Keine Spur von Hochverrat

1990 wurde die Existenz der P-26 aufgedeckt – eine staatsgefährdende «Geheimarmee», wie behauptet wurde, war diese Widerstandstruppe aber nicht.

Arbeitsraum der P-26 im «Schweizerhof», einer geheimen Bunkeranlage oberhalb von Gstaad. (Bild: Keystone)

1990 wurde die Existenz der P-26 aufgedeckt – eine staatsgefährdende «Geheimarmee», wie behauptet wurde, war diese Widerstandstruppe aber nicht.

Der ältere Mann sitzt unsicher vor dem Eingang zum Büro des Bundespräsidenten und wartet brav, bis die Leuchtanzeige auf Grün und damit auf «Eintreten» wechselt. Erst dann betritt er das Büro – und erschiesst den Bundespräsidenten.

Wir lachten herzlich über die Film­satire «Beresina» (1999), in der eine geheime Gruppe von älteren Semestern die Macht übernimmt. Es gab indessen rund 400 Schweizer und Schweizerinnen, die damals wenig Anlass hatten, die Putschsatire besonders lustig zu finden: Die ehemaligen Mitglieder der ge­heimen Widerstandsorganisation P-26 sahen sich im Jahre 1990 auch dem Vorwurf der Putschvorbereitung aus­gesetzt. Nach dem aufsehenerregenden Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) und den heftigen Reaktionen in Politik und Medien liquidierte der Bundesrat die P-26 und kurz danach auch den ebenso geheimen Nachrichtendienst P-27.

Dicke Post

Was die PUK ans Tageslicht brachte, schien tatsächlich dicke Post zu sein: Angeblich gab es eine topgeheime, illegale und schwerbewaffnete Geheimtruppe ausserhalb jeder demokratischen Kontrolle – eine Gefahr für die verfassungsmässige Ordnung.
Nicht nur das: Die PUK sah die Gefahr, dass die Geheimtruppe sogar gegen den Willen der Landesbehörden von sich aus aktiv werden könnte. Im Klartext: Die P-26 könnte Putsch­absichten gehegt haben. Gegen wen? Gegen alles Linke natürlich, zum Beispiel gegen einen Erdrutschsieg der SP bei den Nationalratswahlen, hiess es damals. Zwar gab es schon damals Stimmen, die vor Überreak­tionen warnten, aber der Tenor von links bis weit in bürgerliche Kreise hinein lautete: Diese Geheimtruppe ist illegal und unannehmbar. In der Region Basel traute die Bevölkerung ihren Augen nicht, als die «Weltwoche» enthüllte, dass der Chef der P-26 der Münchensteiner Oberst Efrem Cattelan alias Rico war, der an der Freien Strasse in Basel ein geheimes Büro mit einer Tarnfirma führte.

Im Herbst 2009 hob der Bundesrat die Schweigepflicht der einstigen P-26-Angehörigen endlich auf. Sie können nun über ihre Erlebnisse frei berichten. Einige haben das seither in diversen Medien getan, andere outen sich erstmals in einem Buch des Verfassers dieses Artikels. Was die Ehemaligen, allen voran Efrem Cattelan, zu sagen haben, hat sehr wenig gemein mit der aufgeregten Wahrnehmung von damals, die in der erhitzten politischen Atmosphäre kurz nach dem Fichenskandal vorherrschte.
Die P-26 war ein Produkt des Kalten Krieges, konzipiert für den Fall einer ­sowjetischen Besetzung unseres Landes nach der Kapitulation von Armee und Landesbehörden. Sie war gedacht als letztes Instrument der Selbstbehauptung einer Bevölkerung unter einem ­totalitären Militärregime. Die P-26 hätte vor allem mit Propaganda­aktionen aller Art (Untergrundzeitungen, Flugblättern) den Widerstandswillen in der Bevölkerung wachzuhalten versucht und darüber hinaus mit gezielten Sabotageakten der Besatzungsmacht möglichst viele Schwie­rigkeiten bereitet.

Normale Väter und Mütter

Die P-26 bestand aus rund 80 autonomen Zellen von jeweils sechs bis zehn Mitgliedern. Jedes Mitglied kannte höchstens zwei oder drei andere; die Zellen hatten keinerlei Kontakt untereinander. Die Ausbildung in konspirativem Verhalten fand individuell und in kleinen Gruppen statt – am häufigsten im «Schweizerhof», einer geheimen Bunkeranlage oberhalb von Gstaad. Einen Kampfauftrag gab es nicht, dafür waren die Leute weder ausge-bildet noch ausgerüstet. Die Spezialwaffen beherrschte nur die Minderheit von Geniespezialisten, die für Sabotageakte vorgesehen waren. Der Ausdruck «Geheimarmee» trifft deshalb völlig daneben.

Die Ehemaligen waren normale Eidgenossen aller Berufsgattungen – etwa ein Direktor einer Firma in Freiburg, ein Schulleiter aus der Ostschweiz, ein Neuenburger Uhrmacher, dessen Gattin behindert war und im Rollstuhl sass, ein Leitungsmitglied einer Chemiefirma im St. Galler Rheintal, ein Arzt aus der Nordwestschweiz, eine Schaffhauser Krankenschwester, die später als FDP-Politikerin Präsidentin des Kantonsrats wurde.

Absurde Putschthese

Wer Struktur, Ausbildung und Ausrüstung der P-26 analysiert und mit Ehemaligen spricht, muss zum Schluss kommen: Die damalige Putschthese war nicht nur absurd, sondern ehrenrührig. Die Ehemaligen waren und sind Leute mit völlig normalem Familien- und Berufsleben, die keinesfalls eine psychische Disposition zum bewaffneten Hochverrat erkennen lassen.
Diese Erkenntnisse werden nicht nur Freude auslösen, denn es ist schwierig, von vertrauten Feindbildern Abschied zu nehmen. In diesem Fall lautet das Feindbild: Die P-26 war eine illegale Soldateska gegen den ­«inneren Feind». Es ist Zeit, der Widerstands­or­ga­nisa­tion Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Martin Matter ist Autor des neuen Buchs «Die Geheimarmee, die keine war» (Verlag hier+jetzt, Baden). Ab zirka 20. April im Buchhandel. Vernis­sa­gen: Montag, 23.4., 18 Uhr, National­bibliothek, Bern (mit Podiumsgespräch); Donnerstag, 26.4., 18 Uhr, Die Buchhandlung, Hauptstrasse 12, Reinach BL.

 

Quellen

DOK des Schweizer Fernsehens über die P-26

Die P-26 im Berner Oberland

Die NZZ über Martin Matters Buch

Onlinereports über das Buch

Interview mit Efrem Cattelan, dem ehemaligen Chef der P-26 im «Tagesanzeiger»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 13.04.12

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