«Jede Minute stirbt auf der Welt ein Kind an Malaria»

Es gibt Erfolge in der Bekämpfung von Malaria. Aber noch immer sterben Jahr für Jahr 700’000 Menschen an der Infektionskrankheit, sagt der Epidemiologieprofessor Christian Lengeler im Gespräch. Am Samstag wird die Öffentlichkeit mit dem World Malaria Day daran erinnert, wie wichtig das Engagement auf diesem Gebiet noch immer ist.

«Ich habe an meinem eigenen Leib erfahren müssen, wie schlimm die Krankheit sein kann»: Christian Lengeler (55) ist Professor für Epidemiologie an der Universität Basel und Leiter der Abteilung Malariabekämpfung am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut in Basel. Er gilt als einer der führenden Spezialisten der Malariabekämpfung weltweit. (Bild: Dominique Spirgi)

Es gibt Erfolge in der Bekämpfung von Malaria. Aber noch immer sterben Jahr für Jahr 700’000 Menschen an der Infektionskrankheit, wie der Epidemiologieprofessor Christian Lengeler und Malariaspezialist am Schweizerische Tropen- und Public Health-Institut im Gespräch mit der TagesWoche sagt.

Herr Lengeler, am Samstag ist World Malaria Day. Was ist Sinn und Zweck dieses Aktionstages?

Der Tag soll daran erinnern, dass Malaria noch immer ein grosses Problem darstellt. Wir wollen darüber informieren, dass international noch immer enorme Anstrengungen im Gange und nötig sind, um das Problem in den Griff zu bekommen. Wir wollen ein politisches Zeichen setzen und das Interesse am Thema wecken.

Wie gravierend ist das Problem Malaria denn?

Ich will ein paar Zahlen nennen: Vor 50 Jahren kostete Malaria jährlich 3 Millionen Menschen das Leben. Mit den Kontrollmassnahmen in vielen Teilen der Welt ging diese Zahl auf 1 bis 1,5 Millionen Tote pro Jahr zurück. Vor 15 Jahren wurden die Massnahmen verstärkt, so dass wir heute etwa bei 700’000 Toten pro Jahr liegen, obwohl noch immer 200 Millionen Menschen jedes Jahr an Malaria erkranken. Im Vergleich dazu: An Ebola starben bisher 10’000 Menschen, das entspricht der Anzahl Menschen, die während fünf Tagen an Malaria sterben. Oder eine andere Zahl: Jede Minute stirbt auf der Welt ein Kind an Malaria.

Ebola hat die Menschen aufgerüttelt, hat grosse Ängste verbreitet. Warum ist das bei Malaria nicht so?

Es ist eine Krankheit, die offensichtlich weniger spektakulär ist, die es seit Menschengedenken gibt. Jedem, der in die Tropen reist, ist indes wohl bewusst, dass Malaria ein Problem ist. Aber sonst bedroht uns die Krankheit in der Schweiz nicht mehr direkt – vor 150 Jahren gab es Malaria noch bei uns.

«Vor 150 Jahren gab es Malaria auch bei uns noch.»

Kann es auch daran liegen, dass Malaria eine heilbare Krankheit ist?

Es ist heilbar. Aber ich habe an meinem eigenen Leib erfahren müssen, wie schlimm die Krankheit sein kann. Ich landete nach dem Ausbruch der Krankheit beinahe im Koma. Innerhalb von drei Stunden wurde ich so krank, dass ich nicht mehr gehen und denken konnte. Es kann extrem schnell gehen und bedrohlich sein. Aber grundsätzlich haben Sie recht: Malaria ist relativ gut therapierbar, die Medikamente sind wirksam, anders als bei Ebola.

Spielt auch eine Rolle, dass Malaria ein Drittwelt-Problem ist und dadurch weit weg liegt?

Das ist so. Auch Ebola wurde erst richtig zum Schlagzeilen-Thema, als Fälle in Europa und Nordamerika auftauchten.

Welches sind die Folgen von Malaria für die Gesellschaft in der Dritten Welt?

Die Menschen sterben, und das hemmt letztlich auch die wirtschaftliche Entwicklung in den betroffenen Gebieten und Ländern. Das hat verheerende Folgen auf den Tourismus, auf wirtschaftliche Investitionen und dergleichen mehr. Schätzungen gehen davon aus, dass Malaria rund 1,3 Prozent des Bruttosozialprodukts kostet, das sind enorme Summen.

Sie haben Erfolge bei der Malaria-Bekämpfung erwähnt, verschwunden ist die Krankheit aber nicht. Tut man zu wenig?

Man könnte und sollte immer mehr tun. Malaria hat den Vorteil, dass die Krankheit eigentlich mit relativ einfachen Mitteln effektiv zu bekämpfen ist. Wenn Sie unter einem Moskitonetz schlafen, sind Sie bereits relativ gut geschützt. Wenn Sie weitere Vorsichtsmassnahmen ergreifen, dann erhöht sich der Schutz noch markant weiter. Das ist nur theoretisch so, weil sich diese einfachen Massnahmen noch nicht genügend durchgesetzt haben.

«Schätzungen gehen davon aus, dass Malaria rund 1,3 Prozent des Bruttosozialprodukts kostet, das sind enorme Summen.»

Das ist gewissermassen ein Paradox: Es sind einfache Massnahmen, die sich nicht genügend durchsetzen lassen.

Aber wir haben Erfolg. Ich kann hier den berühmten Vergleich des halbvollen oder halbleeren Glases erwähnen. Wir haben seit 2000 viel erreicht. Damals schlief kein einziges Kind unter einem Moskitonetz, jetzt sind es in Afrika durchschnittlich bereits 50 Prozent. Das Glas ist also halb gefüllt. Jetzt müssen wir das Glas noch ganz füllen.

Wie sieht es bei den Medikamenten zur Prophylaxe und Behandlung der Krankheit aus?

Auf der Medikamentenseite haben wir das Problem gut im Griff. Wir haben mehrere neue Medikamente in der Pipeline, deren Entwicklung weit fortgeschritten ist. Das heisst, dass sich Medikamente mit Resistenzproblemen relativ rasch ersetzen lassen. Es gibt sehr billige, sichere und extrem effektive Medikamente. Wir stehen auch bei Impfstoffen gut da. Wenn alles gut geht, wird dieses Jahr oder Anfang des nächsten Jahres ein erster Impfstoff auf den Markt kommen. Es ist zwar kein perfekter Impfstoff, er wirkt nur zum Teil, aber das Risiko, an Malaria zu erkranken, kann um 50 Prozent gesenkt werden. Das hat mengenmässig denselben Effekt wie die Moskitonetze.

«Im Jahr 2000 schlief kein einziges Kind unter einem Moskitonetz, jetzt sind es in Afrika durchschnittlich bereits 50 Prozent.»

Einen Impfstoff gegen Malaria gab es bislang noch nicht. Ist das ein Durchbruch?

Ja, man kann es so bezeichnen.

Und wie sieht es mit der Bekämpfung des Erregers oder des Trägers aus?

Die Anopheles-Mücke bekommen wir nicht weg. Die gibt es auch in Basel noch, nur dass sie heute keine Malaria mehr überträgt wie noch vor 150 Jahren. Wir haben den Vorteil, dass es in Basel und in der Schweiz keine infizierten Menschen gibt, sodass keine Übertragungen mehr stattfinden können. Das möchten wir auch in den epidemischen Ländern erreichen, nämlich dass die Mücken den Erreger nicht mehr weitertragen können und damit der Zyklus gebrochen werden kann. Der Zyklus kann bereits wesentlich abgeschwächt werden, wenn die Anzahl der infizierten Menschen verringert werden kann. Hier sehen wir bereits Erfolge, das macht uns auch zuversichtlich.



Die Anopheles-Mücke überträgt den Malaria-Erreger.

Die Anopheles-Mücke überträgt den Malaria-Erreger. (Bild: James Gathany, Centers for Disease Control and Prevention, Atlanta USA)

Wie lange wird es dauern, bis das Malariaproblem ganz verschwindet?

Wir dürfen zuversichtlich sein, dass in zehn Jahren fast keine Menschen mehr an Malaria sterben werden, auch wenn sie nach wie vor daran erkranken. Wie lange es dauern wird, bis die Übertragung verschwinden wird, lässt sich nicht so genau sagen. Ich werde es wohl nicht mehr erleben, aber meine Kinder. In 30 bis 50 Jahren vielleicht, wenn es so weiterläuft wie jetzt.

Und damit es so weiterläuft, dafür sind solche Aktionen wie der World Malaria Day nötig?

Ja genau. Wenn wir den Druck verringern, dann werden die Zahlen im negativen Sinne sogleich wieder steigen. Eine der grössten Herausforderungen ist, dass es viele Kinder gibt, die nicht mehr an Malaria erkranken und damit auch keine Immunität entwickeln. Wenn wir diese Kinder nicht mehr schützen, werden die Erkrankungen explosionsartig ansteigen. Solche Erfahrungen mussten wir leider schon in Äthiopien und Madagaskar machen.

Es besteht also die Gefahr, dass Sie, beziehungsweise die Malariaprogramme zum Opfer Ihres Erfolgs werden könnten?

Das ist genau unser Problem. Wenn das Problem aus dem Bewusstsein der Menschen verschwindet, kann dies katastrophale Folgen haben. Deshalb müssen wir immer wieder den Finger draufhalten.

Das war wohl auch der Sinn der Parlamentarierreise, die die Swiss Malaria Group organisiert hat. Was erwarten Sie von den Parlamentariern?

Zwei Sachen. Einerseits ist es bei parlamentarischen Entscheiden, die im Zusammenhang mit Malaria und anderen Tropenkrankheiten relevant sind, von Nutzen, wenn es eine motivierte Kerngruppe gibt, die sich für die Sache engagiert. Für uns ist es auch wichtig, zeigen zu können, dass wir grosse Erfolge feiern und enorme Fortschritte erzielen können. Wir waren eine Woche in Tansania. Dort ist die Kindersterblichkeit in den letzten 15 Jahren um 68 Prozent zurückgegangen. In absoluten Zahlen sind das 120’000 Kinder jedes Jahr, die nicht sterben müssen. Und die Hälfte dieses Effektes geht nach unserer Schätzung auf Malariaprogramme zurück.



Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier in Tansania.

Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier in Tansania. (Bild: Swiss Malaria Group)

Die Schweiz, die ja nie eine Kolonialmacht war, hat eine Vorreiterrolle in der Malariabekämpfung. Wie kommt es dazu?

In der Schweiz befinden sich viele Institutionen, die in der Malariabekämpfung aktiv und erfolgreich sind. Das beginnt mit den international relevanten Institutionen und Organisationen, die aus irgendwelchen Gründen in der Schweiz ihren Sitz haben wie die Weltgesundheitsorganisation WHO, die Roll Back Malaria Partnership, die Medicines for Malaria Venture, die neue Medikamente entwickelt, und die Drugs for Neglected Diseases Initiative. Für uns sind das sehr wertvolle Partner. Dazu kommt die Industrie mit Syngenta, der Nummer zwei in der Bekämpfung des Malariaträgers, und Novartis, der Nummer eins bei den Malaria-Medikamenten. Und nicht zuletzt das Schweizerische Tropen- und Public Health-Institut, das zu den weltweit führenden Institutionen auf diesem Gebiet gehört. Bei uns haben rund 200 Personen direkt und indirekt mit Malaria zu tun. Dazu kommen diverse Schweizer Organisationen und die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, DEZA, die im Westen zu den wenigen staatlichen Stellen gehört, die sich intensiv mit der Malariabekämpfung befasst. Aber letztlich ist vieles Zufall. Dass das Swiss TPH in der Schweiz angesiedelt ist, geht darauf zurück, dass der begüterte Forscher und Biologe Rudolf Geigy, ein grosses Interesse an Parasiten und Zoologie hatte. Ohne ihn gäbe es uns nicht.

Viele der genannten Organisationen haben sich in der Swiss Malaria Group zusammengeschlossen. Mit welchem Ziel?

Bis jetzt war es eine lose Allianz der Organisationen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen. Diese Woche wird ein Verein gegründet, womit die Zusammenarbeit auch eine institutionelle Basis bekommt in der Hoffnung, dass sich die Zusammenarbeit intensivieren lässt. Als Verein können wir auch gemeinsam Geld sammeln.

World Malaria Day in Basel
Die Swiss Malaria Group organisiert im Naturhistorischen Museum Basel am Samstag, 25. April, im Rahmen der Sonderausstellung «Parasiten Life Undercover» im Naturhistorischen Museum Basel einen besonderen Anlass zum Welt Malaria Tag. Der Tag bietet mit den anwesenden hochrangigen Vertreterinnen und Vertretern der Swiss Malaria Group, mit eidgenössischen Parlamentarierinnen und Parlamentariern sowie der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) die Gelegenheit, in einen Dialog über das erfolgreiche schweizerische Engagement im Kampf gegen Malaria zu treten (zurück zum Textanfang).

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