Französische Truppen haben am Montag die symbolträchtige malische Wüstenstadt Timbuktu eingenommen. Andersorts beteiligen sich neuerdings die Tuareg an der Vertreibung der Islamisten. Das dürfte die politische Befriedung zusätzlich erschweren.
Bis zum Schluss übten die Islamisten ihre Schreckensherrschaft aus: Ein Einwohner von Timbuktu wurde mit Benzin übergossen und angezündet, weil er es gewagt hatte, «vive la France» zu rufen. Im Kulturzentrum Ahmed Baba steckten die Dschihadisten ein Archivgebäude mit zehntausenden von alten islamischen Handschriften in Brand. Dann machten sie sich aus dem Staub der mythischen Oasenstadt.
Als die erste franko-malische Vorhut am Montag im Stadtzentrum auftauchte, waren die zum Al Kaida-Ableger Aqmi gehörigen Gotteskrieger verschwunden. «Wir stossen auf keinen», meinte ein malischer Offizier per Telefon. Die Franzosen stoppten ihre Offensive beim Flughafen, nicht zuletzt, um den malischen Soldaten den Vortritt zu lassen.
Auf die gleiche Weise hatten die Soldaten der französischen Operation «Serval» am Wochenende schon die Stadt Gao eingenommen. Nachreisenden Reportern erzählte die Bevölkerung, wie sie unter der Scharia, dem islamischen Gesetz, gelitten hätten. Nicht einmal das Rauchen sei erlaubt gewesen. Mit Frauen habe man auf der Strasse nicht sprechen dürfen – während sich die Islamisten Sexsklavinnen geholt hätten.
Nach Gao und Timbuktu könnte auch die Stadt Kidal gefallen sein – und zwar nicht durch die Hand der Franzosen, sondern der Tuareg. Deren säkulare Befreiungsbewegung MNLA liess am Montag verlauten, sie habe Kidal erobert. «Wir haben die Kontrolle, sie sind abgezogen», meinte ein MNLA-Sprecher in bezug auf die verfeindeten Tuareg-Islamisten von Ansar Dine, die mit den algerischen und mauretanischen Gotteskriegern 2012 den ganzen Nordmali eingenommen hatten.
Laut den Tuareg-Sprecher haben sich der charismatische Chef von Ansar, Syad Ag Ghali, sowie der algerischer Aqmi-Vorsteher Abou Zeïd in die nahen Berge des Adrar des Ifoghas zurückgezogen. Dort verfügen sie über Waffenverstecke und Nachschublager.
Mit Kidal hätten die Islamisten die letzte bedeutende Stadt im Norden Malis verloren, wenn die Meldungen zutreffen. Der französische Aussenminister Laurent Fabius erklärte, die Dschihadisten verfolgten eine «Strategie des Vermeidens» und zögen sich in den Wüstennorden zurück. «Wir passen aber in höchstem Masse auf, dass unser Einsatz dort nicht versandet», fügte Fabius an. «Damit ziehen wir die Lehren aus einer Reihe von Konflikten.» Das war wohl eine Anspielung auf den Krieg in Afghanistan, wo die Taliban nach den ersten westlichen Angriffen ebenfalls aus den Städten verschwunden waren.
Zu Rolle der Tuareg äusserte sich Fabius nicht. Menschenrechtsorganisationen melden seit Tagen Übergriffe malischer Soldaten gegen das Berbervolk und auch gegen arabischstämmige Bewohner des Landesnordens. Human Rights Watch forderte die malischen Behörden am Montag auf, Sofortmassnahmen zum Schutz ethnischer Minderheiten zu ergreifen.
Das ungefragte Eingreifen der MNLA dürfte eine politische Lösung des Konfliktes noch komplizieren. Die Eroberung der Hälfte Malis durch die Islamisten fand nämlich auch vor dem Hintergrund ethnischer Spannungen statt. Die schwarze Bevölkerungsmehrheit Malis hatte die Autonomieansprüche der Tuareg im Landesnorden nie anerkannt. Und dass Teile der Nomaden zeitweise mit den Dschihadisten geliebäugelt hatten, macht sie in den Augen vieler Malier auch nicht beliebter. Die Franzosen wissen hingegen, dass eine politische Befriedung des Landesnordens ohne den Einbezug der Tuareg nicht möglich sein wird. Hier liegt der Keim neuer Konflikte, selbst wenn es gelingen sollte, die Islamisten ganz aus Mali zu vertreiben.
Dies hiesse zudem nur, dass sich die Terroristen über die – real gar nicht existierende – Landesgrenze in die Nachbarländer Niger oder Algerien absetzen würden. Vor allem Algier verfolgt die Vorgänge in der malischen Sahara mit sehr gemischten Gefühlen – und dies nicht erst seit der spektakulären Geiselnahme auf dem Gasfeld In Amenas. Das Gebirge der Ifoghas grenzt direkt an das algerische Staatsgebiet; zudem handelt es sich bei den wichtigsten Islamisten um frühere GIA-Kämpfer des algerischen Bürgerkriesgs. Sie hatten sich vor der algerischen Armee und nach jahrelangen Verfolgungskämpfen bereits einmal über die Grenze in den Norden Malis gerettet. Dass sich Franzosen und Algerier alles andere als gut verstehen, macht die internationale Kooperation in dem unwegsamen Sahara-Gebiet sehr schwierig. Die wenigen, aber fanatisierten und gut ausgerüsteten Dschihadisten können davon nur profitieren.
In Mali sind nach neustem Stand 2900 französische Soldaten im Einsatz. Neben der schlecht organisierten malische Armee treffen hinter der Front derzeit hunderte von afrikanischen Soldaten des regionalen Ecowas-Kontigentes ein. Die EU beschloss am Montag eine Finanzhilfe von 50 Millionen Euro für diese vom Uno-Sicherheitsrat gebilligte Truppe.
Der militärische Fall von Timbuktu stellt zweifellos eine Wende der seit zwei Wochen dauernden Militäroperation «Serval» zur Befreiung Malis dar. Trotzdem ist die Gefahr keineswegs gebannt. Was droht, ist ein neuer Schauplatz des weltweiten Anti-Terror-Kampfes. Im benachbarten Niger bauen französische Militärs in aller Diskretion Schutzmassnahmen um Uranminen des Atomkonzerns Areva auf. Sie wissen, dass der Anti-Terror-Kampf viel länger dauern und viel mühsamer sein wird als die militärische Blitzoffensive.
Frankreichs Präsident François Hollande steht aber auch politisch in der Pflicht. Er wird die französischen Truppen nicht einfach abziehen können. In der malischen Hauptstadt Bamako herrscht ein politisches Chaos, im Norden Malis bleiben die Tuareg marginalisiert. Beides hatte die Invasion der Islamisten aus Libyen, Algerien und Mauretanien erst ermöglicht. Frankreich und der ganze Westen schulden den Maliern Demokratisierungs- und Wirtschaftshilfe. Und zwar ebenso schnell wie möglich: Sonst wird die Gewalt des Militäreinsatzes den bettelarmen Sahelstaat nur noch weiter destabilisieren. Der militärische Erfolg bedeutet nicht das Ende der westlichen Hilfe, sondern den Beginn.