel untergebracht. Gemäss eigenen Aussagen, seien diese 63 lediglich die Vorhut, mehrere Hundert Roma würden nachkommen, je nachdem, wie die Schweiz sie aufnehmen werde. In den ungarischen Medien wird sogar von 20’000 Roma gesprochen, welche die Region verlassen möchten. Die zuständige Bundesrätin und das Bundesamt für Migration müssen nun unverzüglich handeln, bevor der Migrationssog aus Ungarn über die Asylschiene weiter anzieht. Es dürfen nicht die gleichen Fehler wie bei Eritrea gemacht werden, wo Fehlanreize das Schweizer Asylwesen lahmlegen und die humanitäre Tradition ad absurdum führen. (…) Wer sich aufgrund des politischen Systems in Ungarn nicht wohl fühlt, kann dies auf demokratischem Wege zu ändern versuchen oder im Ausland eine neue Arbeitsstelle und Heimat suchen. Das Schweizer Asylwesen ist nicht dafür da, EU-Bürger durchzufüttern, die mit dem politischen System in ihrer Heimat nicht einverstanden sind.»

C’est le ton, qui fait la musique: «gemieteter Bus», «Vorhut», «unverzüglich», «Fehlanreize», «lahmlegen», «humanitäre Tradition ad absurdum…», «durchfüttern»…

Der «Vorfall» weist auf ein Problem hin, welches zum Beispiel in Berlin sehr gut bekannt ist – ich erlebe es ganz nahe in meiner Wohnumgebung.

Dass die Romas, weil sie Romas sind, in Bulgarien, in Rumänien, in Ungarn und auch in Tschechien und der Slowakei an den Rand der sonstigen Gesellschaften gedrängt werden, ist eine Tatsache. Dass es innerhalb der Roma-Bevölkerung auch Strukturen gibt, welche Jungen und Mädchen in die Prostitution schicken oder junge Frauen zur Bettelei zwingen, welche ihre Kinder von Schulen zwangsweise fernhalten usw. – das ist so. 

Dass Romafamilien auch deswegen, weil sie ihrem elenden Leben entkommen wollen, unterwegs sind – ob nun in gemieteten Bussen oder in geleasten Wohnwagen – stört viele Europäerinnen und Europäer seit langer Zeit. 

Roma sind «uns» oft fremd. Nicht immer, aber oft. Sie sind aber im Gegensatz zu all den Vorurteilen, die man ihnen gegenüber pflegt, genau so heterogen, so unterschiedlich unter sich wie «wir» auch. 

In Berlin-Neukölln hat man, nachdem tausende Roma aus Rumänien und Bulgarien innert kürzester Zeit in die Stadt kamen, zahlreiche Hilfestellungen, vor allem auch solche, die zur Selbsthilfe führen, eingerichtet. Es wurden integrierte Klassen an Schulen verkleinert, Lehrkräfte, welche Rumänisch oder Bulgarisch sprechen, eingestellt. Dies wird behördlicherseits regelmässig mit Statusberichten verarbeitet.

Um die Grössenordnung klarzumachen: Es handelt sich um rund 30’000 Menschen aus Rumänien und Bulgarien, laut offiziellen Angaben meist Romas, die in den letzten Jahren auch dank der EU-Personenfreizügigkeit nach Berlin eingewandert sind. Allein im Stadtbezirk Neukölln waren es in anderthalb Jahren über 5500.

Fazit 1:

Flüchtlinge stellen immer Ärgernisse dar: Sie sind lebende Mahnmale für Ungerechtigkeit, für Hunger (der selbstredend auf massiver und gewollter Ungerechtigkeit beruht), für eine Weltfinanzordnung, welche zusammen mit der Macht der kartellartig organisierten «Weltwirtschaft» dem Abstraktum namens «Rendite» jährlich Millionen Menschenleben allein durch fehlende ökologische Mindestmassnahmen für Wasser, Erde, Nahrung «opfert».

Millionen Flüchtlinge sind auf der Flucht, weil der internationale Waffenhandel jeden Despoten, jede Terrorsöldnerei, Privatarmeen und Fanatiker jeglicher Couleur mit Waffen versorgt. Der internationale Waffenhandel wird vor allem durch Unternehmen aus den USA, aus Russland, aus Frankreich, Deutschland, Grossbritannien, aber zum Beispiel auch aus der Schweiz mit Waffen jeglichen Vernichtungspotentials versorgt. 

2. Wo sind die Flüchtlinge? 

Länder in Europa und im Nahen Osten mit über 10’000 Flüchtlingen:

Land Anzahl Flüchtlinge Anzahl Flüchtlinge
pro Mio. Einwohner
BIP pro Kopf in US$
Jordanien 619’376 98’314  5’174
Schweden 67’330 7’014 57’909
Niederlande 22’620 1’346 47’634
Norwegen 12’270 2’406 100’318

Weitere Länder in Europa mit über 1000 Flüchtlingen im Datenzeitraum Juli 2013 bis Juni 2014*:

Land Anzahl Flüchtlinge Anzahl Flüchtlinge 
pro Mio. Einwohner
BIP pro Kopf in US$
Zypern 619’376 98’314  5’174
Luxemburg 67’330 7’014 57’909 

* Von Österreich sind keine Daten vorhanden

Um diese statistischen Angaben gut lesbar zu machen, gruppiere ich erst einmal die Staaten nach ihrem Status im Pro-Kopf-BIP (Brutto-Inland-Produkt) von 2013

über 80’000$

50’000 bis 80’000$

30’000 bis 50’000$ 10’000 bis 30’000$ unter 10’000$
Luxemburg
Norwegen
Schweiz 
Dänemark
Schweden 
Niederlande
Belgien
Finnland
Deutschland
Frankreich
Grossbritannien
Italien 
Spanien
Zypern
Malta
Griechenland
Ungarn
Polen
Türkei 
Libanon
Rumänien
Bulgarien
Jordanien
Irak
Ägypten 

Nun gruppiere ich die Staaten nach ihren realen Flüchtlingsaufnahmezahlen (2013):

über 1’000’000 500’000 bis 1’000’000 100’000 bis 500’000 50’000 bis 100’000 20’000 bis 50’000 10’000 bis 20’000 unter 10’000
Libanon
Türkei 
Jordanien Irak
Deutschland
Ägypten 
Schweden
Frankreich 
Italien
Grossbritannien
Niederlande
Schweiz 
Belgien
Ungarn
Norwegen 
Griechenland
Bulgarien
Polen
Dänemark
Spanien
Finnland
Malta
Zypern
Rumänien
Luxemburg
Irland 

Die folgende Gruppierung stellt die Einwohnerzahl der Flüchtlingsaufnahmestaaten den aufgenommenen Menschen gegenüber. Das Verhältnis bezieht sich auf die Anzahl der Flüchtlinge pro 1 Million Einwohner des Aufnahmelandes:

über 50’000  über 5000  über 2000  über 1000  über 100  unter 100
Libanon
Jordanien
Türkei
Irak
Schweden
Malta 
Schweiz
Norwegen
Luxemburg 
Deutschland
Belgien
Zypern
Dänemark
Niederlande
Ungarn
Bulgarien 
Frankreich
Italien
Grossbritannien
Finnland
Irland
Polen 
Griechenland
Spanien
Rumänien 

Quellen: SZ, Printausgabe, 28.10.2014 (S. 6); Eurostat (Daten von Juli 2013 bis Juni 2014); UNHCR; IWF (Daten provisorisch, 2013)

2.1

Bezogen auf die Flüchtlinge, welche 2013 aus dem syrischen Bürgerkrieg geflohen sind, haben vier Staaten den grössten Teil von ihnen vorläufig aufgenommen: der Libanon, die Türkei, Jordanien und zu einem deutlich geringeren Teil wohl auch der Irak. 

Über diese rund 2,7 Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge wird sehr wenig berichtet. Sie treten medial kaum in Erscheinung. Genau so wenig, wie bezüglich ihrer Aufnahmebereitschaft die vier Länder medial im Fokus stehen würden. Die Türkei wird in Westeuropa und in den USA seit Wochen als angebliche stille Kumpanin des IS an den medialen Pranger gestellt. Die PKK-nahen kurdischen Organisationen schweigen über die wirklichen Leistungen der Türkei zu Gunsten Hunderttausender in die Türkei geflohener Jesiden und Kurden. Von den inzwischen weit über 1 Million Flüchtlingen aus Syrien, welche in der Türkei leben, versorgt werden, nicht ausgewiesen und nicht «weitergereicht» werden, schreibt und sendet niemand. Dass es sich dabei zu einem grossen Teil um kurdische Menschen handelt, wird in den westlichen Medien verschwiegen.

Dass junge Menschen irgendwann in irgend einen Krieg zu ziehen bereit sein könnten, interessiert uns erst, wenn so etwas wie IS unübersehbar Krieg führt.

Die Lage im Libanon ist derselben Medienlandschaft ebenfalls kaum eine Mitteilung wert. Dass sich dieses winzige Land immer wieder an die Weltöffentlichkeit wendet, berechtigterweise, weil es mit den Flüchtlingsströmen nicht mehr zu Rande kommen kann, interessiert allenfalls gewisse UNO-Gremien. Aber diese werden nicht gehört. Dasselbe gilt für Jordanien. Solange in den überfüllten Flüchtlingslagern im Libanon und in Jordanien keine Seuchen ausbrechen, keine unübersehbaren Gewalttaten passieren, interessiert «man» sich bei uns nicht über das Flüchtlingsschicksal, schon gar nicht um eines, welches jeweils ein Individuum erleiden muss.

Dass viele junge Menschen, gut ausgebildet im Fall von Syrien, irgendwann Schlüsse aus solcherlei Desinteresse an ihnen ziehen, beispielsweise in irgend einen Krieg zu ziehen bereit sein könnten, interessiert hier zu Lande erst, wenn so etwas wie IS unübersehbar Krieg führt. Es ist offensichtlich, dass die Missachtung individueller menschlicher Lebensbedürfnisse im Nahen Osten (erinnert sei an Palästina) Mitursache zahlreicher nicht enden wollender Bürgerkriege ist.

2.2

Die drei reichsten Länder Europas, Norwegen, Luxemburg und die Schweiz, nahmen 2013 im Vergleich mit allen anderen europäischen Ländern effektiv mehr Flüchtlinge auf, wenn man die Aufgenommenen mit der ständigen Bevölkerungszahl vergleicht.  

Mit zweitem Abstand am meisten Flüchtlinge nahm in dieser Vergleichsstruktur Schweden auf, gut dreimal mehr Flüchtlinge als die Schweiz, sowohl im angewandten Vergleich als auch in absoluten Zahlen. 

Die fünf reichsten Staaten in Europa, ihre Einwohnerzahl und die 2013 aufgenommenen Flüchtlinge:

Luxemburg 535’000 Einwohner 1070 Flüchtlinge
Norwegen 5’022’000 Einwohner 12’270 Flüchtlinge
Schweiz 8’100’000 Einwohner  20’555 Flüchtlinge
Dänemark 5’600’000 Einwohner 7645 Flüchtlinge
Schweden 9’520’000 Einwohner 67’330 Flüchtlinge
  • Luxemburg, Norwegen, die Schweiz und Dänemark, die vier reichsten Länder Europas, zählen zusammen 19’255’000 Einwohner.
  • Sie haben 2013 zusammen 41’540 Flüchtlinge aufgenommen.
  • Das fünftreichste Land Europas, Schweden, hat bei 9’520’000 Einwohnern im Jahr 2013 allein 67’330 Flüchtlinge aufgenommen. 
  • In den vier reichsten Ländern war 2013 jede 464. Person ein Flüchtling. Im fünftreichsten Land, Schweden, war es jede 141. Person. 
  • In der Schweiz, dem drittreichsten Land in Europa, war 2013 jede 394. Person ein Flüchtling. 

2.3

Die Schweiz und die Flüchtlinge: Tatsächlich nimmt das Land im Vergleich zu vielen anderen Staaten viele Menschen in das Asylermittlungsverfahren auf. Verglichen mit den reichsten Ländern Europas hat die Schweiz 2013 bedeutend weniger Flüchtlinge aufgenommen als Schweden, aber deutlich mehr als Norwegen, vor allem aber als Dänemark. 

Für Westeuropa insgesamt gilt: Es gibt genügend Platz für Bürgerkriegsflüchtlinge.

Vergleicht man die reiche Schweiz aber mit Ländern wie Libanon, Jordanien oder auch der Türkei, fällt die angebliche «Belastung» durch Asylbewerbende aber eigentlich sehr moderat aus. Vor allem gibt es aus menschenrechtlicher, aus humanitärer und auch aus asylrechtlicher Sicht keinerlei Grund, die SVP-Propaganda mitsamt ihren teilweise sehr hetzerisch aufgebauschten Übertreibungen gegen angeblichen Asylmissbrauch durchzulassen. (Diesbezüglich ist eine zunehmende Lähmung gegenüber, und leider auch eine sprachliche Anpassung an die SVP-Hetzsprache gegen «Asylanten» und «Ausländer» feststellbar.)

Für Westeuropa insgesamt gilt: Es gibt genügend Platz für Bürgerkriegsflüchtlinge. Man muss den Platz organisieren. Man muss die notwendigen finanziellen Mittel bereitstellen. Man muss eine Infrastruktur aufbauen, welche den Millionen syrischen Flüchtlingen die Aussicht auf so etwas wie ein Leben danach aufrecht erhält: Bildung, Ausbildung, Arbeit.

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