«Investitionen in Arbeitssicherheit lohnen sich»

Unternehmen profitieren ebenso von Investitionen in Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz wie Arbeitnehmer, findet der EU-Kommissar für Arbeit und Soziales, Lásló Andor. Er spricht sich zudem für fortschrittliche Arbeitsbedingungen auch in den weltweiten Zulieferketten aus.

Arbeitssicherheit bleibt ein Thema: Löscharbeiten nach einem Feuer in einem indischen Fabrikgebäude im Mai 2014. REUTERS/Stringer (Bild: STRINGER/INDIA)

Unternehmen profitieren ebenso von Investitionen in Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz wie Arbeitnehmer, findet der EU-Kommissar für Arbeit und Soziales, Lásló Andor. Er spricht sich zudem für fortschrittliche Arbeitsbedingungen auch in den weltweiten Zulieferketten aus.

Herr Andor, Sie haben an der Jahreskonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation ILO in Genf eben den neuen strategischen Rahmen der EU zu Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz vorgestellt mit den Zielen bis 2020. Nach Ihrer Einschätzung profitieren von Investitionen in Gesundheit und Sicherheit die Unternehmen ebenso wie die Arbeitnehmer. Inwiefern ist das der Fall?

Lásló Andor: Da gibt es viele Beispiele. Wenn Arbeitnehmer Unfälle oder Krankheiten etwa durch Schadstoffe erleiden, kann das ein Unternehmen teuer zu stehen kommen. Ohne klare Regeln besteht eine gesetzliche Unsicherheit bei solchen Vorfällen, die zu Kosten führen können, zusätzlich zu jenen, die durch Absentismus oder auch die Unterbrechung der Produktion verursacht werden. Es wurde in vielen Fällen bewiesen, dass Investitionen in Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz sich für die Unternehmen lohnen. Wie ein Bericht kürzlich zeigte, bringt jeder Euro, der in die entsprechende Prävention investiert wird, einen Gewinn von 1,29 bis 2,89 Euro. Die EU war in den vergangenen 15 Jahren ziemlich erfolgreich dabei, insbesondere tödliche Arbeitsfälle zu reduzieren. Jedes Jahr werden aber noch mehr als drei Millionen Menschen in den EU-Staaten Opfer von Arbeitsunfällen und über 4000 sterben dabei. Ein Viertel der Arbeitnehmer in der EU ist der Meinung, dass ihre Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz gefährdet ist, oder erklärte, dass die Arbeit bereits negative Auswirkungen auf ihre Gesundheit hatte.

Weshalb halten Sie eine Präventionsstrategie in der EU für besonders wichtig?

In andern Ländern wie den USA, die über keine allgemeine Strategie zum Schutz der Gesundheit von Arbeitnehmern verfügen, kann es Fortschritte geben, indem die Unternehmen entsprechende Programme durchführen. In der EU haben wir einen gemeinsamen Markt von 28 Mitgliedstaaten. Die Minimalnormen für die Sicherheit am Arbeitsplatz auf EU-Ebene helfen dabei auch zu gewährleisten, dass fortschrittliche Regeln in den einen Ländern nicht durch jene Staaten untergraben werden, wo diese Massnahmen weniger stark verankert sind. In den EU-Staaten haben wir das zusätzliche Problem einer alternden Gesellschaft und abnehmender Arbeitskraft. Jedes Jahr verlassen mehr Erwerbstätige den Arbeitsmarkt als neu eintreten. Die nationalen Rentensysteme geraten dadurch unter Druck. Wir müssen daher die Mitgliedstaaten ermutigen, Rentenreformen durchzuführen mit Anreizen, dass die Menschen länger arbeiten. Das ist nur möglich, wenn wir in die Gesundheit und Sicherheit, aber auch in das lebenslange Lernen investieren. Das wiederum trägt dazu bei, die Kosten für die öffentliche Gesundheitsversorgung zu senken. Es besteht also ein breiteres Interesse an einer Verbesserung von Gesundheits- und Sicherheitsnormen, das über die einzelnen Unternehmen hinausgeht.

Der Ungar László Andor ist seit 2010 EU-Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration.

Denken Sie, fortschrittlichere Arbeitsbedingungen verstärken die Wettbewerbsfähigkeit?

Ja, bessere Arbeitsbedingungen sollten nicht als Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit gesehen werden. Im Gegenteil. Es ist keine gute ökonomische Strategie, Geschäfte auf die Überausbeutung von Angestellten zu stützen. Dabei kann man immer von den Märkten verdrängt werden. Wenn die Arbeitskräfte erfahrener sind, kann man Produkte herstellen, die in der Wertschöpfungskette höher liegen, statt nur billig Produkte herzustellen, die anderswo entworfen wurden. Qualifiziertere Geschäftsbetriebe aber auch qualifiziertere Arbeitskräfte können wertvollere Produkte herstellen und eine höheres Einkommen generieren.

Zurzeit verhandeln die EU und die USA über ein Freihandelsabkommen. Laut einem Artikel der Monatszeitung «Le Monde Diplomatique» wollen die USA und Arbeitgeberorganisationen darin Bestimmungen haben, die es Konzernen ermöglichen, Staaten zu verklagen. Es geht dabei um den Investitionsschutz. Solche Klagen können auch Löhne und Arbeitsbedingungen betreffen. Ich nehme an, die EU will ihre Standards bei den Arbeitsrechten verteidigen.

Selbstverständlich.

Wie wollen Sie das machen?

Firmen, die einen besseren Marktanteil erwarten, müssen die Normen jener Märkte einhalten. Ein Freihandelsabkommen soll die Arbeitsbedingungen weder in den USA noch in der EU untergraben. In einer gemeinsamen Erklärung sprachen sich Gewerkschaften in der EU und in den USA kürzlich für ein Freihandelsabkommen aus, das noch fortschrittlichere Arbeitsbedingungen gewährleistet und als Modell für die übrige Welt dienen soll. Es ist also keine Überraschung, wenn solche Elemente, die Sie erwähnen, zu geharnischten Reaktionen führen können. Und die Verhandlungen werden offensichtlich sehr schwierig sein, wenn die potentiellen Vorteile eines Freihandelsabkommens nicht fair geteilt werden.

«Die Textil- oder Schuhindustrie in Portugal oder Italien haben in den vergangenen Jahrzehnten unter dem globalen Wettbewerb gelitten.»

Sind Sie optimistisch, dass dies geschieht?

Die Verhandlungen sollten nicht übereilt werden. Vor wenigen Monaten wurde ein Beratungskomittee für die Chefunterhändler der EU gebildet, das Vertreter von Unternehmen und Gewerkschaften umfasst. Es ist sehr wichtig, diese Stimmen anzuhören. Die Verhandlungen über eine Freihandelsabkommen müssen berücksichtigen, dass diese Initiative wegen der Eurokrise in den EU-Staaten zu einem sehr sensiblen Zeitpunkt kommt, in der die Wirtschaft und die Gesellschaften in der EU stark polarisiert wurden. Wir fürchten nicht den Wettbewerb in der Weltwirtschaft, aber für einige Länder ist sogar der Wechselkurs des Euro ein Problem. Und es bestehen wirtschaftliche Anpassungs- und Transformationsprozesse.

Welche Sektoren sind vor allem von der unterschiedlichen Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen EU-Staaten betroffen?

Arbeitsintensive Industrien, etwa die Textil- oder Schuhindustrie in Portugal oder Italien, haben in den vergangenen Jahrzehnten unter dem globalen Wettbewerb gelitten. Zusätzlich zu der Herausforderung durch die Globalisierung kam es in den letzten Jahren zu sehr ernsthaften Auswirkungen der Krise in der Eurozone und die Tatsache, dass die USA und Japan eine expansive makroökonomische Politik führen – die EU hat das Gegenteil getan – führte zu viel rascheren Restrukturierungen, als diese Länder im lokalen Markt auffangen konnten. Deshalb sollte die neue Initiative für ein transatlantisches Freihandelsabkommen sich darauf konzentrieren, neue Märkte für diese Regionen zu öffnen. 

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