Als Kind war sie als hoffnungsloser Fall abgestempelt. Doch 1995 verlieh die Uni Basel Gertrud Bärtschi die Ehrendoktorwürde, und nun berichtet ein neues Buch über ihr Engagement in Peru.
Ein Leben für Peru: Gertrud Bärtschi erinnert sich an Freunde und Bekannte in Südamerika. (Bild: Alexander Preobrajenski)
«Vater Säufer, Mutter Dirne» steht auf dem Heimatschein. Gertrud Bärtschi wuchs als Findelkind auf einem Bauernhof im Kanton Luzern und in Heimen auf. Bei ihrem ersten Ziehvater, einem alleinstehenden Bauern und seiner Haushälterin, musste sie als Kind schwer arbeiten. Es war keine leichte Kindheit, Liebe erfuhr sie kaum. Dennoch dachte sie immer an andere, denen es noch schlechter ging. «Ich habe auf dem Bauernhof oft Äpfel unter den Bäumen eingesammelt und den Internierten gegeben, die durch die Strasse gingen», erinnert sie sich. Das war zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Gertrud Bärtschi ist heute 80 Jahre alt. Ihre Grosszügigkeit und ihre Veranlagung, mit denjenigen, die weniger haben als sie, zu teilen, haben sich mehr denn je gezeigt. Das Wort «helfen» verwendet sie nicht gerne, weil es einen unterordnenden Beigeschmack habe.
Lateinamerika
Mit 18 Jahren verdiente sich Gertrud Bärtschi im Büro einer Fabrik das Geld für die Pflegefachschule. Nach ihrer Ausbildung ging sie für zwei Jahre als Krankenschwester nach Guadeloupe – ihr erster Kontakt zu Lateinamerika. «Ich kannte Schwestern aus dem Wallis, die schon in Guadeloupe gearbeitet hatten. Von ihnen bekam ich die Adresse eines Arztes, der dort tätig war.» Im Wallis kannte Bärtschi auch eine Organisation, die sich in Peru engagierte. «Dort gibt es ja auch Berge, und die dachten, die haben wahrscheinlich zum Teil ähnliche Probleme», sagt Bärtschi. Eines der ersten Hilfsprojekte, an welchem sich Gertrud Bärtschi beteiligte, war der Bau eines Krankenhauses.
Erstes eigenes Hilfsprojekt
Später kam sie zurück in die Schweiz, um die Hebammenschule in Lausanne zu besuchen. Offensichtlich ging ihr Peru in dieser Zeit nicht aus dem Kopf und sie reiste nach der Ausbildung wieder – allerdings privat – in den Andenstaat. In Lima begann sie zusammen mit einer Peruanerin, die selbst an einer Behinderung leidet, ein Behindertenzentrum aufzuziehen. Bärtschi kehrte in die Schweiz zurück, um Geld zu verdienen. Sie hatte von Peru aus eine Stelle in Basel auf der Notfallstation des Kantonsspitals gefunden. «Die Idee war und ist es, dass Landsleute die Projekte selbstständig führen und nicht Ausländer», erklärt Bärtschi. Einer der Gründe sei auch der kulturelle Unterschied – Peruaner wüssten am besten, wie sie Projekte in Peru zu gestalten hätten.
Die Hälfte des Lohnes für Peru
In der Zeit, als sie in Basel arbeitete, teilte Gertrud Bärtschi ihren Lohn in zwei Teile, einer floss nach Peru in ihre Hilfsprojekte. «Allerdings war der ziemlich schnell ausgeschöpft. So kam es, dass mein Freundeskreis einsprang.» Der Kreis der sich an Bärtschis Hilfsprojekten für Peru Beteiligenden wurde stetig grösser. Auch die Projekte in Peru mehrten sich – inzwischen sind es acht. Einmal im Jahr reist Gertrud Bärtschi selbst nach Peru, um vor Ort nach dem Rechten zu sehen. «Während des Jahres stehe ich in E-Mail-Kontakt mit den Projektangehörigen.» Dieses Jahr war Bärtschi von Januar bis Februar dort – selbstverständlich auf eigene Kosten. Weil die Ortschaften verkehrstechnisch nicht einfach liegen, beispielsweise im Gebirge, gestaltet sich die Anreise etwas beschwerlich.
In Peru war die Sicherheit während des zehnjährigen Bürgerkrieges ein grosses Problem. Gertrud Bärtschi schränkt allerdings ein, dass ihre Projekte nie wirklich um ihr Fortbestehen fürchten mussten. Sie selbst hatte jedoch eine Schrecksekunde: «Als ich unterwegs zu einem meiner Projekte war, wurde ich vom Militär angehalten. Es bestünde Haftbefehl.» Dann hätte sich einer der Projektleiter hingestellt und habe gefragt: «Wisst ihr, wen ihr da vor euch habt? Die Frau hat unsere Wasserversorgung gelegt.» Danach sei sie nie mehr behelligt worden.
Militärische Unruhen und Naturkatastrophen konnten Bärtschis Projekte nicht stoppen. Damit auch weiterhin jemand ein Auge auf die inzwischen insgesamt acht Hilfsprojekte in Peru hat, wenn Gertrud Bärtschi einmal nicht mehr sein sollte, wurde 2009 der Verein «Solidarität Schweiz–Peru» gegründet. Sämtliche Vorstandsmitglieder arbeiten – wie Gertrud Bärtschi – ehrenamtlich. «Damit das ganze Geld auch wirklich dorthin kommt, wo es benötigt wird.»
Die Vernissage des Buches «Gertrud Bärtschi – Ein Leben für die Ärmsten in Peru» findet am Freitag, den 20. April, um 17 Uhr im Zwinglihaus, Gundeldingerstrasse 370, statt.
Der Verein «Solidarität Schweiz –Peru» berichtet über seine Tätigkeit unter www.solidaritaet-schweiz-peru.ch.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 20.04.12