Die Krise im benachbarten Irak wird zu einer immer grösseren Belastung für die türkische Wirtschaft. Exporte und Investitionen in Milliardenhöhe stehen auf dem Spiel.
Die Krise im Irak wird für die Türkei zunehmend zur wirtschaftlichen Belastung. Das Nachbarland ist für die türkischen Exporteure der zweitwichtigste Markt nach Deutschland. Vergangenes Jahr beliefen sich die türkischen Ausfuhren in den Irak auf zwölf Milliarden Dollar. In Deutschland setzte die Türkei Waren für 13,7 Milliarden Dollar ab.
Zwar hat die islamistische Terrororganisation ISIS in der kurdischen Autonomiezone des Nordirak, die unmittelbar an die Türkei grenzt, bisher nicht Fuss gefasst. Aber rund 85 Prozent der türkischen Exporte gehen in den Süden.
Kommt das Land nicht zur Ruhe, müsste die türkische Wirtschaft Ausfuhren von rund neun Milliarden Dollar abschreiben, fürchtet Ercüment Aksoy, der Vorsitzende des türkischen Aussenhandelsverbandes DEIK.
Kämpfe erschweren Transporte nach Jordanien und Saudi-Arabien
Vor allem die Wirtschaft Südostanatoliens ist eng mit dem Irak verzahnt. So exportiert der Zementhersteller Mardin Cimento fast ein Drittel seiner Produktion in den Irak. Allein aus der Region um Gaziantep, eine der anatolischen «Tigerstädte», die in den vergangenen Jahren einen Boom erlebten, wurden im vergangenen Jahr Waren im Wert von 1,5 Milliarden Dollar in den Irak geliefert.
Betroffen sind nicht nur die Ausfuhren. Durch die Kämpfe haben die türkischen Exporteure auch ihre Landverbindungen nach Jordanien, Saudi-Arabien und Kuweit verloren. Seit dem Beginn des Bürgerkriegs in Syrien fuhren die türkischen Fernlaster über den Irak. Diese Strecke ist nun ebenfalls blockiert. Die türkischen Spediteure müssen auf Fährverbindungen über Ägypten ausweichen.
Türkische Konzerne bauen in der Kurdenregion Strassen und Brücken, Flughäfen, Wasserleitungen, Wohnungen und Kraftwerke.
Aber es geht um mehr als Exporte: Rund 1500 türkische Firmen sind im Irak aktiv, vor allem in der Kurdenregion. Türkische Konzerne bauen hier Strassen und Brücken, Flughäfen, Wasserleitungen, Wohnungen und Kraftwerke.
Ende 2013 belief sich das Auftragsvolumen auf 19,5 Milliarden Dollar. Die grösste Sorge in türkischen Wirtschaftskreisen ist, dass auch die bisher – wie schon während des Irak-Krieges 2003 – relativ stabile kurdische Autonomiezone im Chaos versinken könnte. Rund 70 Prozent der dort seit dem Ende des Irak-Krieges getätigten ausländischen Investitionen gehen auf das Konto türkischer Unternehmen.
Energieversorgung in Gefahr
Doch nicht nur sie stehen auf dem Spiel. Es geht auch um die Energieversorgung der Türkei. Die grösste türkische Raffineriegesellschaft Tüpras bezieht 30 Prozent ihres Rohöls aus dem Irak. Zwar haben kurdische Peschmerga-Kämpfer in den vergangenen Wochen die Ölfördergebiete um das nordirakische Kirkuk unter ihre Kontrolle gebracht. Aber ob die Kurden die Region dauerhaft gegen die ISIS-Kämpfer verteidigen können, ist ungewiss.
Durch eine Zwillingspipeline wird Erdöl aus dem Nordirak zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan gepumpt. Im vergangenen Jahr waren es 12,7 Millionen Tonnen. Versiegt der Strom, bedeutet das herbe Einnahmeausfälle für die türkische Pipeline-Gesellschaft Botas.
Schon jetzt bekommt die Türkei die Folgen der Irak-Krise in Form höherer Energiekosten zu spüren. Am Montag erreichte der Rohölpreis ein neues Neunmonatshoch. Der Preisanstieg verteuert nicht nur die türkischen Energieimporte – Finanzminister Mehmet Simsek rechnet mit einem Anstieg auf 61 Milliarden Dollar, nach 56 Milliarden im Vorjahr. Der Ölpreisanstieg beschleunigt auch die türkische Inflation, die bereits im Mai mit 9,7 Prozent den höchsten Stand seit zwei Jahren erreichte.