Jetzt fliegen sie wieder

Der 23-jährige Slowene Peter Prevc hat bereits die Vierschanzentournee gewonnen und gilt im österreichischen Bad Mitterndorf als Favorit – es sei denn, Simon Ammann überwindet seine Flugangst und springt ganz vorne mit.

Simon Ammann from Switzerland soars through the air during a qualification jump for the skiflying World Cup in Bad Mitterndorf, on Friday, Jan. 8, 2010. (AP Photo/Andreas Schaad)

(Bild: Andreas Schaad)

Der 23-jährige Slowene Peter Prevc hat bereits die Vierschanzentournee gewonnen und gilt im österreichischen Bad Mitterndorf als Favorit – es sei denn, Simon Ammann überwindet seine Flugangst und springt ganz vorne mit.

Irgendwie kommt einem der Skisport in diesem Winter ziemlich österreichisch vor. Die Ski-Damen fuhren erst in Zauchensee und dann in Flachau, wo sie am 16. und 17. Januar ein weiteres Wochenende anhängen. Auf die Ski-Herren wiederum warten die Hahnenkammrennen in Kitzbühel (22. bis 24.1.) und der Slalom-Klassiker von Schladming (26.1.), die gemeinsam 150’000 Fans anlocken.

Und dann ist da ja auch noch die Skiflug-Weltmeisterschaft am Kulm in Bad Mitterndorf (14. bis 17.1.), die am Donnerstag von Conchita Wurst eröffnet wird, der berühmten Songcontest-Siegerin (2014), die unweit der Schanze aufgewachsen ist.

Die Flugshow in der Steiermark ist eigentlich das wahre Highlight dieser an Höhepunkten so reichen Januartage. Höher einzuschätzen sogar noch als das Streif-Spektakel von Kitzbühel, das gemeinhin immer als das Premium-Produkt im österreichischen Sport-Kalender gehandelt wird. «Aber Kitzbühel gibt es jedes Jahr, eine Skiflug-WM am Kulm nur alle zehn Jahre. Das wird der Wahnsinn», sagt Andreas Goldberger.

Programm

Freitag: Einzelbewerb, 1. und
2. Wertungsdurchgang (13 Uhr)
Samstag: Einzelbewerb 3. und
4. Wertungsdurchgang (14 Uhr)
Sonntag: Teambewerb
(14.15 Uhr)

Wer könnte das besser einschätzen als der Langzeitliebling der österreichischen Sportnation, der mit 43 Jahren die Menschen hierzulande noch genauso verzückt wie seinerzeit als junger Skispringer mit Milchbubigesicht und Engelshaar. Andreas Goldberger war 1996 am Kulm in Bad Mitterndorf zur WM-Goldmedaille geflogen. Zu einer Zeit, als Hermann Maier noch als Maurer werkelte, die Österreicher im Skizirkus noch nicht die Vormachtstellung innehatten und Skispringer «Goldi» der einzig echte rot-weiss-rote Wintersport-Hero war.

«Der Kulm war das erste richtig grosse Wintersportevent in Österreich», erinnert sich Goldberger, der seinerzeit mit dem Hubschrauber zur Dopingkontrolle ausgeflogen werden musste, weil 100’000 Besucher für ein riesiges Chaos sorgten.

Österreicher haben Lufthoheit verloren

Zumindest fast so viele dürften es auch diesmal werden. Es ist praktisch unmöglich, ein freies Hotelbett in der Region zu finden, von Tickets für das Schanzenspektakel ganz zu schweigen. Da stört es nicht weiter, dass die österreichischen Springer zuletzt ihre Lufthoheit verloren haben und mit Gregor Schlierenzauer der Superstar und Publikumsliebling fehlt. Der erfolgreichste Springer der Weltcupgeschichte (53 Siege) hat nach den Enttäuschungen und Ernüchterungen bei der Vierschanzentournee einen Abflug gemacht und die Saison nun vorzeitig, aber endgültig für beendet erklärt.



ABD0117_20160106 - BISCHOFSHOFEN - ÷STERREICH: Peter Prevc (SLO/1.Platz) am Podium der 64. Vierschanzentournee am Mittwoch, 06. J‰nner 2016, auf der Paul-Ausserleitner-Schanze in Bischofshofen. - FOTO: APA/BARBARA GINDL

Der neue Überflieger heisst Peter Prevc aus Slowenien und fliegt diese Saison allen um die Ohren. (Bild: BARBARA GINDL)

Doch in Bad Mitterndorf rechnen sie dieser Tage ohnehin mit einer Invasion von Anhängern aus dem benachbarten Slowenien. Seit Peter Prevc allen um die Ohren springt, fliegt das Land auf den neuen Wintersporthelden. Das Finale der Vierschanzentournee in Bischofshofen lieferte schon einmal einen Vorgeschmack auf das, was am Wochenende in Bad Mitterndorf zu erwarten ist. 7000 slowenische Fans hatten da lautstark den Höhenflieger Prevc hochleben lassen, der in diesem Winter in ganz anderen Sphären schwebt.

Die Daten, die der Flugschreiber des 23-Jährigen auswirft, sind beeindruckend und waren in dieser Form noch bei keinem anderen Springer zu sehen: Tourneesieger Prevc hat sieben der letzten acht Weltcupspringen gewonnen und landete in diesem Winter nur einmal nicht auf dem Siegertreppchen. Im Gesamtweltcup ist der stille Champion im Anflug auf einen neuen Punkterekord. Den hat bislang noch Gregor Schlierenzauer (2083 Punkte in der Saison 2008/2009) inne.

Und so dürften an der Skiflug-Weltmeisterschaft die grössten Gegner des slowenischen Dominators weder der Rückenwind sein noch der ewige Zweite dieses Winters, der Deutsche Severin Freund. Prevc kann sich auf dem Weg zur nächsten Krone eigentlich nur selbst stoppen: Dann nämlich, wenn er in seiner aktuellen Überform die riesige Flugschanze bis zum letzten Zentimeter ausreizt. Der begnadete Skiflieger hat diese bittere Erfahrung schon einmal machen müssen: 2012 war Prevc in Oberstdorf dermassen weit gesegelt, dass er die Landung nicht mehr stehen konnte und sich an der Schulter schwer verletzte.

Respekt vor der Landung

Die Angst, dass es zu weit gehen könnte, der Respekt vor dem Landemanöver, die Furcht vor einem neuerlichen Crash – das kennt auch Simon Ammann nur zur Genüge. Diese Gefühle sind sein ständiger Flugbegleiter, seit er vor einem Jahr beim Bewerb in Bischofshofen schwer gestürzt war und sich Gesichtsverletzungen und eine Gehirnerschütterung zugezogen hatte. Jeder Sprung kostet ihn Überwindung, und je grösser die Schanze und je turbulenter die Bedingungen, umso mehr stösst er an die Grenzen seiner Belastbarkeit.

Insofern war das Tournee-Finale in Bischofshofen für den 34-Jährigen sogar die perfekte Einstimmung für die Rückkehr auf die Flugschanze. Und der letzte Beweis, dass Ammann mit seinen Ängsten umgehen kann. Man hat den Routinier jedenfalls selten so erleichtert jubeln sehen wie nach dem Springen in Bischofshofen, wo er ein Jahr nach dem Horrorsturz die Mutprobe mit Bravour bestand und sich die Haltungsnote 20,0 verdiente.

Jetzt stellt sich der Olympiasieger der nächsten Herausforderung. Einer ungleich grösseren wohlgemerkt. Denn auf dem mächtigen Kulm-Bakken geht es gleich um 100 Meter weiter als auf der Paul-Ausserleitner-Schanze von Bischofshofen. Für den jungen Vater ist es zwar der erste Ausflug auf eine Flugschanze seit zwei Jahren, doch der Kulm gilt nach dem Umbau gemeinhin als relativ ungefährliche Anlage. Der Luftstand, die Höhe über Boden, ist mittlerweile geringer als bei anderen Flugschanzen, ein riesiges Windnetz sorgt für zusätzliche Sicherheit.

«Gelingt Simon ein guter erster Sprung, ist die Chance gross, dass er vorne mitspringt.»

Trainer Pipo Schödler

Dazu kommt, dass beim Skifliegen die Landung und die Haltungsnoten nicht so entscheidend sind wie beim Springen und Ammann daher nicht gezwungen ist, die ungeliebte Telemark-Landung fabrizieren zu müssen. «Gelingt Simon ein guter erster Sprung, aus dem er die richtigen Schlüsse ziehen kann, ist die Chance gross, dass er vorne mitspringt», glaubt sein Trainer Pipo Schödler. Und dass Simon Ammann leichten Fusses gewinnen kann, das hat er 2010 mit dem Skiflug-WM-Titel in Planica bereits bewiesen.

Auch wenn die Veranstalter am Kulm nach dem Ausbau der Schanze von einem neuen Weltrekord träumen, es ist unwahrscheinlich, dass der Norweger Anders Fannemel (251,5 Meter, geflogen in Vikersund 2015) an diesem Wochenende überflügelt wird. Derzeit steht der Schanzenrekord in Bad Mitterndorf bei 237,5 Metern (Severin Freund), und Ex-Weltmeister Andreas Goldberger, der mit 43 Jahren noch als Kameraspringer durch die Lüfte segelt, sagt nach seinen ersten Testflügen: «Für mich ist es unvorstellbar, dass jemand hier 250 Meter weit fliegen kann.»

Fiktive 400-Meter-Schanze

Jedenfalls jetzt noch nicht. Doch wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass jemals ein Skispringer die 250-Meter-Marke überfliegen würde? Es ist gerade einmal 22 Jahre her, dass der erste Mensch auf Ski 200 Meter weit flog (Toni Nieminen). Und schenkt man Wolfram Müller Glauben, dann kann die Flugreise noch viel weiter gehen. Der Professor am Institut für Biophysik der Universität Graz erforscht seit Jahrzehnten das Skispringen und kam schon 1997 in seiner Arbeit «Skisprung-Utopie» zum Schluss, dass die Weitenjagd noch lange nicht das Ende erreicht hat. «Beim Skifliegen nimmt der Springer ab circa 200 Meter einen fast konstanten Gleitwinkel ein. Wir haben die theoretischen Möglichkeiten auf einer fiktiven 400-Meter-Schanze untersucht. Vom Standpunkt der Physik und der Aerodynamik ist es nicht auszuschliessen», erklärt Müller.

Flüge bis zu 400 Metern? Für FIS-Renndirektor Walter Hofer ginge das eindeutig zu weit. Schon jetzt ist es eine enorme Herausforderung, auf diesen riesigen Skiflug-Anlagen die Wettkämpfe reibungslos über die Bühne zu bringen. Am Kulm beträgt der Höhenunterschied zwischen Anlauf und Auslauf knapp 200 Meter. «Da können manchmal oben und unten ganz verschiedene Wetterverhältnisse herrschen», erklärt Hofer, «auf einer noch grösseren Schanze wäre das dann ungleich extremer.»

Und es gibt noch einen guten Grund, keine ultimative Monster-Schanze zu bauen. Die Zuschauer würden dann nämlich nicht mehr aufs Skifliegen fliegen. «Hätten wir wirklich eine Schanze, auf der man 300 Meter und weiter fliegen könnte», sagt Walter Hofer, «dann wären die Springer nur mehr als kleine Punkte zu sehen. Und das will ja keiner.»

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