Der Bundesrat will Sexarbeiterinnen mit neuen Massnahmen künftig besser schützen, die Basler Exekutive hingegen sieht keinen weiteren Regulierungsbedarf.
Im letzten Jahr zählte die Kantonspolizei in Basel 3’268 Sexarbeiterinnen. 2010, vor der jüngsten Erweiterung der Personenfreizügigkeit, waren es rund 1’200 weniger. Der rapide Anstieg bleibt nicht ohne Folgen. Die Lage im Milieu sei angespannt, schreibt Aliena, die Beratungsstelle für Frauen im Sexgewerbe, in ihrem Jahresbericht 2011. Der Konkurrenzdruck unter den Frauen nehme zu.
Nicht nur in Basel hat sich das Rotlichtmilieu in den letzten Jahren stark verändert. So plant etwa der Bundesrat seit Längerem, das sogenannte Tänzerinnen-Statut abzuschaffen. Dieses Gesetz, das Cabaret-Tänzerinnen aus Drittstaaten (sprich: Nicht-EU-Staaten) eine Kurzaufenthaltsbewilligung zugesteht und ihnen damit ein ordentliches Arbeitsverhältnis ermöglicht, würde seine Schutzwirkung nicht mehr entfalten, schrieb das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement Anfang Juli.
Erstaunliche Diskrepanz
Das Vernehmlassungsverfahren zu dieser Gesetzesänderung habe «erheblichen Handlungsbedarf im gesamten Erotikbereich» aufgezeigt, weshalb nun eine Expertengruppe eingesetzt würde. Diese Gruppe hat den Auftrag, Schutzmassnahmen für die Arbeiterinnen im Erotikbereich auszuarbeiten. Dazu gehören etwa arbeitsrechtliche Massnahmen oder ein ausgebauter Opferschutz.
Zwei Monate zuvor, am 8. Mai, veröffentlichte der Basler Regierungsrat einen Bericht zum gleichen Thema. In der Beantwortung eines Anzugs von SP-Grossrätin Ursula Metzger mit dem Titel «Erstellung eines Konzepts zur Prostitution» kamen die Regierungsräte jedoch zu einem ganz anderen Schluss als der Bundesrat: «Namentlich sieht der Regierungsrat keine Notwendigkeit, mit Blick auf die Prostitution in Basel-Stadt derzeit gesetzgeberisch tätig zu werden.»
Eine erstaunliche Diskrepanz in der Einschätzung der Lage: Während der Bundesrat eigens eine Expertengruppe bestellt und umfangreiche Schutzmassnahme erarbeiten lässt, sieht die Basler Regierung keinen solchen Handlungsbedarf.
Viky Eberhard ist wohl die profundeste Kennerin der Basler Rotlichtszene. Als Leiterin der Beratungsstelle Aliena ist sie im täglichen Kontakt mit den Sexarbeiterinnen. Sie sieht in den Arbeitsbedingungen das grösste Problem der Frauen. Dazu gehören zum Beispiel die überhöhten Mieten, die dazu führen, dass die Sexworkerinnen den grössten Teil ihres Umsatzes gleich wieder abgeben müssen.
«Gesetze sind zu oft zum Nachteil der Frauen.»
Eberhard begrüsst es grundsätzlich, wenn neue Schutzmassnahmen für ihre Klientinnen geschaffen werden sollen – allerdings zweifelt sie an deren Umsetzung. «Bevor neue Gesetze geschaffen werden, sollte man lieber die bestehenden konsequent durchsetzen.»
Als Beispiel für die mangelhafte Durchsetzung der Gesetze nennt sie das sogenannte Animationsverbot. Dieses verbietet den Barbesitzern, die Frauen zum Trinken zu verpflichten, um so die Freier ihrerseits zur Konsumation zu animieren. Es sei ein offenes Geheimnis, dass das Verbot an manchen Orten nur auf dem Papier existiere, sagt Eberhard. Ohnehin seien die neuen Schutzmassnahmen allzu oft zum Nachteil der Frauen: «So werden solche Bemühungen zum rein politischen Akt, fern der Realität.»
Lokale Probleme im Fokus
Das Thema Prostitution tangiert viele Rechtsbereiche und betrifft deshalb mehrere Departemente. Fragen des Gastronomiegesetzes beispielsweise fallen in die Verantwortung des Baudepartements. Die politische Federführung bei diesem Thema liegt allerdings beim Justiz- und Sicherheitsdepartement.
Der dortige Mediensprecher, Martin Schütz, sieht keine unterschiedlichen Auffassungen von Bundesrat und Basler Regierung. Bei der Bekämpfung des Menschenhandels, den Bemühungen um einen verbesserten Opferschutz und eine arbeitsrechtliche Besserstellung von Sexarbeiterinnen seien jedoch die «Handlungsebenen und -kompetenzen unterschiedlich». So müsse man in Basel auf lokale Probleme reagieren, während der Bund die übergeordneten bundesrechtlichen Fragestellungen im Fokus habe.
«Basel ist dem Bund voraus.»
«Ausserdem sind wir dem Bund eigentlich voraus, eine ähnliche Expertengruppe gibt es in Basel schon länger», sagt Schütz. Dieser «Runde Tisch Prostitution» trifft sich viermal pro Jahr und hat die «Vernetzung der verschiedenen Akteure» zum Ziel. Derzeit erarbeitet der Runde Tisch einen Leitfaden, der diese Zusammenarbeit noch effizienter gestalten soll.
Wie die Beratungsstelle Aliena stehe auch der Basler Regierungsrat der Schaffung neuer Gesetze skeptisch gegenüber, sagt Schütz. «Wir haben Gesetze. Doch um Verstösse und Übertretungen zu verfolgen, braucht es beweiskräftiges Material.» Das sei auch der Grund, weshalb die Ermittlungsarbeit im Milieu derart schwierig sei, sagt Schütz und reagiert damit auf die Kritik, in Basel würden bestehende Gesetze nicht durchgesetzt. «Wir sind auf Aussagen der betroffenen Frauen angewiesen.» Doch diese Aussagen kämen aufgrund der Abhängigkeitsverhältnisse im Rotlichtmilieu nur selten zustande.
Einer Frau fällt es verständlicherweise schwer, gegen einen Menschenhändler auszusagen, wenn dieser via ihre Angehörigen zu Hause Druck auf sie ausüben kann. Einen kleinen Erfolg kann Schütz aber doch vermelden: Die Anzeigen wegen Menschenhandels nehmen auf tiefem Niveau zu, 2012 gelangten neun Fälle zur Anzeige, ein Jahr zuvor waren es drei.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26.07.13