Wer hören will, wie Kairos musikalische Subkultur unterhalb des Radars der Revolutionshymnen klingt, sollte am kommenden Donnerstag in die Garage Basel. Eine Karawane ägyptischer Elektro-Acts weilt dieser Tage in der Schweiz.
Man ist versucht, die Geschichte von Ahmed El Ghazoly, der sich Zuli nennt, in der grossen jüngeren Geschichte seiner Stadt aufzulösen. Vor zwei Jahren begannen in Kairo auf dem zentralen Tahrir-Platz die Massenproteste gegen das Mubarak-Regime, das schliesslich fiel und die postrevolutionäre Phase Ägyptens einläutete.
«Postrevolutionär» steht auch auf den Programmzetteln der Schweizer Clubs, in denen Zuli mit einer Crew von Elektro-Acts aus Kairo die kommenden Tage unterwegs ist. In den vergangenen Jahren entwickelte sich in der ägyptischen Hauptstadt eine kleine, alternative Szene der elektronischen Musik, und Zuli, 28, ist eine ihrer Zentrumsfiguren. Vor zehn Jahren begann er, als Dance-DJ in den wenigen Clubs Kairos aufzulegen, in denen Elektro ein Publikum fand, noch vor der Revolution stiess er auf die Musik des französischen Labels Ed Banger. Und entdeckte neue Küsten: Der Elektro der Acts von Ed Banger – Justice, Uffie oder Cassius – war roh, laut und tosend. Sowas gab es nicht in Kairo, und Zuli begann zu produzieren. «Der musikalische Mainstream in Kairo ist billige Popmusik, die nur für den Verkauf produziert wird», sagt Zuli, «und wenn die Leute ausgehen, dann wollen sie Spass haben, nichts weiter. An alternativer Musik sind wenige interessiert.»
Unter dem Radar
So bewegt sich die überschaubare alternative Musikszene ausserhalb der Wahrnehmung – auch der behördlichen. Nach den Tahrir-Protesten habe ein neues Genre die Musikszene Ägyptens «überflutet», sagt Zuli: die Revolutionsmusik. Pophymnen, in denen die Volksbewegung, der Sturz des alten Regimes und die neue Ordnung huldigend gepriesen werden. «Aber für die alternative Musik hat sich nichts wirklich geändert», sagt Zuli. Der Elektro, den Zuli und die anderen Acts der Tour, Wonderful Morning, Quit Together sowie das Duo Wetrobots mit der Sängerin Bosaina, verfolgen, betrachtet sich als unpolitisch, ist westlich orientiert und beinhaltet entsprechende – auch sexuelle – Konnotationen der Clubkultur. Das sorgt im postrevolutionären Ägypten manchmal für Empörung bei konservativen Teilen des Publikum,doch auch die bleibt in der Regel ohne konkrete Folgen: «Wir waren klein und bleiben klein.»
So sind die Stile überlagert: im Club 100 Lives, der gleichzeitig auch Label und Tonstudio ist, wird neben den verschiedenen Subgenres der elektronischen Musik auch Hip-Hop produziert. Und das Magazin «Discord», das einzige englischsprachige Magazin für alternative Musik Ägyptens und Veranstalterin des wichtigen Festivals «Wake & Bake», öffnet seine Bühnen für die verschiedensten Genres: Singer/Songwriter und Reggae, Rap und 80ies-lastiger Synthiepop – und viel elektronische Musik. Zuli hat das Stilcrossing selbst vollzogen: er kreiert die Beats für den Rapper Abyusif, spielte früher in einer Rockband und noch heute manchmal den E-Bass. Und weil Ägypten «ein Drittweltland» sei und nicht einmal in Kairo, geschweige denn in anderen Städten des Landes, die kritische Masse für eine auch kommerziell einträgliche alternative Clubkultur erreicht werde, bleibt das Ausland der Fluchtpunkt.
Die Tour durch die Schweiz ist für Zuli wie für die involvierten Acts die Europapremiere – und erforderte einen enormen bürokratischen Aufwand. Weil die Elektromusiker nicht ausgebildete Kulturschaffende und daher nicht von den staatlichen ägyptischen Syndikaten für professionelle Künstler lizenziert sind, geschieht die Tour ohne behördliche Unterstützung – und damit auch ohne Support der Schweizer Botschaft in Kairo. Die Tour organisiert hat der Schweizer Philip Vlahos, Student der Islamwissenschaften in Basel, der während eines mehrmonatigen Sprachaufenthaltes in Kairo 2012 die Musiker kennenlernte und für das Booking sowie die notwendigen Bewilligungen in der Schweiz verantwortlich war. «Wenn Künstler aus einem Drittstaat einreisen, mit dem die Schweiz keine Personenabkommen kennt», hat Vlahos erfahren, «müssen sie Belege ihrer kulturellen Relevanz in ihrer Heimat vorlegen.» Bei einer derart marginalen Szene wie dem ägyptischen Elektro ist darauf nicht zu hoffen. Ermöglicht habe die Einreisevisa schliesslich ein «Akt des Goodwills» des Migrationsamtes seines Wohnkantones Schaffhausen, erinnert sich Vlahos.
Hirscheneck Basel: Sa, 12. Januar; Garage Basel: Do, 17. Januar.