Jugendliche Nichtraucher pöbeln für Putin und Vaterland

Während es unabhängige NGOs in Russland immer schwerer haben, boomen kremltreue Jugendorganisationen wie die Anti-Rauch-Aktivisten von «Lew Protiw». Eine Erkundung.

Immer begleitet von Kameras: Jelena macht vor einem Bahnhof einen Raucher auf sein Fehlverhalten aufmerksam.

Während es unabhängige NGOs in Russland immer schwerer haben, boomen kremltreue Jugendorganisationen wie die Anti-Rauch-Aktivisten von «Lew Protiw». Eine Erkundung.

Es ist Abend, der Schneeregen hat aufgehört. Mit der Dunkelheit ist auch die Rushhour über Moskau hereingebrochen. Menschenströme ergiessen sich auf die Plätze rund um die Metrostation Komsomolskaja im Zentrum der russischen Hauptstadt.

Michail Lasutin gibt jungen Männern in Jeans und Turnschuhen letzte Anweisungen. «Wichtig ist, dass wir uns nur verteidigen», sagt der bullige 20-Jährige mit der Trainingshose und dem Hipster-Bart. Mit Faustschlägen in die Luft zeigt er, wie ein Angreifer überwältigt werden kann. «Und nicht vergessen: immer drei Kameras zugleich! Falls eine im Kampf kaputtgeht.»

Die Gruppe ist kein Karateverein, sondern eine «öffentliche Bewegung gegen Rauchen», wie sie anfangs hiess, bis Gründer Lasutin sie nach seinem Sternzeichen in «Lew Protiw», «der Löwe ist dagegen», umbenannt hat. Seit zwei Jahren schwärmen «die Löwen» mehrmals pro Woche auf die Moskauer Plätze und in die Parks aus. Sie wollen dem Gesetz Nachdruck verleihen, wonach Rauchen in der Nähe von öffentlichen Anlagen wie zum Beispiel Metroeingängen genauso verboten ist wie der Konsum von Alkohol auf öffentlichen Plätzen.

Wegen geringer Vergehen am Internetpranger

Ihre «Rejdi», Streifzüge, wie die Aktivisten sie nennen, dauern meist zwei bis drei Stunden. Später werden die besten, sprich spektakulärsten Filmszenen auf Youtube hochgeladen.

 

Jelena studiert im zweiten Jahr und ist seit einem Monat dabei. Die Blondine trägt dünne Jeans und eine Mütze mit der Aufschrift «California Republic». Seit Kurzem darf sie selber Verwarnungen aussprechen, wie das direkte Konfrontieren von Rauchern vor der Kamera im Löwen-Slang heisst. In der Hand hält sie eine Sprühflasche, um widerspenstigen Rauchern mit Wasserspritzern gleich das Handwerk zu legen. Jelena spricht von der Aktion, als wäre es ein Praktikum: «Ich bin hier, um wichtige Erfahrungen zu sammeln.»

Heute hat sie drei Jungs mit Handkameras im Schlepptau, zwei weitere leuchten die Szene mit Scheinwerfern aus. Neben einer Imbissbude spricht Jelena zwei rauchende Frauen an. «Hier ist ein Eingang! Wollen Sie etwa, dass die Kinder sehen, wie Sie rauchen?» Die ertappten Frauen blinzeln erschrocken ins Scheinwerferlicht, schnippen die Zigaretten in den Mülleimer und gehen murrend weg.

Diskussionen, Schlägerei, Polizei, Verhaftung

Es dauert nicht lange, bis es zu den ersten Reibereien kommt. «Warum filmt ihr mich?», schreit eine alte, rauchende Frau mit Pelzmütze in die Scheinwerfer, die sie blenden. Die Kameras halten noch ein paar Sekunden lang drauf, bis sie weggeht. Danach zieht auch die Jugendgruppe weiter; manche prusten los vor lachen. «Bei uns kommen nur die ins Programm, die sich schlecht benehmen», sagt Lasutin, «damit sie sich danach so richtig schämen.»

Ein Mann in einer Lederjacke, sichtlich angetrunken, verwickelt die Jugendlichen in eine Diskussion. Er versucht immer wieder, die Kamera wegzuschlagen. «Haltet drauf!», ruft Lasutin. Als die Lage zu eskalieren droht, ruft er einen Polizisten herbei. 1500 Rubel Strafe für «kleinen Hooliganismus», also öffentliches Fluchen, knapp 24 Franken. Lasutin nickt zufrieden. Das war ein guter Dreh.

«Lew Protiw» ist mittlerweile zu einem Hit im Internet geworden. Immer wieder bitten Passanten um ein Selfie mit Michail «Mischa» Lasutin. Auf Youtube werden die Videos zu Hunderttausenden angeklickt, einige bis zu 2,5 Millionen Mal. «Eine halbe Million Menschen stirbt in Russland jährlich an den Folgen von Alkoholismus, genau so viele am Rauchen», sagt eine Stimme zu Beginn eines Videos aus dem Off. Dann der Titel: «Wieder hat das Böse gegen den Löwen verloren.»

«Kinder und Jugendliche schauen unsere Videos an und verstehen, was richtig und was falsch ist.» 
Michail Lasutin

Erneut tritt das Böse auf, diesmal in Gestalt zweier Männer, die in einer Unterführung Bier trinken. Der Rest läuft nach dem üblichen Drehbuch ab: Diskussionen, Pöbeleien, Schlägerei, Polizei, Verhaftung.

Dass Menschen mit Alkoholproblemen in der Öffentlichkeit des Internets vorgeführt werden, hält Lasutin für pädagogisch sinnvoll: «Bei 70 bis 80 Prozent der Kriminalfälle in Russland sind die Täter alkoholisiert. Kinder und Jugendliche schauen unsere Videos an und verstehen, was richtig und was falsch ist.» Dass viele der Videos mit Gewaltszenen enden, scheint dem Konzept nicht im Weg zu stehen. Die Schlägereien werden dabei mit harten Crossover-Klängen, zum Beispiel von der US-Rockband Limp Bizkit, unterlegt.

Finanzielle Unterstützung vom Staat

Der Mastermind hinter Lew Protiw ist Dmitri Tschugunow, ein 29-jähriger Pädagoge aus Moskau. Warum treten die Aktivisten weniger als Aufklärer, sondern eher wie eine Gang von halbwüchsigen Raufbolden auf? «Wenn ein Kampf unausweichlich ist, dann muss man als Erster zuschlagen», zitiert Tschugunow eine Stelle aus der autorisierten Biografie von Wladimir Putin – wenngleich er diesen Satz sogleich abwandelt: «Wir schlagen aber nicht als Erste zu. Nur wenn uns jemand schlägt, dann haben wir das Recht, das zu erwidern.»

Dem Anti-Rauch-Projekt steht er nicht nur mit «freundschaftlichem Rat zur Seite», er hat auch Fördergelder aufgestellt: Umgerechnet gut 100’000 Franken wurden den «Löwen» zuletzt aus dem präsidialen Fördertopf zugesprochen. Tschugunow beschreibt das Projekt gerne als eine Art «Grass Root»-Bewegung, als das Engagement von Jugendlichen mit sozialem Gewissen, als Subkultur, entstanden aus dem «Wunsch und Streben heraus, die Welt zu verändern».

Einem Wunsch, dem freilich nur nachgekommen wird, wenn er innerhalb der Weltdeutung der Staatsmacht bleibt: Tschugunow selbst gilt als dem Kreml nahestehend – er selbst leitete die Moskauer Abteilung der Pro-Putin-Jugendorganisation «Naschi» bis zu deren Auflösung 2013. Fotos zeigen ihn an der Seite von Präsident Wladimir Putin. «Mit Naschi wollten wir unser Vaterland zum besten Staat der Welt machen. Projekte wie Naschi und Lew Protiw sind die Ziegelsteine, die zu diesem Ziel führen.»

Aktionismus im juristischen Graubereich

Tschugunow ist Mitglied der «Gesellschaftlichen Kammer der Russischen Föderation», die de jure eine Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft und der Staatsmacht sein soll. Das Gesetz, wonach die russische Justiz aus dem Ausland finanzierte NGOs als «unerwünscht» klassifizieren und somit praktisch verbieten kann, hält Tschugunow für absolut richtig. «Würden Sie etwa Ihrem Nachbar einfach so Geld geben, ohne eine Gegenleistung zu erwarten?» Erst Ende November sind zwei Stiftungen des US-amerikanischen Financiers George Soros in Russland verboten worden.

Während es aus dem Ausland finanzierte und kremlkritische NGOs in Russland zunehmend schwerer haben, boomen Jugendorganisationen wie Lew Protiw – mit staatlicher Unterstützung. Viele kommen aus dem Dunstkreis der Naschi oder vertreten einen klaren Kurs im Sinne der Kreml-Politik. So etwa die Gruppe «Jesch rossijskoje» («Iss russisch»): Junge Frauen durchforsten die Supermärkte nach Lebensmitteln aus der EU, deren Einfuhr als Reaktion auf die EU-Sanktionen gegen Russland verboten ist, und kennzeichnen die Ware mit Aufklebern. Oder das zweite Projekt von Tschugunow: Die Aktivisten von «Stop Cham» kleben Sticker auf die Autos von Parksündern. «Ich pfeife auf alle und parke, wo ich will!», steht darauf.

Während Putin diese Projekte als «wichtige und gute Sache» im Sinne einer neuen Rechtsstaatlichkeit lobt, agiert dieser Aktionismus selbst oft im juristischen Graubereich: Die Aktivisten hätten keinerlei Vollmachten, Waren zu kennzeichnen – das verletze die Eigentumsrechte –, Bürger anzugreifen oder auch einfach nur aufzufordern, die Zigarette auszumachen oder ihr Bier auszuschütten, kommentiert der Anwalt Denis Kowaljow in der Zeitung «Kommersant». Selbst dann nicht, wenn sie dies in Zonen täten, in denen Rauchen und Trinken verboten ist, da sie schlichtweg keine Sicherheitsorgane seien.

«Wir wollen, dass in einem Jahr unsere Aktivisten bei jeder Moskauer Metrostation stehen – jeden Tag.» 
Miachail Lausin

Für die Aktivisten sind das juristische Kinkerlitzchen. Dank der Staatsgelder gibt es Lew Protiw bereits in mehr als 50 russischen Städten – selbstredend auch auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim. Ein lokaler Ableger im sibirischen Krasnokamensk hat zuletzt sogar ein völliges Rauch- und Trinkverbot für die gesamte Stadt gefordert.

So weit will Lasutin in Moskau nicht gehen. Aber Visionen hat er dennoch: «Wir wollen, dass in einem Jahr unsere Aktivisten bei jeder Moskauer Metrostation stehen – jeden Tag.»

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