Katalanen fordern Unabhängigkeit

Ende Februar hat Madrid den Katalanen verboten, über ihre Unabhängigkeit abzustimmen. Jenseits der Amtsstuben haben jedoch einige Dörfer den Traum vom «eigenen Land» bereits umgesetzt.

«Mein Name ist Katalonien»: Protestaktion für die Unabhängigkeit in Barcelona. (Bild: © Albert Gea / Reuters)

Ende Februar hat Madrid den Katalanen verboten, über ihre Unabhängigkeit abzustimmen. Jenseits der Amtsstuben haben jedoch einige Dörfer den Traum vom «eigenen Land» bereits umgesetzt.

Die freie katalanische Republik misst gerade einmal 55 Quadrat­kilometer. In ihr gibt es eine Schule, eine Pizzeria und eine Handvoll Bars. Die Grenzen markieren keine Schlagbäume, sondern ein Kreisverkehr und die Mauern einiger alter Gehöfte. Statt von einem repräsen­tativen Palais werden die 2445 Einwohnerinnen und Einwohner von einem zweigeschossigen Funktionsbau aus regiert, an dem die Briefkästen der Nachbarn hängen.

Sant Pere de Torelló, ein verschlafenes Dorf im Vorgebirge der Pyrenäen, hat sich vor anderthalb Jahren als erste Ortschaft zum «freien katalanischen Territorium» erklärt und als sichtbares Zeichen vor dem Rathaus eine «Estelada» aufgehängt, das Symbol der Unabhängigkeitsbewegung, die mit einem weissen Stern auf blauem Dreieck verzierte katalanische Fahne.

Die Madrider Gesetze besitzen hier, so steht es in den Akten, nur vorläufige Gültigkeit. Am Nationalfeiertag, dem «Día de la Hispanidad» am 12. Oktober, wird hier neuerdings gearbeitet, und die Mehrwertsteuer und die Einkommenssteuer seiner städtischen Angestellten führt Sant Pere de Torelló nicht wie vorgeschrieben an das spanische Finanzamt, sondern an die katalanische Steuerbehörde in Madrid ab. In den vergangenen Monaten haben 200 weitere Dörfer ähnliche Erklärungen unterzeichnet.

«Uns bleibt doch gar keine andere Möglichkeit als ziviler Ungehorsam», sagt Jordi Fàbrega. Der Bürgermeister, ein sportlicher Typ in Jeans und Hemd, sitzt am resopalverkleideten Tisch, an dem die Stadträte die «Unabhängigkeitserklärung» verfassten, und hebt an zu einer flammenden Rede, die so oder ähnlich vielerorts geführt wird: «Spanien blutet uns aus, wir Katalanen zahlen und bekommen nichts zurück!»

Grösste Steuerlast

Zwischen sechs und acht Prozent des katalanischen Bruttoinlandproduktes flossen in den Jahren 2008 bis 2010 an den Zentralstaat, zurück kam sehr viel weniger. Nach Madrid und den Balearen war das wirtschaftsstarke Katalonien die Region mit der grössten Steuerlast; im Ranking der Geldempfänger belegte die nordostspanische Region nur einen zehnten Platz. Die Zahlen des Finanzausgleichs der letzten Jahre hat die Zentralregierung noch nicht veröffentlicht.

Vermutlich sind die ohnehin nicht mehr wichtig. Überzeugungsarbeit muss in Sant Pere de Torelló keiner leisten. Als sich das Dorf zum «freien katalanischen Territorium» erklärte, liessen Hunderte auf dem Rathausvorplatz die Korken knallen. «Ich bin Katalane, kein Spanier – so bin ich eben geboren», sagt ein junger Mann in der Dorfbar. «Wenn wir endlich unsere Angelegenheiten selbst regeln könnten, ginge es uns besser», ergänzt ein anderer. Und der findige 44-jährige Bürgermeister beeilt sich, ausländischen Besuchern diese These anhand seines selbst gezimmerten Utopia zu beweisen.

Eine Loslösung von Spanien führe in den wirtschaftlichen Ruin? «Wir sind das einzige Dorf der Region, in das derzeit Millionen investiert werden!» Am Dorfeingang zieht das französisch-amerikanische Unternehmen Axilone eine Fabrik hoch – bald werden hier Parfümverschlüsse und Lippenstifthülsen produziert.
Die Unabhängigkeitsbewegung spalte die Gesellschaft? «Kein einziger Einwohner hat sich über die neue Fahne beschwert, nicht einmal die wenigen, die sich als Spanier fühlen: Sie akzeptieren einen demokratischen Mehrheitsbeschluss.»

Der spanische Staat gilt als bankrott, seine politische Klasse als korrupt.»

Natürlich weiss auch Fàbrega, dass sein Dorf nur sehr bedingt als Labor für den Traum vom eigenen Staat taugt. Hier, tief im katalanischen Hinterland, hört man kein Wort Spanisch auf der Strasse. Fàbregas Partei, die republikanische Linke, stellt zehn von elf Stadträten. In städtischen Ballungsräumen wie Barcelona oder Tarragona sind die Mehrheitsverhältnisse komplizierter, die Bevölkerung ist heterogener, der Einfluss des Spanischen grösser. Doch auch hier wünschen sich laut Umfragen zwischen 48 und 52 Prozent einen eigenen Staat, vor ein paar Jahren war es weniger als ein Drittel. Einer der Gründe, warum die Bewegung an Einfluss gewonnen hat, vermittelt sich in Fàbregas nüchternem Büro: «La il.lusió», die Hoffnung auf etwas Neues, die Freude daran, es mitzugestalten.

Mit der Wirtschafts- und Politikkrise hat der spanische Staat vielen als Referenzrahmen ausgedient: Er gilt als bankrott, seine politische Klasse als korrupt – und die Madrider Regierung unternimmt wenig, um ihr ramponiertes Image aufzupolieren. Bisher gab es auf jeden Verhandlungsversuch, auf jedes Streben nach mehr Autonomie ein «No!». Besonders nachdrücklich 2010, als das spanische Parlament und das Verfassungsgericht das in Katalonien vier Jahre zuvor per Referendum ratifizierte ­Autonomiestatut radikal beschnitt. Dass damals Kataloniens Status als Nation nicht anerkannt wurde, traf die Katalanen ins Mark: Der Stolz auf die historisch bedingte Andersartigkeit gehört zu ihrem Selbstverständnis wie der Schaumwein Cava auf den Festtagstisch.

Egal, in welchen Winkel des Landes man dieser Tage reist, keiner vergisst einen Exkurs in die achthundertjährige katalanische Geschichte, von der Blütezeit im Mittelalter bis zum Spanischen Erbfolgekrieg (1710–1713), infolgedessen das Prinzipat ­Katalonien seine Sonderrechte verlor und unter den Bourbonen in das ­spanische Grossreich eingegliedert wurde.
Auch nicht im Bischofsstädtchen Vic, berühmt für Kathedrale, Jugendstilhäuser und Schweinswürste. Wilfried der Behaarte verhalf der Stadt einst zu Grösse. Der von den Westfranken eingesetzte Graf gilt als Begründer von «Catalunya Vella», dem «alten Katalonien»: Bollwerk gegen die Muslime, unter karolingischem Einfluss früher und umfassender ­feudalisiert als jede andere Region der Iberischen Halbinsel – quasi der Ausgangspunkt eines historischen Sonderwegs.



«Wir werden wählen»: Josep Maria Vila d’Abadal.

«Wir werden wählen»: Josep Maria Vila d’Abadal. (Bild: © Jordi Play)

Gut möglich, dass auch einer von Josep Maria Vila d’Abadals Vorfahren dem mythischen Grafen Treue schwor. Der Stammbaum des Bürgermeisters von Vic lässt sich um 25 Generationen zurückverfolgen, sein Grossvater fiel im Bürgerkrieg, sein Vater sass unter Diktator Franco im Gefängnis. Wer den Mann mit dem Charakterkopf, Forst- und Viehwirt im Brotberuf, ­reden hört, ahnt, wie tief das Misstrauen gegenüber dem spanischen Staat sitzt. Vila d’Abadal hat die Associació de Municipis per la Independència (AMI) mitbegründet, einen Zusammenschluss aller katalanischen Kommunen mit klarer Mehrheit für eine Sezession.

680 der 946 katalanischen Munizipien gehören ihm inzwischen an. Auch wenn Grossstädte wie Barcelona oder Tarragona fehlen, ist Vila d’Abadal stolz auf das Erreichte: «Wir stellen 80 Prozent des Territoriums!» AMI versteht sich als Agitationsplattform und Interessensgemeinschaft aller ­sezessionistischen Bürgermeister und Stadtoberen. Für Vila d’Abadal sind die Kommunen das eigentliche Rückgrat der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung: «Die Kommunen können laut spanischer Verfassung nicht aufgelöst werden – ganz im Gegensatz zu den Autonomien.» Ob er tatsächlich glaube, dass Madrid die Regionalregierung einfach so absetze? Statt einer Antwort gibt es ein nachsichtiges Lächeln. Von Spaniens demokratischer Kultur hält Vila d’Abadal nicht viel, das macht er deutlich. «Egal, was sie tun, wir werden wählen! Und wenn die Polizei unsere Urnen beschlagnahmt, dann gehen wir eben vor einen internationalen Gerichtshof.» Es klingt, als wäre ihm das gar nicht so unrecht, die Causa Catalana in Strassburg oder Den Haag zu sehen.

Politik der Nadelstiche

Bisher beschäftigt der Kleinkrieg, den Kataloniens rebellische Dörfer losgetreten haben, lediglich die Verwaltungsgerichte. Die spanische Fahne von Amtsgebäuden einfach abzuhängen, ist strafbar; 66 Munizipien drohen Geldstrafen. Wegen des Steuerstreiks werden 79 Ortschaften belangt. Weil aus dem Budget der Kommunen keine politischen Aktivitäten finanziert werden dürfen, ist auch die kostenpflichtige Mitgliedschaft beim AMI selbst ins Visier der spanischen Gesetzeshüter geraten.

Josep Maria Vila d’Abadal wäre nicht so stolz auf seine Familientradition, wenn ihm diese Politik der ­Nadelstiche nicht auch Spass machen würde. Denn dass sie ihr Ziel erreichen, daran zweifeln weder er noch sein Amtskollege aus Sant Pere de ­Torelló. «Der Prozess», sagt Jordi ­Fàbrega, «ist unaufhaltsam.» – «Ende des Jahres erklärt sich Katalonien für unabhängig», präzisiert Vila d’Abadal mit Blick auf den kommenden 9. November. Dann will Katalonien in ­einem Referendum über seine Los­lösung von Spanien abstimmen.
Und wenn es nicht klappt? Dann im Jahr darauf. 2015 stehen in Katalo­nien Kommunalwahlen an. Und Vics Bürgermeister ist sicher, dass bis dahin in noch ein paar Dörfern mehr der rebellische Geist erwacht.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 28.02.14

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