Kein Präsident in Sicht

Zum 19. Mal ist am Mittwoch im libanesischen Parlament der Versuch gescheitert, einen neuen Präsidenten zu wählen. Die rivalisierenden Lager können sich nicht einigen. Sie sind Gefangene der regionalen Konflikte, die ohne saudisch-iranische Annäherung nicht gelöst werden können.

Parlamentspräsident Nabih Berri bei der Abgabe seines Wahlzettels im April 2014: Seither kamen in 19 Anläufen in Beirut nie mehr genügend Stimmen für eine gültige Präsidentenwahl zusammen.

(Bild: Reuters)

Zum 19. Mal ist am Mittwoch im libanesischen Parlament der Versuch gescheitert, einen neuen Präsidenten zu wählen. Die rivalisierenden Lager können sich nicht einigen. Sie sind Gefangene der regionalen Konflikte, die ohne saudisch-iranische Annäherung nicht gelöst werden können.

Im Abstand von zwei bis drei Wochen spielt sich im Zentrum von Beirut immer dasselbe Ritual ab. Am Mittwoch zum 19. Mal. Es herrscht höchste Sicherheitsstufe. Die Strassen werden weiträumig abgesperrt. Ein grosses Aufgebot an Sicherheitskräften kontrolliert jeden Fussgänger peinlich genau.

Im Parlament ist eine Sitzung anberaumt mit dem Traktandum: Wahl des Präsidenten. Die Abgeordneten der von der schiitischen Hizbollah geführten Koalition des 8. März sind nicht erschienen. Parlamentspräsident Nabih Berri setzt einen neuen Termin auf den 11. März fest.

Das Quorum – die notwendige Anzahl Stimmen, die erreicht sein muss, damit eine Wahl Gültigkeit erlangt – war nur beim ersten Versuch im April 2014 einmal erreicht worden, aber keiner der Kandidaten erhielt die erforderliche Mehrheit. Seit Mai, als das Mandat von Michel Suleiman ausgelaufen ist, ist das Zedernland ohne Präsident.

Christen stellen den Präsidenten

Nach dem Abkommen von Taif, das 1989 die politische Ordnung nach dem Bürgerkrieg festgeschrieben hatte, ist das Amt des Staatspräsidenten für einen Christen bestimmt. Der Regierungschef ist Sunnit, der Parlamentschef Schiit. Aber die Christen sind genauso tief gespalten wie das ganze Land, wo sich in den letzten Jahren zwei festgezimmerte, rivalisierende Lager herauskristallisiert haben.

Auf der einen Seite stehen jene christlichen Kräfte (Phalange und LF von Samir Geagea), die sich mit der pro-westlichen Koalition des 14. März von Saad Hariri solidarisiert haben. Auf der andern Seite mehrere Gruppen um Ex-General Michel Aoun, die sich der von der Hisbollah geführten Koalition des 8. März angeschlossen haben. Der 80-jährige Aoun will jetzt Präsident werden.

Syrienkonflikt schwappt über

Seit dem Mord an Rafik Hariri – Ex-Premier, Milliardär und Vater von Saad Hariri – vor genau zehn Jahren hat sich der Einfluss im Libanon von Saudi-Arabien hin zum Iran verschoben. Die vom Iran unterstützte Hizbollah ist wie ein Staat im Staat geworden mit einer eigenen starken Miliz, die nicht bereit ist, ihre Waffen abzugeben wie im Taif-Vertrag vorgesehen.

Hizbollah akzeptiere den Staat nicht und habe übernationale Ambitionen, beschreibt Professor Hilal Kashan von der Amerikanische Universität in Beirut im Gespräch das Grundproblem. Mit dem Ausbruch der Revolte gegen die syrischen Präsidenten Bashar al-Assad vor vier Jahren haben sich beide Blöcke mehr oder weniger offen im Nachbarland engagiert. Die Sunniten um Hariri unterstützen die Rebellion gegen Assad, Hizbollah schickt Tausende von Kämpfern, um in iranischem Auftrag die syrische Armee zu unterstützen.

Für das Hizbollah-Lager strebt Ex-General Michel Aoun das Präsidentenamt an. Die Einigung auf einen Kompromisskandidaten zwischen den beiden Lagern war in dieser angespannten Lage bisher nicht möglich. Regierung und Parlament sind seit Monaten paralysiert. Wichtige Entscheide können nicht gefällt werden. Ein Durchbruch werde erst möglich, wenn es eine Annäherung zwischen Teheran und Riad im Rahmen der Atomverhandlungen gebe und sich die Fronten in Syrien klären. Und das könne dauern, sagt der Analyst einer grossen Tageszeitung in Beirut voraus.

Krisen managen nicht lösen

Der Bürgerkrieg im Nachbarland hat schwerwiegende Folgen für den Libanon, wo bereits 1,6 Millionen syrische Flüchtlinge Zuflucht gefunden haben. In Tripolis, der Metropole im Norden, flammen regelmässig Kämpfe zwischen Sunniten und Schiiten auf. An der Grenze zu Syrien versucht die mit al-Qaida liierte al-Noura-Front sich einzunisten.

In Baalbek gab es kürzlich Zusammenstösse zwischen IS und der libanesischen Armee und im Süden des Landes lieferten sich Israel und Hizbollah Scharmützel. Bis jetzt gelang es jedes Mal, die Feuer zu löschen und eine grössere Gewaltexplosion zu verhindern. Solange dies gelinge, würde sich auch die internationale Gemeinschaft nicht weiter um den Libanon kümmern, erklärt der Zeitungsmann.

Hizbollah und die Zukunftsbewegung von Hariri haben vor zwei Monaten einen politischen Dialog aufgenommen. Die Gefahr von Dschihadisten-Gruppen ist für beide virulent. In ihrer letzten Runde am Mittwoch diskutierten sie über eine nationale Strategie zur Terrorbekämpfung, die von der libanesischen Armee umgesetzt werden müsste. Konkrete Beschlüsse wurden keine gefällt. Professor Kashan bleibt skeptisch. Er meint, die Gespräche hätten nicht das Ziel, den Grundkonflikt zu lösen, sondern nur die Krise zu managen, wie das in den letzten Jahren immer geschehen sei.

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