Kinder werden als Ware getauscht und verliehen

Während die Suche nach den leiblichen Eltern der kleinen Maria weitergeht, kommen neue Einzelheiten ans Licht: 80 Euro will das Roma-Paar für das Mädchen bezahlt haben. Inzwischen beschäftigt die griechische Polizei ein weiterer Fall von Kinderhandel, diesmal auf der Insel Lesbos.

Ein Poster der kleinen Maria hängt in der Hilfsorganisation «Das Lächeln des Kindes». (Bild: ORESTIS PANAGIOTOU)

Während die Suche nach den leiblichen Eltern der kleinen Maria weitergeht, kommen neue Einzelheiten ans Licht: 80 Euro will das Roma-Paar für das Mädchen bezahlt haben. Inzwischen beschäftigt die griechische Polizei ein weiterer Fall von Kinderhandel, diesmal auf der Insel Lesbos.

Die Suche nach den leiblichen Eltern der kleinen Maria, die vergangene Woche in einer Roma-Siedlung beim griechischen Farsala gefunden wurde, geht weiter. Man stehe kurz vor dem Ziel, heisst es in Polizeikreisen. Für die zunächst vermutete Entführung des Kindes gebe es immer weniger Anhaltspunkte, sagen Ermittler.

Es wurde offenbar von seiner leiblichen Mutter weggegeben. 80 Euro will das Roma-Paar für das blonde Mädchen bezahlt haben – ein gutes Geschäft, wenn man bedenkt, wie viel Kindergeld sie für Maria hätten kassieren können und was das blonde Mädchen auf dem Heiratsmarkt wert gewesen wäre.

Erneut Aufregung

Das Rätsel, wie Maria zu den Roma nach Farsala kam, ist noch immer ungelöst, da sorgt ein ähnlicher Fall in Griechenland erneut für Aufsehen: Am Mittwoch nahm die Polizei in der Nähe der Stadt Mytilini auf der Insel Lesbos drei Roma fest. Bei ihnen wurde ein zweieinhalb Monate alter Junge gefunden.

Die 51-jährige Roma-Frau, ihr 21 Jahre alter Sohn und dessen 19-jährige Freundin hatten vor wenigen Tagen versucht, das Baby beim Standesamt zu registrieren. Sie konnten aber nicht die erforderlichen Nachweise vorlegen. Die Standesbeamten alarmierten die Polizei, die das Trio in einem Roma-Lager bei der Ortschaft Agia Kyriaki festnahmen.

Zur Herkunft des Babys machten die drei Festgenommenen widersprüchliche Angaben: Mal erklärten sie, eine unbekannte Frau habe ihnen das Kind vor einem Krankenhaus in Athen anvertraut. Dann hiess es, es handele sich um ein Kind aus der eigenen Verwandtschaft, das sie vorübergehend betreuten.

Die jüngsten Ereignisse sind keine Einzelfälle

Kinder als Ware, die hin- und hergeschoben, gehandelt und verliehen wird: Unter den Roma in Griechenland sei das keine Seltenheit, sagen Kenner der Verhältnisse. Ein Motiv: Kindergeld. Die vorgeblichen Eltern der kleinen Maria scheinen da besonders versiert gewesen zu sein. Die 40-jährige Frau, die mit zwei Personalausweisen als Eleftheria Dimopoulou und Seleni Sali auftrat, hatte unter dem ersten Namen fünf und in einer anderen Gemeinde unter dem zweiten Namen vier Kinder gemeldet.

Ihr 39-jähriger Mann meldete in einer dritten Kommune weitere fünf Kinder. So wurden aus fünf Kindern auf dem Papier 14. Wie viel Kindergeld die Eheleute kassierten, ist noch unklar. Nach Angaben aus Polizeikreisen sollen es fast 2800 Euro im Monat gewesen sein.

Während die beiden Eheleute in Untersuchungshaft sitzen, versuchen Standesämter und Sozialbehörden ihre verworrenen Familienverhältnisse zu durchleuchten. Die Roma-Frau hatte die kleine Maria erst im Juni dieses Jahres beim Standesamt Athen angemeldet und das Geburtsdatum mit «31.1. 2009» angegeben. In der Rubik «Vater» ließ die Frau «unbekannt» eintragen. Warum sie mit der Registrierung des Kindes über viereinhalb Jahre wartete, ist nur eine von vielen Ungereimtheiten dieses Falles.

«Mädchen erwecken beim Betteln grösseres Mitleid»

In die Suche nach der Mutter des Mädchens haben sich inzwischen auch die bulgarischen Polizeibehörden eingeschaltet. Nach Darstellung des Roma-Paares war ihnen das Kind von einem Bulgaren namens Michalis anvertraut worden. «Wir haben 80 Euro für das Kind bezahlt», erklärte der 39-Jährige in den Vernehmungen. Das Geld sei als Entschädigung für die Hebamme bestimmt gewesen, die der Mutter bei der Entbindung beigestanden habe.

Anhand einer Handynummer, die er den Ermittlern nannte, wird nun in Bulgarien nach dem mysteriösen «Michalis» gesucht. Die Fahndung konzentriere sich auf die Region um die Stadt Sandanski in Südwestbulgarien, unweit der griechischen Grenze. Offen ist, ob es sich bei ihm um den Vater des Mädchens oder nur um einen weiteren Mittelsmann handelt, der das Kind weitergegeben hat.

Mit Hochdruck suchen die Fahnder deshalb nach Marias leiblicher Mutter. Nach Informationen aus Polizeikreisen verdichten sich die Hinweise, dass es sich bei ihr um eine bulgarische Roma handelt, die in Griechenland lebt und das Kind weggegeben hat, weil sie es nicht versorgen konnte oder wollte. Eine Spur, der die Polizei nachgeht, führt auf die Insel Euböa. «Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis wir die Mutter gefunden haben», glaubt ein Fahnder.

Das Motiv ist Sozialbetrug

Es sei gerade in Südosteuropa durchaus üblich, dass Roma-Familien Kinder weggeben, tauschen oder ausleihen, mitunter über Landesgrenzen hinweg, sagt ein Athener Ermittler, der mit den Verhältnissen vertraut ist, aber nicht namentlich genannt werden will, weil er von seiner Behörde nicht zu offiziellen Auskünften autorisiert sei. Das Motiv ist in den meisten Fällen Sozialbetrug.

Aber nicht nur Kindergeld und andere staatliche Zuschüsse kann man sich so erschleichen. «Am lukrativsten ist es, die Kinder betteln zu lassen», berichtet der Informant, «da kommen schnell am Tag 100 Euro und mehr zusammen». Kleine Mädchen erzielten dabei durchweg höhere Einnahmen, weil sie grösseres Mitleid erwecken, sagt der Experte.

Aber es gibt noch einen weiteren Grund, warum weibliche Babys begehrte Handelsobjekte sind. Im Roma-Milieu werden Mädchen oft schon im Alter von zwölf bis 14 verheiratet. Traditionell wird dann ein grösserer Geldbetrag fällig, den der Bräutigam an die Eltern der Braut zu zahlen hat. «Ein blondes Mädchen wie Maria hätte dabei wohl einen besonders hohen Wert», mutmasst der Ermittler.

In Zukunft ist ein Gentest erforderlich

Fremde Kinder als eigene registrieren zu lassen, war für betrügerische Paare bisher in Griechenland unvorstellbar leicht. Eine eidesstattliche Erklärung und zwei Zeugenaussagen reichten, um ein angeblich zuhause geborenes Kind beim Standesamt anzumelden. Die angebliche Mutter brauchte das Baby nicht einmal mitzubringen. Selbst Jahre nach einer Geburt konnte man Kinder so registrieren lassen.

Jetzt ändert Griechenland die Vorschriften. Künftig ist ein Gentest erforderlich. Und die Generalstaatsanwältin beim Areopag, dem Obersten Gerichtshof, hat angeordnet, dass alle nachträglich registrierten Geburtsanzeigen rückwirkend bis ins Jahr 2008 überprüft werden müssen. Allein beim Standesamt Athen gab es bisher in diesem Jahr über 400 solcher Fälle.

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